Es geht weiter
9.:
Ein Parkplatz
Die Nachtluft roch nach Sommer, daran konnte auch der Regen nichts ändern, der mit Wucht auf die Erde donnerte. Walnussgroße Tropfen zerplatzten auf dem Asphalt eines großen Parkplatzes, der übersäät war von kleinen Pfützen, in denen sich das schwache Licht einer Laterne spiegelte. Der Mond hatte seine Auszeit und seine Abwesenheit ließ nur erahnen, dass riesige schwarze Wände genau diesen Platz von allen Seiten in tiefe Dunkelheit tauchen wollten. Der Platz wurde erfüllt von einer Erinnerung. Das Zentrum dieser Gedanken stand inmitten des Parkplatzes, ein Mann mit geschlossenen Augen, nasse Strähnen hingen schwer in seinem Gesicht. Der Mann stand regungslos dort und schaute in sein Innerstes, in die Ferne seiner Vergangenheit, begleitet von einer Melodie. Er wurde kurz zuvor von den Erinnerungen an längst vergangene Jahre eingeholt. Auf einer Vernissage sah er eine Frau, sah ihren erstaunten Blick, sah, wie sie ihn erkannte. Halblange, tahitibraune Haare umsäumten ihr schönes Gesicht. Julia.
Der Mann zündete sich eine Zigarette an, er ging fort. Zurück blieb ein leerer Platz. Die Laterne schaltete sich aus, ein neuer Morgen begann. Ein neuer Tag in einer großen Stadt. Berlin im Sommer 2006.
10.:
Julia
Maurice! Ich spürte, wie ich weiche Knie bekam, mein Puls beschleunigte sich. Er war älter geworden, ein reifer Mann mit grauen langen Haaren, genauso schlank wie früher, wie früher auch seine lässige Kleidung. Immer noch ging diese Wildheit von ihm aus, ich konnte sie körperlich spüren. Er bewegte sich wie ein Panther nach dem Mittagsschlaf, wieder hungrig, eine Beute im Visier. Wenn er mich nur nicht ansieht, dachte ich. Nervös schob ich mir eine Locke aus dem Gesicht. Dann traf mich sein graugrüner Blick mitten in mein Herz. Schlagartig war ich unfähig klar zu denken, alles kam zurück. Dreissig Jahre wie weggewischt. Am liebsten hätte ich laut geschrien, geweint, mich auf ihn gestürzt, wäre in seine Arme geflogen. Alles, alles, alles. Meine Hände wurden feucht, vor allem die Linke, die gehalten wurde von meinem Begleiter, meinem Mann, der in ein Gespräch vertieft war. Maurice und ich schauten uns lange schweigend an, wir brauchten keine Worte. Blindes Verstehen. Wie früher, wie damals in dem uns so fremden Land, als wir ein Paar waren.
Beseelt von dem Wunsch, seinen sinnlichen Mund zu küssen, den ich so liebte, erklärte ich meine zukünftige Abwesenheit mit der schlechten Luft und verließ die Galerie. Er folgte mir. Zwei Straßenblöcke weiter hatte er mich eingeholt.
11.:
Maurice
Sie lehnte an einer Schaufensterscheibe ("Ihr Sonnenparadies") und sie zitterte vor Erregung. Ihre Mundwinkel zuckten im Takt, wie früher. Meine Hände umschloßen ihre Handgelenke, ich preßte sie an die Scheibe. Sie schloß die Augen, ihre Wimpern flatterten, meine Lippen hauchzart von den ihren. Wir rochen unseren Atem, der immer heftiger wurde. Voller Leidenschaft küßten wir uns endlos lange. Durch den Stoff schwitzten wir uns voll, rieben unsere Leiber aneinander, umschlungen uns.
Sie musste wieder zurück. Ein Stück begleitete ich sie, wir verabredeten uns für den nächsten Tag, ich gab ihr meine Telefonnummer.
Es wurde langsam dunkel. Es roch nach baldigem Regen und ich sog begierig die Abendluft ein. Freunde warteten in einer kleinen Bar auf mich, wenige Meter noch. Wenige Meter bis zu einer weiteren schlaflosen Nacht.
•
Maurice