Der schöne Thot, Teil 4
Nur langsam erholte ich mich. Erwachte quasi wie aus Trance. Zwinkernd sah ich gehetzt umher und wollte nicht recht glauben, was da gerade passiert war. Hatte ich das geträumt? Fieberphantasien eines überarbeiteten Eisdealers?Nein. Die beiden leeren Tassen sprachen eine beredte Sprache. Ohne auf irgend etwas anderes zu achten, stürzte ich zum Telefon und reif Paolo an.
„The person you´ve called, is temporarely not available“
Leck mich doch am Arsch verflixt.
Im Register suchte ich nach seiner anderen Nummer. Besetzt, so ein Dreck.
Was nun?
Ich musste Paolo auf jeden Fall sagen, er solle seinen feisten Hintern nach Hause schieben, denn auf Stress mit den ehrenwerten Herren hatte ich absolut keine Lust. Denn ich konnte das Unheil riechen, das sich düster drohend zusammenbraute, wie einen schweren Sturm, den man spürte, wenn er sich näherte. Es war nicht die Frage ob es Stress geben würde, sondern wann er ausbrach. Ich wusste es einfach, obgleich ich mit diesem Thema noch nie etwas zu tun hatte.
Zusammenhänge brauchte ich nicht wissen, Gründe waren egal, Motive gab es nicht, außer den üblichen: Geldgier oder Rache.
Ich wählte erneut. Ein Anrufbeantworter.
Ich sprach Paolo auf das Band, innig hoffend, er möge das schnellstmöglich abhören. Schließlich musste er wissen, was zu tun war. Und dann, wenn Paolo wieder hier war, würde ich zügig die Segel streichen. In die Mühlen einer kriminellen Struktur zu geraten war nicht wirklich das, was ich noch brauchte. Bei aller Sympathie für Paolo, aber das war eine Nummer zu hoch für einen… Vertreter. Nun im Grunde war es zuviel des Guten für jeden, bei genauer Betrachtungsweise
Das Telefon! Das Klingeln war noch nicht verklungen, als ich den Hörer in der Hand hielt.
Gott sei Dank, es war Paolo. Ich schilderte ihm so ruhig wie möglich, was sich hier vor ein paar Minuten zugetragen hatte und es schien, als würde es den guten Paolo nicht besonders wundern. Hatten die Italiener gelernt, mit der ehrenwerten Gesellschaft zu leben? Bestand eine Art Arrangement zwischen ihnen und gehörten mafiöse Strukturen inzwischen zum Geschäftsleben dazu? So etwas wie der Zehnte Teil der Ernte bei Lehnsherren in der Vorzeit?
Paolo erklärte mir in ruhigen Worten, dass ich mir um nichts Sorgen zu machen bräuchte, er würde alles von dort aus klären. Keine Sorgen, keine dummen Fragen stellen und auf keinen Fall darüber nachdenken. Das Beste wäre, alles sofort zu vergessen was passiert wäre. Es täte ihm leid, dass ausgerechnet ich mit den Herren zu tun bekommen hätte, aber ich bräuchte mich nicht zu sorgen. La Ommerta. Code of Silence. Schweigepflicht heißt das wohl bei uns.
Nun, für mein Empfinden war das einmal „Sorge“ zuviel. Wenn mir jemand so eindringlich erzählt, ich solle mir keine Sorgen machen, dann ist allein das Grund zu erheblicher Sorge.
Aber was konnte ich schon tun? Nichts. Nichts, was in meiner Hand liegen würde.
Dennoch beschloss ich, besonders aufmerksam zu sein. Nur worauf ich achten sollte, war mir an diesem Sonntag nicht wirklich klar.
Ich weiß nicht, ob alle Menschen dieses Gefühl kennen. Die vom Glück geküssten wohl nicht.
