Gänseblümchen
Ich gehöre nicht zu den Hübschesten, ich weißAber ich bin dafür eine seriöse, ernsthafte Blume
Auf mich ist Verlass und ich erfülle meine Pflichten arbeitsam:
Ich blühe ausdauernd am längsten, vom Frühjahr bis in den Herbst hinein
Dennoch bleibe ich meist unbemerkt unscheinbar
Nicht einmal wenn ich fehle, fällt es auf
Im Gegenteil
Ist ein englischer Rasen doch erst einer
Wenn ich gar nicht da bin
Kaum werde ich einmal beachtet und geachtet
Und bin stets das Ergebnis keiner besonderen Wahrnehmung
Ich, die Schwester meines eigenen Daseins, frage mich dann oft
Wo sich bei mir die Energie verbirgt
Ein möglicher Freiheitsdrang, eine Willenskraft
Um endlich aus allem auszubrechen?
Wie kann es sein
Dass ich meine wahre Persönlichkeit so weit abwürge
Dass an der sichtbaren Oberfläche nur
Nichtigkeit, Ergebenheit, Entsagung übrig bleiben?
Warum werde ich ständig übersehen?
Ist etwa meine Mutter
Die Natur für meine verunglückte Dressur mit ihrer alles bezwingenden Vitalität anzuklagen?
Nein
Es ist meine Angst vor dem Leben
Meine Scheu vor der Herausforderung mich offen zu messen
Mit den Selbstsicheren, den Selbstherrlichen, den Selbstgerechten
Aber ich lerne dazu und arbeite - wie gewohnt - hart
Und wenn ich groß bin
Werde ich eine edle hochstängelige Margerite!