Hallo Bourdon.
Danke für die netten Worte. Nein, Psychologin bin ich nicht. Doch wir Leys haben schon eine Menge hinter uns und hatten/haben auch viel Austausch zu anderen Betroffenen von Gewalt und/oder Missbrauch.
Da sammelt sich natürlich einiges an.
@ Acivasha:
Ich kann verstehen, wenn Du so denkst. Wahrscheinlich hast Du ein intaktes Selbstbewusstsein, bist noch nie geschlagen worden und kennst finanzielle Abhängigkeit nicht, oder in nur sehr milden Formen. Das freut mich ehrlich. Es ist schön zu hören, wenn es noch Menschen gibt, die ohne Gewalt aufgewachsen sind.
Wenn Du aber dies Problem hier verstehen willst, dann müsstest Du Deinen Standpunkt für einen Augenblick verlassen. Versetz Dich mal in die Freundin der TE. Stell Dir vor, Du hättest eine Kindheit gehabt in der Du keine positiven und stärkenden Botschaften bekommen hättest. Stattdessen wären es nur Sätze gewesen, wie: "Ich hab Dir schon hundertmal gesagt, dass" - "Du kriegst auch gar nichts auf die Reihe!" - "Wie blöd bist Du eigentlich?" - "Ich hab keine Lust mit Dir zu reden." Diese Liste liese sich endlos fortsetzen mit noch deutlich negativeren Botschaften. Und dann geh weiter in der Vorstellung. Du wirst erwachsen und versuchst irgendwie Deinen Weg zu gehen. Aber es ist nicht viel Geld da, die Ämter stellen Anforderungen durch die Du nicht durchblickst und dann lernst Du diesen netten Typen kennen, der eine nette Wohnung hat, zärtlich zu Dir ist, vielleicht auch mal positive Botschaften vermittelt und Du könntest dort wohnen und Deine Ausbildung machen.
Es gibt immer wieder auch Augenblicke wo komische Dinge passieren. Du spürst er trinkt gerne mal mehr. Verhält sich dann komisch. Aber was solls. Jeder hat Fehler und zu Dir ist er ja nett. Dann trinkt er das erste Mal etwas mehr und schmeisst einen Teller an die Wand. Du kriegst Angst und bringst Dich in Sicherheit. Am nächsten Tag wird er wieder nüchtern und entschuldigt sich bei Dir. Mit allem drum und dran. Ja, und dann stehst Du da. Du wohnst bei ihm, hast auch gar nicht die Möglichkeiten einen eigenen Haushalt zu stellen, wenn Du Dich also von ihm trennst, wohin dann?
Du bist nicht doof. Deine innere Stimme sagt Dir genau, es läuft nicht gut, aber die Hilflosigkeit in Dir lässt Dich hoffen. Vielleicht ändert er sich.
Die Spirale setzt sich fort. Man fragt Dich wies Dir mit ihm geht und Du kannst unmöglich von den Vorfällen erzählen. Schließlich weißt Du ja, man sollte sich sowas nicht gefallen lassen. Also beginnst Du zu lügen. Bei mir ist alles in Ordnung. Alles gut.
Aber es wird schlimmer, mittlerweile schmeisst er nicht nur einen Teller an die Wand, mittlerweile rastet er richtig aus. Eines Abends rufst Du um Hilfe. Voller Scham, weil Du ahnst alle werden sagen, Du hättest doch einfach gehen können. Man bietet Dir zwar Hilfe an, aber keine die Dein Problem löst. Du bist in einer Ausbildung, Du brauchst eine Wohnung, nach Hause möchtest Du nicht mehr, Geld hast Du auch keines (oder zu wenig) und unter der angebotenen Hilfe ist keiner der sagt: "Bei mir kannst Du wohnen. Mach Dir keinen Kopf, wir kriegen das schon hin. Ich geh mit Dir zu den Ämtern, helfe Dir Sozialhilfe zu beantragen und finde mit dir eine eigene kleine Wohnung." Nein. Keiner sagt das. Alle sagen immer nur: "Warum verlässt Du ihn nicht endlich?"
Also wiegt die Angst vor dem Leben, was Dich erwartet schwerer, als die Angst vor dem Mann im Haus. Du findest Möglichkeiten Dich zu schützen. Wenn er jetzt wieder trinkt, gehst Du einfach raus. Oder zu Freunden in der Gegend. Du hoffst, er schläft schon oder ist nüchtern wenn Du wieder kommst. Meistens geht Dein Plan auf, manchmal nicht, dann erwartet Dich der Horror.
So ziehen die Monate ins Land. Kein Mensch weiß wie schlimm es mittlerweile ist, Deine Maskerade hält. Deine Scham indes wird größer, schließlich lügst Du Freunde an. Die Vorwürfe gegen Dich selbst vernichten immer effektiver das letzte bisschen Selbstvertrauen und einen Ausweg wird es höchstwahrscheinlich erst geben, wenn Du Deine Ausbildung schaffst und eigenes Geld verdienst. (Dieser Weg scheitert oft, weil unter den gegebenen Umständen Lernen nur schwer möglich ist.) Oder aber Du triffst auf Menschen die Dir in der Übergangsphase Deines Lebens helfen. Die dritte Möglichkeit tifft am häufigsten zu: Du nimmst irgendwann so großen Schaden, dass die Angst vor Deinem Freund größer ist, als die Angst ohne Heim und Geld dazustehen.
Vielleicht verhält es sich bei der Freundin der TE anders. Aber sehr oft stecken Geschichten wie diese hinter häuslicher Gewalt.
Die betreffenden Frauen sind nicht glücklich. Sie haben nur schlicht all die Lösungswege nie kennen gelernt, die unser Gesellschaftssystem bietet. Hätten sie das Selbstbewusstsein zum Amt zu gehen und zu sagen "Ich brauche Geld!" oder sich in ein Frauenhaus zu begeben (die gibt ja auch nur in größeren Städten) dann wären sie wohl kaum in diese Lage geraten. Das Selbstbewusstsein ist eben einfach nicht da. Die Angst ohne Geld und Heim dazustehen ist keine eingebildete Angst, sie ist absolut real.
Leider steht den Betroffenen ihre Scham sehr oft im Weg. Hätten sie sie nicht, würde es ihnen leichter fallen Hilfe anzunehmen. Doch die Lösung des ganzen ist nicht, sich abzuwenden und zu sagen "Selbstschuld" (das sagen sich die Betroffenen sowieso die ganze Zeit).
Wenn sich diese Spirale immer weiter fortsetzt, dann finden sich die Frauen meistens irgendwann damit ab. Gewalt gehört zu ihrem Leben, sie dürfen eben kein Glück haben - Punktum.
Ich weiß nicht, ob es nötig ist darüber ein Urteil zu sprechen. Ist die Frau dann dumm? Oder ist die Lage einfach wie sie ist? - Traurig und irgendwie auch ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, weil meistens sehr viele Stellen versagt haben, die nicht versagen sollten.
Eine Ley