Das Gefühl, als würde eine Schlange über ihnen mit gefüllten Giftzähnen und gespanntem Körper nur auf die Nächste Bewegung warten, um vorzuschnellen und Ihnen die Zähne tief ins Fleisch zu schlagen. Als wäre ein Raubtier unerkannt in Ihrer Nähe und wartete bloß auf den richtigen Augenblick. Das Nervensystem vibriert wie eine angeschlagene Saite, die einen kläglichen Misston zustande bringt und deren Ton einen bis ins Mark frieren lässt. Das ganze Körper schwingt und vibriert, die Haut fühlt sich heiß und wie ein Schwamm an und es scheint fast, als wäre die ganze Existenz unwirklich und traumgleich. Alle Gedanken kreisen um sich selbst, man ist keines klaren Gedankens fähig und erzittert innerlich vor Furcht. Furcht vor dem, was sich zusammen braut und körperlich spürbar ist. Dinge, unerkannte Dinge, wie eine Welle aus Bosheit. Kräfte, die sich formieren und sich gegen den eigenen Willen lenken und die einem den Handlungsspielraum derart einengen, dass man sich vorkommt wie eine Zuchthenne in ihrem Miniaturkäfig.
Die Reinigungsarbeiten an diesem Abend gingen wie von selbst von der Hand, die beiden Aushilfen bemerkten zwar meine nachdenkliche Verschwiegenheit, sagten jedoch dankenswerterweise nichts.
Schlafen konnte ich in dieser Nacht nicht.
Mafia. Wer könnte sich jemals vorstellen, dass er mit diesem Thema außerhalb der billigen Witzchen und spannender Romane jemals konfrontiert werden würde? Niemand. Nicht wirklich. Und doch wurde mir schmerzhaft bewusst, dass das Thema existent war. Nicht nur in Sizilien, Sardinien oder New York, sondern hier in Osnabrück. In der Friedensstadt, ist das nicht ein Witz? Lachen konnte ich jedoch nicht darüber.
„Danger, approaching satety-limits of engine containment field“
Mein Handy. Als Trekkie war selbstredend ein Klingelton der Lieblingsserie installiert. Ein Blick auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht.
Barbara. Ob ich mitkommen würde, heute gäbe es eine Hockerparty im Club.
Höflich lehnte ich ab, versprach ihr aber, das Nächste Mal bestimmt mit zu kommen. Enttäuscht beendete sie die Verbindung.
Barbara. Eigentlich nicht mein Typ. Kurze Haare und so mager, dass ich jedes Mal den Wunsch verspüre zu kochen wenn ich sie sehe. Aber sie war das, was Männer in angetrunkenen ungehemmten Gesprächen als: Naturgeil apostrophierten. Ein Begriff, den ich bis heute nicht verstehe. Von den gesellschaftlichen Gegebenheiten ganz abgesehen.
Nicht dass ich nicht in meinem eigenen Rollenverhalten gefangen wäre, mitnichten. Aber diese schizophrene Einstellung, dass Frauen, die ihre Sexualität frei lebten, als Flittchen oder Schlampen galten, Männer mit vielen Frauen jedoch als Schürzenjäger galten, nicht ohne ein gerüttelt Maß an Neid, teilte ich nicht. Das Problem bei Männern und Schlampen ist, keiner darf sie offiziell mögen, f icken jedoch wollen sie alle. Verlogene Scheißkerle…
Ich konnte über unsere schräge Scheingesellschaft nachdenken so lange ich wollte, ich fand keinen Schlaf. Zu sehr hatte mich die Begegnung berührt mit den Kofferträgern.
Natürlich hatte ich bereits mit Kriminalität Kontakt, aber nicht mit organisierter.
Irgendwann dämmerte ich einfach weg und wachte mit schmerzendem Nacken auf. Dazu quälte mich ein Husten, da ich vergessen hatte, das Fenster zu öffnen und meine Hausstaub- Allergie einschlug wie eine Bombe.
Das Pech schien mich zu verfolgen seit gestern.
Eine Zigarette half zumeist gegen Stauballergie. Militärstrategie. Ersetze eine Maßnahme gegen eine höherwertige oder schlimmere.
Lustlos duschte ich und zog mich an. Mit Widerstand begab ich mich zum Cafe und wollte eigentlich gar nicht arbeiten, aber als die ersten Gäste erschienen, glitt ich automatisch in den Alltagstrott.
Gegen 10 kam die erste Aushilfe und ich trug die Einnahmen zur Bank um sie per Blitztransfer nach Italien zu schicken.
Als ich die Quittung und die Auszüge in den Tresor legen wollte, kam ich auf die Idee, mich in Paolos Wohnung umzusehen.
Natürlich macht man das nicht, aber Paolo hatte mich mit der Mafia in Kontakt gebracht und damit rechtfertigte ich vieles.
