Mir stößt das Wort "Mangel" auch auf. Rein aus meiner Empfindung heraus mit keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit: wenn ich in der bestehenden Beziehung einen echten Mangel empfinde, d.h. mir fehlt etwas Konkretes, wonach ich suche - das sehe ich als kommunikatives Problem und problematischen Grund für eine Öffnung.
Kurz gefragt: Was passiert, wenn Du jemanden triffst, mit dem der Mangel nicht mehr empfunden wird und es paßt sonst auch? Ich sage mal ... so richtig verliebt und demzufolge durch Hormone unrealistische Einschätzung.
Worauf ich hinaus will, das ist schlichtweg, daß nach meiner bisherigen Erfahrung wenige Leute wirklich gleichwertig (nicht gleich) lieben und lieben können. Und wenn es zwischen zwei Menschen paßt, dann entsteht meistens mindestens Verliebtheit, eventuell Liebe.
Mir schrieb gerade ein Poly, daß ihn seine Freundin verlassen hat, weil sie jemand anderen kennenlernte und damit nicht klarkam, für zwei gleichermaßen empfinden zu sollen bzw. ... zu können. Für sie war die Intensität zu hoch, Gefühl und Sein-lassen-können nicht vereinbar. Also trennte sie sich von dem einen, damit es wieder "einfach" wird. Sie ist nicht poly, jedenfalls nicht lebensfähig poly. Das ist nicht unbedingt etwas Neues für uns, passiert mit monogam entscheidenden (ich spreche nichtmal mehr von "monogam fühlend", auch wer seine Affäre liebt, entscheidet trotzdem monogam die Rollen).
Ich gehe mal davon aus, daß Du es auch bist (monogam entscheidend). Und deswegen möchte ich einfach mal warnen, sich nichts vorzumachen, als monogam entscheidender Mensch ist die Öffnung der Beziehung durchaus das bewußte Riskieren, daß man tatsächlich "jemand besseren" findet. Serielle Monogamie nennen wir das. Bist Du denn dazu bereits? Dein Partner auch? Wenn nur einer dazu bereit ist, ist es wirklich Egoismus aber auch Selbstliebe: wenn Dir soviel fehlt, daß Du das gegen den Willen oder die Ängste eines Partner durchziehen möchtest, dann ist das Risiko wohl wirklich der einzige Weg.
Aber wenn es "nur" um "größer, höher, weiter, mehr" geht, weil der Neu-Faktor nachgelassen hat, dann laß Dir gesagt sein, daß die Sexualität in einer längeren Beziehung immer anders wird als sie in den ersten Monaten oder auch 1-2Jahren war - und das ist gut so!Aber sie erreicht nur dann ihre neue (gute) Qualität, wenn man sich mit dem "anders" beschäftigt und nicht außen den Kick sucht, mit dem man die Beschäftigung verdrängen kann. Was ich sagen will, ist, daß das scheinbar Neue beizubehalten im Sex einer längeren Beziehung den eigentlichen Sex eben genau der längeren Beziehung sich nicht entwickeln läßt. Es gibt einen großen weiten Bereich zwischen "von außen durch Neukontakte frisch erhalten - und eigentlich nicht "unser" Sex" und "ohne äußeren Kick aufkonsumiert, was halt so kam, ohne die Entwicklung zu suchen und mitzumachen". (Macht das für irgendjemanden Sinn, ich hab den Eindruck, ich drücke mich heute etwas kompliziert aus
).
Ganz kurz gesagt: wenn Dein Post dazu dienen soll, das Pro- und Contra einer Beziehungsöffnung zu diskutieren, würde ich mal von den moralischen Aspekten und "wann man sollte" weggehen und mich mit der Praxis des Fühlens und dem Trennungsrisiko beschäftigen. Ehrlichkeit vor sich selbst und Selbstreflektion sind hier die Schlagworte.