Vom Nutzen und Nachteil der Suchmaske
Mag sein, daß Sympathie aufkommt bei irgendeinem Chat. Doch Sympathie womit? Mit der Stimme des anderen? Mit seinen lebendigen Augen? Mit dem Gedanken! werden jetzt die meisten sagen. Doch was ist ein Gedanke ohne Stimme? frage ich. Und wer sagt, daß es nicht reiner Zufall war?
Da sind Mailwechsel, die laufen wie ein Selbstgespräch. Stehen sich die beiden aber nach Austausch von Zeit und Ort in eben jener Zeit und an eben jenem Ort gegenüber, ist nichts mehr da. Ein ganz und gar Fremder und eine ganz und gar Fremde bilden sich ein, etwas verloren zu haben.
Und dann wieder sind da die nachlässigsten, lieblosesten Textfetzen, vor dem Schlafengehen hingeworfen, die nur deshalb zu einem Treffen geführt haben, weil man zu träge war, weiter zu schreiben. Und steht man sich gegenüber, ist alles, was man sagt und tut, auch vom anderen so gemeint, genauso gemeint und also richtig, sehr richtig gemessen an den Gesetzen der kleinen Welt, die sich zwei Menschen erschaffen können.
Kurz und gut: Das Internet ist nichtssagend. Es sagt nichts über die Welt und uns, die wir in ihr sind.
Und doch ist es ein großes Werkzeug für den radikalsten Subjektivismus, den es je gegeben kann. Denken wir uns jemanden, der den Anspruch hat, sich nur mit denen zu umgeben, die so gut zu ihm passen, wie keine anderen auf dieser Welt.
Passen ist eine relative Angelegenheit und so wird er eine Näherungswert anstreben, einen Annäherung an das Ideal, allein sich selbst zum Idealmaß seiner Freunde und Gefährten zu machen.
Die durchschnittliche Paßgenauigkeit der Resultate bei einem Suchvorgang steigt proportional zur Menge der Fälle, die abgesucht werden können.
Wo lassen sich mehr Menschen absuchen als im Internet? 10, 20, 30 Resultate in einer Spalte, 10,11,12 Spalten nur für Leipzig sagen wird. Hunderte, die vorüber gehen mit Name, Gesicht, und Maske, ja nur Maske zwar, doch immerhin.
Wir können unter Menschenmengen suchen, die uns ohne das Internet völlig unerfahrbar bleiben müssten. Suchen können wir und filtern, was uns paßt und zu uns paßt.
Doch was ist das für eine Suche, wenn hier alles nichtssagend ist? Lohnt es sich überhaupt? Ist es nicht ein sinnloses Werkzeug?
Die Zeichen, die das Internet austauschbar macht, können irre führen. Aber ihr grober Sinn läßt sich erfassen. Ein Bild sagt nicht viel, aber etwas.
Der Kompromiß heißt, nicht zu lange und zu tief suchen. Das Internet taugt nur zur alleroberflächlichsten Auswahl nach festen Parametern: Alter, Geschlecht, Gewicht – ein Bild – Bildungsstand. Das wars.
Man sollte sich also nicht zu lange aufhalten. Das Internet ist nicht die Welt. Es ist – wie ja schon sein Name sagt – ein Netz. Ein Netz wirft man aus und zieht es ein und dann schaut man, was darin zappelt. Die Begutachtung der Funde und Fänge kann einem das Netz nicht abnehmen. Es will nicht zu engmaschig geknüpft sein, sonst verfängt sich allerlei Unrat, aber auch nicht zu weit. Es erleichtert die Suche.
So komme ich zu dem kategorischen flirt-Seiten-Imperativ, der da lautet: Sprecht nicht zu lange durch diesen seltsam Vorhang mit euch, vertrödelt nicht eure Lebenszeit vor den virtuellen Schaufenstern! Leute, trefft euch nach, sagen wir, spätestens sieben Mailwechseln, besser aber schon nach dreien.
Seid ihr dann wieder auseinander gegangen, gut, dann mögt ihr Probleme diskutieren und Verhandlungen führen, so viel es euch behagt, ihr mögt euer Treffen kommentieren und das nächste organisieren. Doch das erste Treffen, zögert es nicht hinaus! Denn erst danach wißt ihr, was ihr wissen wollt. Und darauf kommt doch alles an: Wollen, Wissen, Leben.
Und was wäre die Alternative dazu? Cybersex und Digicam. Das Internet, eben doch kein Sprungbrett und keine Durchgangsstation, wie ich es will, sondern ein Raum für den Daueraufenthalt.
Ein bloßer Schein, dem nichts mehr gegenübersteht, der nichts mehr repräsentiert außer sich selbst. Ein ungedeckter Scheck, ein Banknote ohne Wert, ein Ort der Selbstbeschäftigung und –befriedigung, l’art pour l’art, potenziert in der Virtualität. So als käme es schon gar nicht mehr darauf an, einen Weg ins richtige Leben zu finden, sondern sich gemütlich einzurichten im Bildschirmlicht.