Aber ich fand nichts. Wie auch. Niemand führt ein Mafiatagebuch mit allen Eintragungen, Namen Adressen und Telefonnummern. Oder doch?
Ich dachte nach. Doch, ich würde das tun. Als Rückversicherung. Oder als Letzte Rache aus dem Grab heraus, falls mir etwas passieren sollte. Würde Paolo auch auf den Gedanken gekommen sein? Bestimmt. Und wo würde Paolo so etwas verstecken? In einem Bankschließfach? Nein, zu umständlich für Eintragungen. Unter dem Bett oder im Tresor auch nicht, da würde es jeder vermuten.
Ich versuchte, mich in Paolo hinein zu versetzen und ging den Weg nach, den er vielleicht nehmen würde, käme er nach Hause. Duschen, vielleicht ein Getränk aus dem Kühlschrank holen, umziehen, die Dreckwäsche in die Stahltrommel werfen und der abendlichen Toilette frönen.
Ich hob den ungewöhnlich schweren Stahlbehälter für die Wäsche an und siehe da: Eine schwarze Kladde in DIN A 5 mit roten Ecken. 2006 stand darauf. Paolos Handschrift.
Einen Moment lang zweifelte ich. Das hier waren sehr intime Dinge, und Paolo vertraute mir. Nun, ich hatte ihm auch vertraut und war plötzlich ein anderer, aber damit hatte er sicherlich nicht rechnen können.
Ich schob also ein paar T-Shirts beiseite und entdeckte den Grund für das erhöhte Gewicht des Behälters. In einem der Shirts eingewickelt lugte mir der Griff einer 9mm Beretta entgegen. Der gute Paolo hatte wohl Angst? Nun, wie auch immer, ich jedenfalls hatte welche.
Das Magazin war voll, die Pistole in guten Zustand. Siedend heiß fiel mir ein, dass jetzt sogar meine Fingerabdrücke an der Waffe klebten wie Efeu an einer Hauswand.
Sorgfältig reinigte ich das Tötungsgerät und legte es so hin, wie ich es vorgefunden hatte. Auch das Buch ließ ich unangetastet. Irgend etwas, vielleicht der Einzige anständige Gedanke an diesem Morgen, ließ mich zögern und die dumme Idee, mich in das Privatleben Paolo´s zu mischen, verwerfen. Auch wenn der Verstand mir einhämmerte, dass ich das verdammte Recht hatte, gewisse Dinge zu wissen.
Nachdenklich begab ich mich zurück ins Cafe und staunte nicht schlecht, als ich die beiden ehrenwerten Herren in ein Gespräch mit Sandra vertieft sah. Sehr zu meinem Unmut übrigens. Denn nachdem ich meine Tätigkeit hinter der Theke wieder aufgenommen hatte, hörte ich für ein paar Sekunden lang, worum es ging. Es hatte den Anschein, als wenn sie Sandra ausfragten.
„Nein, Paolo geht selten aus dem haus. Sein Leben besteht nur aus dem Lokal, ich wüsste ehrlich gesagt auch nicht, wohin er gehen sollte“
„Sandra, hast du daran gedacht, die Waffeln aufzufüllen?“
Das war eher beiläufig in den Raum geworfen, aber letztendlich unauffällig die Einzige Methode, die geschwätzige Sandra von den Typen wegzulocken. Die Blicke der Männer allerdings sprachen Bände. Offenbar wollten sie die kleine noch weiter ausfragen, aber Sandra war zum arbeiten hier, nicht zum reden.
Sandra verabschiedete sich höflich und ging ihrer Aufgabe nach.
Die Männer redeten noch ein wenig und machten den ersten Fehler. Sie redeten in normaler Lautstärke, aber auf Italienisch. Nicht wissend, das ich verstand, was sie sagten. Ein ungewöhnlicher Dialekt zwar, und ich verstand beileibe nicht jedes Wort, aber wenn man den Satz insgesamt verstand, konnten auch einige Worte wegbleiben, der Sinn erschloss sich.
Und es hatte den Anschein, dass sie jetzt täglich bis zu Paolo´s Rückkehr hier einkehren wollten, um ihn ja nicht zu verpassen. So ein Mist.
