Das ist ein Thema, das ich eigentlich sehr gern diskutieren würde, aber fürchte schon jetzt, dass Ehrlichkeit für viele verstörend wirken wird. Bitte somit um Vorsicht - und Nachsicht - beim Weiterlesen. Meine Vergangenheit ist keine angenehme Geschichte.
Werde zum besseren Verständnis ein wenig ausholen:
In meinem Leben lief von Geburt an sehr viel schief und eigentlich ist bis heute wenig in Ordnung. Meine Kindheit und Jugend waren sehr schlecht und, wie es oft bei traumatisierten Kindern vorkommt, hatte ich schon früh altersungerechte sexuelle Interessen. Mit diesen stand ich lange Zeit im Konflikt, da man meinte, mich katholisch erziehen zu müssen, und mir damit zu suggerieren, dass mit mir etwas nicht stimmen muss, wenn ich derarige Neigungen und Gedanken habe.
Da ich obendrein sehr früh pseudo-erwachsenes Verhalten an den Tag legen musste und mein Freundeskreis aus anderen psychisch geschädigten Problemkindern bestand, habe ich bereits zu Schulzeiten junge Damen mit Vaterkomplex angezogen, was eines Tages in einer auffällig DDLG-ähnlichen Beziehungen endete - ohne, dass einer von uns wusste, was BDSM oder DDLG eigentlich sind. Da trafen sich dann traumatisiertes Innenleben zweier junger Menschen, verzerrtes Sozial- und Sexualverhalten und bizarre sexuelle Fantasien von beiden Seiten, inklusive späterer gegenseitiger Traumaspiele, die glücklicherweise nicht im Desaster endeten. Man kann aber kurzum festhalten, dass hier absolut nichts gut lief.
Das bringt mich nun zu dem eigentlichen Schlüsselmoment, dem ich viel Gutes zu verdanken habe:
Als junger Teenager hatte ich regelmäßig zufällige Philosophiebücher aus der Bibliothek meines Großvaters genommen und einige Zeit Freude an französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts gefunden. Eines Tages hielt ich eines der Werke von de Sade in der Hand, das dort fälschlicherweise einsortiert wurde (da die moralisch bedenklichen Werke eigentlich weit oben in Regalen standen).
Ich war anfangs sehr enttäuscht, da die Erzählung dekadent und banal anfing und kein Hauch von Philosophie zu erknennen war - bis dann der Schweinkram losging.
Bei solcher Lektüre passiert in jungen Jahren einiges im Kopf aber was mir so viel abgegeben hat, ist die Erkenntnis, dass dort Figuren geschildert wurden, von denen einige Neigungen hatten, die den meinen - und denen meiner Freundin - glichen. Das war für mich das erste Mal, dass ich mich durch ein Buch halbwegs verstanden oder zumindest in Teilen normalisiert fühlte. Da gab es also noch andere auf der Welt, die so waren oder dachten und augenscheinlich sind es rennomierte Schriftsteller und Denker. Das hatte mir sehr viel Trost und Hoffnung gespendet. Bitte hier zu bedenken von welchem Ausgangspunkt ich kam, natürlich ist das in absoluter Betrachtungsweise zu relativieren.
Der Übergang von Werken zu Auseinandersetzung mit dem Autor verlief eher ernüchternd, da ich dem Mann wenig abgewinnen konnte, allerdings wurde mir somit erstmals der Ursprung des Begriffs Sadismus gewahr. Mein Großvater war Arzt und Dichter und hatte nebst Bildungsbürgerliteratur auch medizinische Literatur im Hause, was mir einfacheren Zugang zu anfänglicher Recherche über die Natur von Sadismus ermöglichte, mich zu Psychologie und BDSM führte, mir Tür und Tor zu anfänglichem Umfassen des Ausmaßes meiner traumatischen Erlebnisse ermöglichte.
Um das ganze jetzt aber zu einem Abschluss zu bringen und den Bogen zur Gegenwart zu schaffen:
Im Laufe der Jahrzehnte haben mich BDSM und gesünder gelebte Beziehungen dann lernen lassen meine (in jungen Jahren teils furchtbar falschen oder fahrlässigen) Ansichten und gefährlich gelebten Praktiken in vielen Punkten zu professionalisieren (sofern man den Begriff hier verwenden darf). Da war instinktiv viel in Ordnung aber auch viel falsch und ich bin sehr froh, dass ich Menschen und Mentoren gefunden hatte, mit denen ich offenen Austausch zu tiefgründigen und komplexen Themen pflegen konnte.
Ohne diese Möglichkeit wär ich vermutlich ein gestörter Junge im Körper eines Erwachsenen geworden - wobei ich ehrlicherweise eingestehen muss, dass ich mich im Vergleich zu Menschen mit gesundem Werdegang immer auch noch so sehe und fühle (und teils auch so lebe), was mich im Umgang mit anderen extrem vorsichtig und scheu macht. Das führt jetzt aber am Thema vorbei.