mal so zum amüsement
"Hän die koa Schnur?" - oder
• die Tücken der mobilen Kommunikation
Als Philipp Reis 1861 seinen ersten Apparat zur Tonübertragung ("Telephon") vorstellte und Alexander Graham Bell 1872 in Boston das erste elektromagnetische Telefon baute und zum ersten Mal die Hörkapsel an das eine Ohr (rechts oder links ist nicht überliefert) hielt und in ein Mikrofon die historischen Worte "Ja, hat die TELEKOM denn schon wieder die Gebühren erhöht?" sprach, haben weder diese beiden Tüftler noch ihre Zeitgenossen auch nur entfernt eine Vorstellung davon gehabt, wie die Menschen im 21. Jahrhundert mit Hilfe ihrer revolutionären Erfindung kommunizieren würden.
Vielleicht wären sie ja im Mittelalter oder in einem anderen Zeitalter vor dem relativ aufgeklärten 19. Jahrhundert sogar von der Kirche exkommuniziert oder als Ketzer verbrannt worden, da das Gespräch mit einer nicht direkt anwesenden und nicht sichtbaren Person nur das Gebet zu Gott sein konnte. So wird etwa im Arabischen neben dem europäischen Terminus "tilifun" der Ausdruck "hatif" verwendet, der aus der klassischen Wurzel "hatafa" entstanden ist, und damit ist ursprünglich das Gespräch mit Gott (auch beten genannt) gemeint.
Was können wir daraus lernen?Sollten wir das Sprechen mit Abwesenden vielleicht auch auf das Notwendigste beschränken, über das Telefon nur die wichtigsten Informationen kurz austauschen und das längere Gespräch auf ein persönliches Treffen verschieben?- Auch ich telefoniere mit meinen Kindern oder Eltern, die weit entfernt wohnen, und möchte diese moderne Möglichkeit, mit ihnen Kontakt zu halten, nicht missen.
Sollten die, die moderne Kommunikation ad absurdum treiben, an den Pranger gestellt oder besser gleich verbrannt werden?
Auch ich besitze ein Mobil-Telefon (Denglish "Handy" genannt) und weiß es zu schätzen:
• dass ich im Notfall einen Arzt erreichen kann,- meinen Sohn nicht polizeilich suchen lassen muss, wenn er wieder mal nach 20 Uhr nicht zu Hause ist,- bei einer Reifenpanne im Chouf-Gebirge im Libanon nicht auf den nicht existierenden libanesischen ADAC warten musste, sondern mir die Werkstatt telefonisch erklärte, wie der Reifen gewechselt wird.
Ich gebe auch gerne zu, dass die "kleinen klingelnden Teufelchen" ein gewisses Suchtpotential haben und eine Art von Verzweiflung aufkommen kann, wenn es in der Handtasche plötzlich nicht mehr klingelt. Manche Werbebotschaften untersuchen auch anschaulich die Vor- und Nachteile des Vibrationsalarms, über die ich mich hier nicht näher auslassen möchte, außer: Auch wenn Ihr mobiler Begleiter stumm gestellt ist, sollten Sie den Vibrationsalarm in dienstlichen Besprechungen deaktivieren, da er doch lauter vibriert, als Sie es sich vorstellen können, bevor Sie es selber erlebt haben.Dennoch kann die Benutzung von Mobiltelefonen in öffentlichen Räumen - wie etwa der UB - leicht zu einer Geduld- und Nervenprobe für die mehr oder weniger beteiligte Umgebung werden:
An der Leihstelle:Geduldig warten Studenten und Studentinnen in der Reihe auf die Ausgabe der Bücher und/oder Klärung offener Fragen zum Benutzerkonto. Plötzlich ein schrilles "Rrrr". Der gerade ganz vorne angekommene, auf dynamisch gestylte BWL(?)-Student kramt umständlich in seinem Attaché-Köfferchen nach seinem mini-mobile. Herablassend winkt er der Leihstellenmitarbeiterin zu, sich zu gedulden, bis er die NEMAX- und Nasdaq-Daten mit seinem Anlageberater durchdiskutiert hat.Sorry, wir bedienen nur "ohne", da Sie in dem Moment mit uns kommunizieren sollten und nicht mit der Wallstreet. Auch die Identifikation der einzelner Klingeltöne hat schon zu fröhlichen Ratespielen innerhalb der Abteilung geführt. "War das jetzt die Melodie aus den Filmen der ‚Star-Wars-Trilogie' oder die Erkennungsmelodie von ‚Indiana Jones'?" Es bleibt nur zu hoffen, dass - außer zur Faschingszeit - die Benutzer sich nicht so weit mir Ihren Helden identifizieren, dass sie auch noch als "Darth Vader" oder "Obi-Wan Kenobi" kostümiert auftreten.