Ich ließ mir nichts anmerken, und als die beiden Typen sich anschickten, zu gehen, ritt mich der Wahnsinn.
„Ich bekomme noch 10 Euro, meine Herren“ Sagte ich deutlich, aber in eher neutralem Ton.
„Scusi, 10 Euro? Warume?“
„Offensichtlich haben Sie gestern vergessen, Ihren Cappuccino zu zahlen. Kann ja mal vorkommen“ Sagte ich gönnerhaft, ahnend, dass ich einen gefährlichen Weg beschritt.
Die beiden sahen sich an. Ungläubig, dass jemand es wagen würde, Geld für ein Heißgetränk zu verlangen.
„Senti Amico, wase wenn wir nixe bezahle? Wir sind Freunde von Paolo“
„Davon weiß ich nichts und Paolo hat mir ganz eindeutig gesagt, bevor er abgereist ist, dass es Kredit nicht gibt. Also? Weil, ansonsten müsste ich Ihnen Hausverbot erteilen, und das wollen sie doch nicht, oder?“
Ich spürte eine heiße Welle der Röte in mein Gesicht schießen, mein Herz pumpte aufgeregt Unmengen Adrenalin durch meine Blutbahn und ich bereute meine vorlaute Klappe bereits jetzt.
Der Kleinere von beiden zog mit Leichenbittermine einen Zehner aus der Tasche und sah mich an, als hätte ich seine Mutter beim onanieren erwischt.
Aber für mich war es eindeutig ein Indiz dafür, dass sie unauffällig bleiben wollten. Gut, das war zu spät, aber ich konnte den beiden immer noch Unwissenheit vorspiegeln. Und das klappte ganz gut, wie es aussah.
Höflich und freundlich bedankte ich mich und wünschte den beiden einen guten Tag.
Aufatmend sah ich zu, wie die beiden Typen das Lokal verließen. Der Stein, der mir vom Herzen fiel, musste das Gewicht des Mittelgebirges haben. Aber ich wusste doch, dass der Stress wohl noch anstand. Und mit jedem Tag, den die hier rumwimmelten, wurde es nicht gerade besser.
Trotzdem beobachtete ich weiter. Die beiden stiegen in einen dunkelblauen Lancia Thema Kombi. Osnabrücker Nummer.
Wie sagte mein Ausbilder immer: Know your Foe. Kenne deinen Feind. Information war schon immer der Schlüssel.
Ich suchte die Nummer der Zulassungsstelle heraus.
„Hallo, Müller ist mein Name, ich habe da ein Problem. Ich habe gerade beim parken ein Auto beschädigt und warte und warte, aber nach einer Stunde warten kam immer noch niemand, dann ging ich kurz austreten und als ich zurückkam war der Wagen weg. Was soll ich tun?“
„Ach so, die Polizei. Ich wollte eigentlich die Polizei da heraushalten, weil ich keinen Zettel…. ja. Ach das wäre furchtbar nett. Ich danke Ihnen. Ja, ich habe was zum schreiben“
IMPEX Holding m.b.H. in der Hansastrasse
Ich bedankte mich aufs herzlichste bei der jungen Dame. Klicktel. IMPEX Holding, aha. Ich nahm mir vor, ein wenig weiter zu forschen. Aber im Telefonbuch waren sie nicht aufgeführt und in den gelben Seiten ebenfalls nicht. Und nun? Google. Aber auch dort nichts.
Ich rief die IHK an. Als Handelsvertreter musste ich dort eingetragen sein und die wohl auch.
Und dort erfuhr ich, dass es sich bei IMPEX um eine Import/ Export- Firma für Fleisch aller Art handelte. Eine offizielle Firma also. Das war aber anscheinend erst einmal Einbahnstrasse. Außer, dass man „Fleisch“ auch anders verstehen konnte. Aber egal, jede Information nützte. Rainer kam mir in den Sinn. Ein ehemaliger „Kollege“ aus der Offiziersschule, der jetzt Broker in Düsseldorf war.
Und er freute sich wirklich, mich zu hören. Bis ich zu dem Problem kam. Vor 6 Jahren hatte Rainer Besuch bekommen. Eine Delegation Russen, die mehrere Hunderttausend, damals noch DM, in Warentermingeschäften anlegen wollten. Auch auf Rainers dringenden Appell, die Finger von Afrikanischem Kupfer zu lassen, wollten die Jungs par tout nicht hören. Und verloren insgesamt 540000 DM. Rainer schüttelte damals nur den Kopf.
