Ich denke, darauf gibt es keine einfache Antwort. Ist es eine Ersterkrankung? Eine immer wieder auftretende Erkrankung, die der Betroffene schon gut kennt? Eine Erkrankung, die der Betroffene gar nicht als Krankheit erkennt?
Wichtig ist: Depression ist eine potenziell tödliche Krankheit. Das begreifen viele nicht. Betroffene und Angehörige. Ich habe seit 25 Jahren immer wieder Depressionen. Ich habe verschiedene Therapieformen erlebt, war zu Beginn meiner Krankengeschichte in einer Tagesklinik. Für 6 Monate. Am Anfang meiner Krankengeschichte herrschte unter den Ärzten, mit denen ich zu tun hatte, eine strenge Ablehnung von Medikamenten. Später haben mir Medikamente sehr geholfen.
Mir war es immer wichtig, daß meine Krankheit meine Sache ist, sprich: Mein Mann trägt dafür keine Verantwortung. In meiner Kindheit habe ich das bei meinem Vater anders kennengelernt und sehr darunter gelitten. Mein Mann wußte immer von meiner Erkrankung, aber zuständig dafür war immer ich. Vielleicht war das auch Ausdruck meiner Scham über meine Krankheit.
Die meisten Leute mit Depressionen schämen sich dafür. Oft massiv. Sämtliche "reiß-Dich-zusammen" Variationen regnen sie auf sich selbst herab. Kommentare in diese Richtung kann man sich also wirklich schenken. Sie machen nichts besser, sondern alles schlimmer. Weil sie in die gleiche Kerbe wie die Krankheit hauen.
Ich selbst habe letztes Jahr erst bemerkt, wie wenig ernst ich meine Krankheit nehme und wie peinlich sie mir ist. Ich sah endlich ein, daß ich an einer massiven postnatalen Depression litt. Von einem Suizid war ich mehrere Monate lang keine Handbreit entfernt. Ich glaubte ganz sicher, meine Angehörigen, besonders mein Kind, von mir befreien zu müssen. Auch ein Arztbesuch war mir unendlich peinlich. Aber natürlich unumgänglich. Ich wurde auf ein neues Mediment eingestellt. Viele Monate ging es weiter auf und ab. Die Berge und Täler flachten sich langsam ab. So langsam - sehr langsam - kehrt mein Fähigkeit zurück, wirklich im Leben wieder an und zur Ruhe zu kommen. Erst jetzt sehe ich manchmal, wie krank ich war.
Depressionen sind eine furchtbare Krankheit. Seelenkrebs. Und sie verzerren die eigene Wahrnehmung. Als Angehöriger kämpft man oft gegen Windmühlen, wenn man dem Betroffenen diese verzerrten Wahrnehmungen ausreden will. Ich empfinde das auch nicht als hilfreich. Hilfreiche und den anderen stärkende Aussagen können paradoxerweise Auslöser für Schamattacken sein. Es ist eine verrücktes Kräftefeld, in dem man sich da bewegt. Eigentlich verschwindet die Seele des Betroffenen ja vor einem physischen Ende. Ich glaube, man könnte das sonst nicht aushalten.
Darum: unbedingt professionelle Hilfe holen. Medikamente nicht verteufeln. Auch für sich selbst als Angehöriger Unterstützung suchen. Und Geduld, Geduld, Geduld. Alle Ratschläge selber überdenken. In Deutschland nehmen auch Ärzte diese Krankheit oft nicht genügend ernst. Therapie ist in Kombination mit Medikamenten wichtig. Manchmal auch erst nach einer medikamentösen Stabilisierung möglich. Das Verhältnis von Therapie und Medikament ist leider Moden unterworfen. Nicht sehr hilfreich. Immer wieder mit dem Betroffenen reden. Das klappt nicht immer gleich gut. Vor allem sollte reden nicht "auf ihn einreden" bedeuten. Eher ein Interesse dafür äußern, was in ihm/ihr vorgeht. In besonders gefährlichen Zeiten sollte der Angehörige sein eigenes Leiden unter dieser Erkrankung etwas zurückstellen zugunsten von Wachsamkeit und Wohlwollen. Oft hilft die Frage: Würde ich das jetzt einem Krebskranken sagen?