Eine weibliche Gedankenspiegelung
"Masochistisch - bin ich wirklich masochistisch?Vorhin habe ich mich geritzt. So stark wie schon lange nicht mehr. Nein. Ich bin kein junges Mädchen mehr. Mit 36 ist man kein junges Mädchen mehr. Ich bin leitende Angestellte.
Aber immer wenn Nicko - eigentlich Nickodemus - nicht mehr bei mir ist, ist alles so leer, fade, langweilig, ohne Leben. Dann geht es tatsächlich so weit, dass seine Abwesenheit mir körperliche Schmerzen bereitet. Dann ist es so, als sei mir ein Organ oder eine Extremität entrissen worden ... und wer wollte ernsthaft leugnen, dass dies nicht weh tun würde!?
Dieser Zustand beherrscht mich dann voll und ganz. Und ich will mich nur noch von diesem Schmerz losreißen. Ich will nur noch, dass es aufhört. - Doch nein! Ich will nicht, dass der von Nicko ausgelöste Schmerz aufhört - ist er mir doch so lieb, wie es mein Liebster für mich selbst ist - ich bin es, die stattdessen nicht mehr da sein will, die einfach aufhören will; denn ohne ihn, bin ich doch nichts ...
Nur deshalb habe ich mich vorhin geritzt: Ich wollte meinem Leiden, dass Nicko nicht mehr da ist und ich wieder bis nächstes WE auf ihn warten muss, mit körperlichen Schmerzen ein Ende bereiten. Meine körpereigene Form der Homöopathie, wenn man so will. Denn wenn ich körperlich Schmerzen leide, bin ich nicht mehr ich, dann bin ich von mir befreit, dann bin ich ein Tier; dann gibt es nur noch Schmerzen und sonst nichts auf der Welt; dann ist die Welt der Schmerz; dann bin ich endlich mich selbst los ... und mit mir auch den Schmerz darüber, dass Nicko nicht mehr bei mir ist.
Ja, genau, so ist es: Wenn ich mich ritze, dann ist alles weg, was mein Leben ohne Nicko ist, der ganze Schlamassel, das ganze Unglücklichsein, der Stumpfsinn, die Trägheit, die Langweile, das lebenlose Leben.
Nicko hat gesagt, dass ich seine römische Sklavin bin. Gemeinsam feiern wir Orgien. Er, der römische Adlige - ich, seine Hetäre. Wenn er mich dann züchtigt, weil ich nicht brav bin und ihm gleich den gewünschten Genuss verschaffe, dann sind es noch einmal andere Schmerzen: Schmerzen der Wonne. Immer etwas zu hart sind seine deftigen Liebkosungen, so dass er mich damit martert. Seine Umklammerung, sein Umschlingen, sein Fesseln lässt mich ihn beißen und kratzen, was ihn wiederum mich nur noch mehr strafen lässt ... Dann will ich mit ihm eins sein, mit ihm zusammenfließen, ein Blut werden. Erst recht, wenn sogar ein bisschen mein Blut fließt ... Dann bin ich er ... mit Haut und Haar.
Wenn wir nicht in Rom sind - manchmal denke ich, ich hätte mit ihm schon damals in Rom als seine Sklavin gelebt, wie sonst ließe sich unser inniges Verbundensein erklären!? - nennt mich Nicko immer "sein Mädchen". Unschuldig und rein. Und so fühle ich mich auch. Und trage als äußeres Zeichen weiße Halterlose.
Vielleicht kommen wir alle mit unterschiedlich alten Seelen auf die Welt. Meine Mutter zum Beispiel, war immer schon alt. Sicher besitzt sie eine alte Seele. Aber ich bin eine Sucherin. Ich habe eine junge Seele. Ich werde nie alt. Ich will immer weiter. Dorthin, wo das Unerreichbare ist, nach dem es mich sehnt; dorthin, wo das ist, was mich ausfüllt; immer, jede Minute, jeden Augenblick ... ja, dieses Paradies ist bei Nicko.
Ich esse gerade ... und muss schmunzeln, wenn ich die Gurke sehe. Wie sind meine Schwester und ich früher darüber nicht ins Prusten geraten!?
Oder bei dem Wort "bumsen", ohne dass wir genau wussten, was es eigentlich bedeutet. Bum-bum Boris ... jetzt muss ich sogar lachen ...
Heute denke ich, dass wir auf diese Weise unsere Sexualität begrüßt haben. - Na ja, und sie damit auch ein bisschen verleugnet haben wegen der Angst davor.
Mit 12 war ich schon keine Jungfrau mehr - aus Protest. Und aus Ablehnung von Natur und Gesellschaft. Und aus Ablehnung meiner Mutter sowieso. Und diese Trotzphase ist, wenn ich ehrlich bin, immer noch nicht zu Ende - und ich will auch gar nicht, dass sie zu Ende geht. Denn eins weiß ich sicher: Mein Gefühl von Verliebtsein hat mit Ficken nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun! Dieser beinahe schon chirurgische Eingriff in meinen Körper ist im Prinzip nichts als ein Akt heimtückischer Niedertracht der Natur gegen Frauen! Gegen mich! Gegen alle!
Männer sind da tausendmal besser dran. Männer liegen immer oben. Auch wenn wir Frauen oben sind, sind die Männer doch diejenigen, die oben sind. Uns stopfen die aus - nicht umgekehrt!
Ich wollte nie eine Frau sein. So passiv. So funktional. So ideenlos. So in permanenter Warteschlange, dass endlich etwas mit mir passiert ...
Darum will ich einen Leitwolf und nicht irgendeinen. Einer echten Herrschaft will ich mich schon mein ganzes Leben unterstellen. Aber alle, die bisher einen Versuch wert schienen, erwiesen sich noch als gewöhnlicher im Vergleich zu mir - so sehr, dass mich Männer lange Zeit nur anwiderten ...
Ich habe meinen Stolz. Und ich kenne meinen Wert. Es ist mein Entschluss, mein freier Entschluss, wem ich mich unterwerfe. Treu und verbindlich. Wenn ich nicht mehr ich bin, dann ist es der Richtige. Damit ist nicht gemeint, dass ich Nicko fasziniere, weil er mit mir als seelenlosem Ding machen kann, was er will - damit ist vielmehr gemeint, dass ich allein es faszinierend finde, dass er mit mir machen kann, was er will!"