„Wer nicht hören will, muss bluten“ War seine Aussage damals zu den 5 russischen Jungs, aber das stachelte deren Wut nur an und sie begannen, ihm zu drohen. Ich kenne Rainer. Wenn er sagt: Finger weg, dann ist das so.
Das Dumme war nur, dass am nächsten Morgen 2 schwarze Limousinen vor seinem Haus standen, offenbar um ihn abzufangen, wenn er das Haus verließ. Für solche Fälle hatte er eine Nummer. Blöderweise hatte nur er die Nummer von Charly. Aber er nutzte sie und innerhalb einer Stunde parkten drei weitere Limousinen vor Rainers Haus.
Insgesamt 9 Muskelberge stiegen dort aus, umzingelten die armen, verdutzt guckenden Russen. Charly selbst sah aus wie die Inkarnation von Hulk Hogan, nur eben mit vollem Haar. Er ging zum vordersten Wagen, riss ungefragt den Schlag auf, packte den Chef der Truppe am Kragen, riss den Hänfling aus dem Wagen und setzte ihn aufs Dach seines Wagens, als wäre der Typ ein Stofftier.
„Hör zu Junge. Ich sag dir mal kurz wie das jetzt läuft. Wir polieren euch jetzt die Fresse. Dann holt ihr Verstärkung und poliert uns die Fresse. Dann komme ich mir der ganzen Truppe. Ich schneide dir deinen verdammten Kopf nicht ab, sondern deiner Frau, deinen Kindern, deinen Großeltern, deiner kompletten Verwandtschaft. Wie lange denkst du, kann das weitergehen?“
Der Russe, eben noch kampfbereit und selbstsicher, sackte zusammen wie ein Häuflein Elend.
„Eines noch“ Sagte Charly und setzte einen drauf „wenn meinem Freund da oben etwas passieren sollte, und sei es, er stolpert und verstaucht sich den Fuß, dann komme ich sofort zu dir. Und glaub es mir, mein Freund, ich finde dich“
Ohne Mister Großkotz nur eines einzigen Blickes zu würdigen, setzten sich die lebenden Kampfmaschinen in ihre Autos und ließen 6 verdatterte und vollkommen ratlose Russen zurück, die sich zitternd in ihre Autos setzten und losbrausten. Rainer hat keinen von denen je wieder gesehen.
„Ich glaube nicht, dass Charly sich mit der Mafia anlegen will, aber ich frag ihn trotzdem. Vielleicht hat er ja ein paar gute Tipps.“
Also warten.
Die eigentliche Arbeit lief quasi wie von selbst, nur eben dass ich mit meinen Gedanken nicht wirklich bei der Sache war. Außer Sandra fiel das aber niemandem auf. Und ihr fragendes Gesicht sprach Bände.
„Hör zu Sandra, ich will nicht weiter drüber reden, und sei nicht böse, aber wenn die Typen von vorhin dich was fragen, antworte in Hülsen oder sag einfach nichts. Nicht böse sein, es geht nicht gegen dich, aber es gibt Dinge, die du wirklich nicht wissen musst. Kannst du damit leben?“
Sandra nickte stumm und mit riesengroßen Fragezeichen im Gesicht. Sicherlich wollte sie alles wissen, hatte aber zumindest eine Ahnung worum es ging und hielt dankenswerterweise die Klappe. Und mit Sicherheit spürte sie diese Wolke aus Drohung und Unheil ebenso.
Ich hatte wirklich nicht bemerkt, dass Caro und Petra mittlerweile an ihrem Tisch saßen. Erst ein ungeduldiges: „Hallo?!?“ ließ mich hochschrecken.
Caro wie immer abgewandt, wortkarg, in sich gekehrt, Petra blitzend und blinzelnd und offenbar schelmischer Laune.
Cappuccino und Wasser, wie immer. Ich fragte gar nicht erst, sondern brachte die Getränke stumm an den Tisch, in Gedanken immer noch bei Charly und wie sein Urteil ausfallen würde.
„Ähm, eigentlich wollten wir heute etwas anderes bestellen“ Riss Petra mich aus meinen höllischen Träumen.