An der Information:Drei Meter von der Info-Theke entfernt, ertönt eine fröhliche, individuell gewählte Melodie: Britney Spears "Oops, I did it again". Das plüschumhüllte "free and easy" purzelt neben Lippenstift und Schminkspiegel aus dem Designertäschchen. Aufgeregt werden die dates des vergangenen und aller zukünftigen Abende diskutiert. Immer schriller und aufgeregter klingt das Stimmchen. Als der jungen Dame vorsichtig durch Zeichensprache signalisiert wird, doch bitte etwas leiser zu reden, beendet Sie das Gespräch nach weiteren fünf Minuten und stürzt sich dann auf die Mitarbeiterin der Information. "Wieso darf ich hier nicht telefonieren? Hier ist doch nirgendwo ein Verbotsschild!"Sie dürfen, aber vielleicht in einer der Lokalität angemessenen Lautstärke. "And please Britney, don't do it again!" Etwas sympathischer erscheint der junge Erstsemesterstudent, der gerade seine ersten Fragen zur Benutzung der Bibliothek äußern will, als es auch in seiner Tasche klingelt.
Verlegen zieht er sein Telefon aus der Jackentasche, schaut aufs Display und stammelt die Worte: "Jetzt nicht Mama!" ins Mikrofon und setzt dann mit hochrotem Kopf das Gespräch mit der Mitarbeiterin an der Info-Theke fort.
In der Mensa:Gerade, als ich mich in der Mittagspause von der Arbeit und den manchmal damit verbundenen Anstrengungen erholen und einen vitaminreichen Salatteller genießen möchte, nimmt mir gegenüber ein junger Student mit seinem Essenstablett Platz. Kaum hat er angefangen zu essen, klingelt es auch bei ihm. Während ich fasziniert mehrere Minuten lang beobachte, wie er versucht gleichzeitig zu essen und zu reden ("Ich bin gerade in der Mensa. Nein, hier ist der Empfang leider ganz schlecht. Wir reden später"), und wie ihm die Suppe aus dem Gesicht tropft, wird plötzlich nicht nur der Empfang schlecht. Auch ich ziehe es vor, meinen Salat in anderer "Gesellschaft" zu genießen. So ist also in allen Bereichen der Bibliothek, die nicht ausdrücklich durch Verbotsschilder gekennzeichnet sind, und auch in anderen Bereichen der Universität eine zunehmende "Telefonitis" zu beobachten. Sicher hat auch niemand ein Interesse daran, durch Verbote die Kommunikation der postmodernen Generation einzuschränken. Immerhin garantiert unser Grundgesetz das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Freiheit der Person, Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis. Leider wird aber allzu oft der darin auch enthaltene Hinweis, dass die Freiheit Einzelner nicht die Freiheit anderer einschränken darf, übersehen.So wünschen wir uns manchmal angesichts allzu rücksichtsloser, mobiler Kommunikatoren, die bei der Ausübung ihrer Freiheit unsere ganz erheblich einschränken: "Hättet dia doch ä Schnur!"
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