polyamor
Mein Mann und ich haben in einer polyamoren Beziehung für die letzten acht Jahre unserer Ehe sehr glücklich gelebt. Nach der großen Krise haben wir nach einem Weg gesucht, dass wir uns wieder vertrauen können. Wir waren so verdammt auf der Hut miteinander, weil wir das Gefühl hatten, mit einer falschen Bewegung das ganze mühsam gekittete Porzellan wieder zu zerschlagen. Das war unglaublich anstrengend.
Und da hab ich mich verknallt. So richtig wie ein Teenager, mit rosa Herzchen in den Augen. Ich saß heulend vor meinem Mann und schluchzte, dass er mich rauswerfen sollte, ich würde jetzt alles zerstören, was wir so mühsam aufgebaut hätten, blablabla. Ich bin fast gestorben vor schlechtem Gewissen. Und mein Mann nahm mich in den Arm und fragte, ob ich glücklich wäre, ob der andere mich glücklich machen könnte, ob ich das nicht erstmal ausprobieren wollte, weil ich doch so scheiße unglücklich gewesen wäre in den letzten Jahren. Und ich fragte gefühlt drölf Millionen mal, ob ich ihn nicht wahnsinnig verletzen würde damit. Er hat mir dann sehr ausführlich und geduldig erklärt, dass er vor allem unglaublich unglücklich würde, wenn wir uns trennten. Ich reagierte total heftig darauf. Und uns wurde klar, dass wir uns gar nicht verlassen wollten. Und so haben wir das ausprobiert. War ein totaler Reinfall, der Typ war ne Katastrophe, und am Ende saß ich wieder heulend bei meinem Mann, um mit ihm das Desaster zu bekakeln. Er war mein bester Freund, mit niemandem hätte ich das so besprechen können. Und er konnte ganz gelassen feststellen, dass unsere Ehe durch sowas nicht ins Wanken geriet, sondern im Gegenteil wir noch enger zusammenwuchsen. Nach ein paar Fehlversuchen war ich dann sechs Jahre mit jemandem zusammen, mit dem mein Mann dann auch befreundet war. Wir fuhren zu dritt in Urlaub, verbrachten die Wochenenden zusammen. In dieser Zeit hatte mein Mann ein paar Affären, er wollte keine feste Beziehung, mit dem Argument, dass die Damen immer gleich im Haus einziehen wollten. Da war er ganz froh, mit der bissigen Blondine (moi) eine feste Größe zu haben. Denn unser Alltag lief besser denn je. Kurz vor seinem Tod fing er eine feste Beziehung an. Er war sehr glücklich. Seine Freundin lebte in einer ähnlichen Situation wie wir. Wir haben uns gut verstanden, nach seinem Tod haben wir uns gegenseitig getröstet. Diese Freundschaft hielt nicht, aber aus ganz anderen Gründen.
Unser Beziehungsgeflecht war alles andere als selbstverständlich für uns. Wir hatten das nicht geplant. Ich bin ziemlich eifersüchtig, weil ich große Verlustängste habe. Mein Mann hingegen hatte ein Ego, so groß wie ein Haus, der war sich sehr sicher, dass zwischen uns so schnell keiner passt.
Die Voraussetzung für unsere komische Ehe war , dass wir uns immer wieder einander bewusst zuwandten. Immer wieder gemeinsame Dinge, Interessen und Erlebnisse in den Fokus rückten. Konflikte immer austrugen, um keine komischen Gemengelagen entstehen zu lassen. Beieinander zu bleiben, auch wenn es mühsam und schmerzhaft war. Eifersüchteleien direkt auszuräumen, auch wenn wir müde und genervt waren.
Es war anstrengend aber ungeheuer intensiv. Ich glaube, heute könnte ich das nicht mehr. Ich hatte mit Mitte zwanzig meinen ersten Mann sehr plötzlich verloren. Meine Verlustängste waren entsprechend. Ich bin nach dem ebenso plötzlichen Tod meines zweiten Mannes ziemlich paranoid. Ich weiß, dass ich schon in einer monogamen Beziehung bzw. Freundschaft zur Nervensäge mutiert bin (Ruf bitte an, wenn‘s später wird/Könntest Du vielleicht nur ne minikurze Nachricht schicken, wenn Du angekommen bist?/ geht’s Dir wirklich gut?/ hast Du was anständiges gegessen? Ich hab noch Suppe da/ etc.) , ich will mir nicht vorstellen, was ich in einer polyamoren Beziehung so von mir gäbe. Wahrscheinlich so Knaller wie „Hast Du keinen Schal? Das ist kalt draußen!“ oder sowas beklopptes. Meine Ängste nehmen die absonderlichsten Formen an mitunter. Ich glaube, das wäre mir heute viel zu anstrengend. Allemal als Voraussetzung für eine neue Beziehung. Es ist deutlich einfacher, eine bestehende Beziehung auszubauen als sich in einer bestehenden Beziehung einzufügen. Damit meine ich explizit nicht, dass es um Kontrolle geht. Mit so einem Ansatz geht alles garantiert in die Binsen. Polyamorie funktioniert nur mit offener Kommunikation und zwar ganz, ganz viel davon. Mit ganz viel Hinwendung zu den Partnern und beteiligten Personen (muss ja nicht identisch sein).
Ich glaube, mir wäre das heute zu viel.
Ich wünsche mir heute eine innige Zweierbeziehung mit Alltag, Lachen, Leidenschaft und einfach auffem Sofa beim Fernsehen einschlafen, weil man grad so hübsch kuschelt. Und auch einfach mal die Schnauze halten. Weil‘s grad so hübsch ruhig ist.