„Oh schuldigung“ Murmelte ich und fühlte mich einmal mehr vollkommen deplatziert. „was hätten Sie denn gern?“
„3 Gläser Prosecco bitte. Und nicht den aus dem Kühlschrank, sondern den, den Ihr Chef hinten versteckt hat“
Oh verdammt, es gab ein Geheimversteck? Mich wunderte nichts mehr und nach einigem suchen fand ich tatsächlich einen edlen Tropfen aus einem Turiner Gebiet. Selbst die Flasche sah edel aus.
Sorgfältig goss ich 2 Gläser ein und brachte sie den Frauen.
„Äh, sagte ich nicht 3 Gläser?“ Petra hatte eine so eklig süffisante Art, mich vorzuführen.
„Wirklich? Für wen soll denn das Dritte sein?“
„Für Sie“ Antwortete Caro ganz unverhofft und mir fielen beinahe alle Plomben aus den Zähnen.
Eilig holte ich ein weiteres Glas, begab mich mit dem Hauch einer leichten Röte zu den Damen und fragte beiläufig, was es denn zu feiern gab.
„Caros Geburtstag“ Eröffnete mir Petra die Neuigkeit, in einem Tonfall, als hätte ich das wissen müssen und irgendwie mit leichten Tadel versehen, wie man ein Schulkind maßregelt, das vergessen hatte, sich die Schuhe anzuziehen. Und damit reichte es, ich war wieder ganz in dieser Welt.
„Na dann, trinken wir auf all unsere Lieben, die es heute verpasst haben, an diesem schönen Tag bei uns zu sein“
Unter normalen Umständen ein tödlicher Spruch, wenn man bedenkt, dass erst 6 Jahre um waren, aber es war ehrlich gemeint und kam von Herzen. Auch wenn ich mir das selbst erst sehr viel später zugestehen wollte. Denn Caro hatte mich vom ersten Moment an fasziniert. Nur eben, dass sie dieses Interesse mit dem Dampfhammer in Grund und Boden geschlagen hatte.
Petra sah zunächst entsetzt aus, aber ihr Gesicht wandelte sich in Anerkennung. Besonders, weil Caro augenscheinlich verstanden hatte, was ich sagen wollte.
Die Gläser klingelten aneinander und ich nahm einen Schluck Prosecco. Eine Minute später wurde mir auf schmerzhafte Weise deutlich, das ich ein wenig hätte essen sollen und ich musste mich setzen.
Eine gemurmelte Entschuldigung heraus quetschend plumpste ich auf den Stuhl.
„Großer Gott, sie sehen aus wie ein Geist“
„Bin ich auch“ antwortete ich aus tiefster Überzeugung „ich bin seit einem Tag tot und wandle nur noch deshalb unter euch Lebenden, weil ich zu stur bin ins Licht zu gucken“
Petra lachte gekünstelt, Caro verzog sogar die Mundwinkel? Gott im Himmel, eine emotionale Reaktion, das war nicht zu glauben.
„Und trotzdem denke ich ( ich wurde aufgrund des leichten Schwindels, der mich erfasst hatte, ziemlich mutig) , dass wir noch einmal trinken sollten, und zwar auf die nächsten 25 Jahre“
„Warum 25?“ Petras Neugier sprach ungehemmt aus ihrer Mimik.
„Na weil das Geburtstagskind dann doppelt so alt ist wie heute, und noch ebenso fabelhaft aussehen wird, wie heute“
Das war es dann endgültig.
Caro drehte sich zu mir. Sah mir unverhohlen ins Gesicht, musterte mich mit der kühlen Schärfe einer Damaszenerklinge, die Maß nimmt. Ihre Augen, dunkel und tief. Die Haut, ebenmäßig und anbetungswürdig. Allein ihre Figur, sie… ich riss mich los.
Konnte das sein? Ein Schluck Prosecco und ich lallte wie ein Jugendlicher?
Contenance, Monsieur! Jede Erwiderung, das Alter anspielend, im Keime erstickend, redete ich wie ein Idiot und wusste erst was ich sagte, als ich die Worte über meine Lippen hüpfen spürte.
„Meine Damen, was halten Sie davon, wenn ich heute Abend, sagen wir einmal, zu vorgerückter Stunde, ein Geburtstagsmahl für Sie zubereiten würde? Sozusagen als Eisbrecher und zur Feier des Tages?“
Der Verstandesteil in mir schüttelte gerade stumm und voller Verzweiflung den Kopf und zeigte mir das Tarot- Bild eines Narren, der emotionale wiegte bedächtig den Kopf und wusste nicht was er sagen sollte, denn da war zwar kein unbekanntes Terrain, aber ein gewagter Stunt.
„An was dachten Sie denn?“ Petra wieder, ich hätte die Antwort gern von ihrer Freundin gehört.
„Nun, als L hórs deuvre dachte ich an von mir handgerollte Sushi. Dazu reiche ich wohltemperierten Sake. Es wird Kropoek geben und als Krönung des Ganzen verschiedene würzige Saucen.
Der Hauptgang besteht dann aus am Tisch zubereitetem Sukiyaki, meiner Spezialität. Zum Hauptgericht einen alten japanischen Wein, und falls der nicht schmecken sollte, als Alternative eine Flasche Nebbilo D´Alba. Der Nachtisch besteht aus gebratenen Eis, anschließend, sofern die Damen zufrieden waren, würde ich gerne die japanische Teezeremonie mit Ihnen zelebrieren.“
Die beiden sahen mich an, als wäre ich gerade aus einer Raumkapsel gestiegen und ich schalt mich einen Narren. Allein die Vorbereitungen für ein solches Mahl würde mich den Rest des Tages kosten und ich verstand mich selbst nicht mehr. Welcher Teufel hatte mich geritten?
„Wann… und wo?“ Fragte Caro und es dauerte diverse Unendlichkeiten, bis ich die implikative Zustimmung in ihrer Frage verstanden hatte.
„23 Uhr, hier im Restaurant. Besonders Mutige kommen in stilechter Kleidung“ Tonlos und verdattert registrierte ich, dass ich wohl die Zweite Aushilfe anrufen musste.
Meine beiden Aushilfen waren mit Feuereifer bei der Sache. Rote Vorhänge und allerlei Dekoration war schnell gekauft, ein paar Trennwände dekorativ so aufgestellt, dass ein weiter Bereich abgegliedert wurde.
Das an Montagen grundsätzlich nicht viel im Restaurant los war, erleichterte die Sache ungemein, so dass wir den „japanischen“ Bereich vor den Augen der wenigen Gäste verborgen halten konnten. Ein flacher Tisch und Kissen waren nicht das Problem, halbwegs stilecht aussehende Papierlampen auch nicht, IKEA sei Dank.
Die heiße Platte allerdings stellte mich vor ernsthafte Probleme, die ich dann aber geschwind löste, indem ich für viel zu viel Geld eine vernünftige Basaltplatte aus dem Piesberger Steinbruch organisierte. Ich legte sie einfach auf 2 Tischgrills. Mit ausreichend Vorlaufzeit sollte das gut funktionieren.
Auf was für Ideen man kommt, wenn es nur wichtig genug ist….
Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Diesen Feuereifer hatte ich seit Monaten, vielleicht seit Jahren nicht gespürt. Die Zeit verflog, als gäbe es keine. Vergessen war Paolo, das Cafe, die Mafia… und Charlys Anruf. Und der kam gegen 22:25, gerade als ich mich voller Vorfreude in meinen Kimono zwängen wollte, nachdem ich die beiden Mädchen mit ausgesprochen wohlfeilen Worten, voll des Dankes und des Einsatzes mit einem Extrabonus nach Hause entließ.
„Hey du, sag mal was geht denn bei dir ab?“
Ich erzählte Charly von den beiden Herren, die hier so unerwartet aufgeschlagen waren und mich aus meiner schönen traurigen Welt rissen. Ich erzählte alles und ließ nichts aus. Atemlos wartete ich ab.
„Erstens. Geh und hol das Buch. Die Kanone nimmst du auch mit. Versteck das Buch, behalt die Kanone. Ach am besten du machst den Laden zu und verziehst dich.“
„Warum denn? Solange Paolo nicht zurück ist, kann doch nicht viel passieren oder?“
„Willst du dein Leben drauf verwetten?“
„Nee“
„Also. Laden zu und verkriechen. Am besten in Urlaub fahren und nie wieder kommen, dein Freund Paolo ist mit Sicherheit schon tot.“
„Sag mal Charly, nimmst du mich auf den Arm?“
„Nein, das ist todernst mein Freund. Diese Holdings kenne ich. Neu, vollkommen anders als zuvor. Die mussten sich hier gegen Triaden durchsetzen, gegen die Russenmafia und gegen die verkackten Albaner und die Jugos. Und sie haben es geschafft. Die Bande ist Ultrabrutal, die gehen über Leichen. Es könnte denen nämlich einfallen, den Laden runterzuschlucken, wieder auszukotzen und deinem Paolo das Gewürge in einer Geschenkschleife als Willkomensgruß zu präsentieren. Und ob dann noch einer oder 100 in dem Laden stecken, interessiert die nicht für 10 Sekunden. Wenn die nämlich neu sind in Osnabrück, dann wird genau dieser Laden als Referenz herhalten müssen. Und wenn das funktioniert, zahlen die anderen freiwillig. Ich hoffe ich habe mich klar ausgedrückt. Denn ich lege mich mit denen auf gar keinen Fall an, klar?“
„Glasklar“ Ich war sprachlos.
„Noch etwas. Wie oft waren die schon da?“
„Zwei Mal, warum?“
„Dann zieh dich warm an, dreimal kommen die nicht“
„Und was heißt das?“
„Na denk mal nach, du bist doch nicht auf den Kopf gefallen“
Verdammt, verdammt, verdammt. Ich Idiot hatte wirklich gedacht, Charly wiegt das Ganze ins harmlose. Alles nicht so schlimm, es gibt Schlimmeres. Aber es war wohl doch anders und ich steckte mitten drin.
Morgen früh würde ich hier sein und Schilder in den Eingang hängen: Wegen Trauerfeier geschlossen. Nein am besten heute Nacht noch. Auf so einen Mist hatte ich absolut keine Lust.
Das zaghafte Klopfen an der Türe ließ mich erschrecken, als wäre der Leibhaftige vor der Tür. Mist, Caro und Petra. Die beiden hatte ich glatt vergessen. Und einen Rückzieher konnte ich kaum noch machen. Oder?
Überschwänglich aber ernst begrüßte ich die beiden und registrierte gar nicht, dass beide in einem langen Mantel steckten.
„Hört mal, ihr beiden. Ich bin fast sicher, dass ich da einiges versalzen habe. Wollen wir nicht in ein schickes Restaurant gehen? Ich bezahle selbstredend alles.“
Wie auf ein geheimes Kommando schälten sich die beiden Damen aus ihren Mänteln und ich traute meinen Augen kaum. Sie sahen aus wie Geishas. Woher zum Teufel hatte die in dieser kurzen Zeit die Klamotten her? Sogar echte Geta ( japanische Holzsandalen, die unter der Lauffläche hölzerne Querstreben haben, um auch trockenen Fußes durch schmutziges Gelände zu gehen. Es ist sehr schwer darauf zu laufen) hatten sie organisiert. Nicht nur das, sie konnten sogar darauf laufen ohne dass es aussah, als wären sie angetrunken.
„Sollen wir so in ein Restaurant?“
Nun konnte ich nicht mehr zurück. Auf keinen Fall. Gott, was für ein prachtvoller Anblick. Sogar Petra hatte etwas gewonnen, das man getrost als erhabene Anmut bezeichnen konnte. Von der zierlichen Caro ganz zu schweigen. Ihr stand die Kleidung, als wäre es für sie geschneidert worden.
Mit einer einladenden Geste führte ich die Damen in den japanischen Bereich, der verblasste gegen die Schönheit und Anmut der Damen.
Caro in Sakura- Weiß, mit goldenen Ornamenten und perfekt sitzendem Knoten, Petra in sündigem Rot, ebenfalls mit goldenen Stickereien.
Als ob sie niemals etwas anderes gemacht hätten, setzten sie sich an den flachen Tisch.
Ich servierte den Sake und wir stießen an.
„Itadakimasu“ Raunte ich, das Mahl eröffnend und nippte am Sake. Erst dann tranken die Damen und ich wunderte mich abermals. Sie waren mit den fernöstlichen Sitten vertraut.
Und doch glitt mein Blick unwillkürlich an den Abtrennungen vorbei, immer wieder auf die Strasse….