Es war zu Beginn der Pubertät, als ich mich in einen Jungen verliebte und ihn auch sexuell begehrte. Das war ein riesiger Schock für mich, da ich dachte, ich sei jetzt schwul. Und Schwulsein war damals, Anfang der 70er Jahre, noch etwas ganz schlimmes, krankes und kriminelles (damals gab es noch den §175). Mein erster Gedanke war, wenn das meine Eltern erfahren, schlagen sie mich tot. Das Wort schwul wurde bei uns in der Familie nie benutzt, mein Vater sprach höchstens mal über die 175er, die damals (in der Nazi-Zeit) ins Lager gekommen wären (auch der §175 stammte aus der Nazi-Zeit).
Verwirrt hat mich nicht nur der Umstand, dass ich ja auch Mädchen mochte, sondern auch der beginnende Wunsch, ein Mädchen zu sein. Ich glaubte ganz einfach, ich sei total verrückt.
Das lag halt auch an der mangelnden sexuellen Aufklärung, ich kannt z.B. den Begriff Bisexualität gar nicht und war der Meinung, ich wäre der einzige Mensch auf der Welt, der so bekloppt ist.
Und reden konnte man ja mit niemandem darüber.
Trotz der großen Schwierigkeiten und der panischen Angst, dass etwas raus kommt, ergaben sich immer wieder Gelegenheiten zum gleichgeschlechtlichen Sex. Immer mit anschließendem schlechten Gewissen, aber dem nicht aufzuhaltenden Trieb, es immer wieder zu tun.
Mit Anfang 20 hatte ich meine Bisexualität dann angenommen und freute mich sogar darüber, dass ich zu den Auserwählten gehörte, die die freie Auswahl der Sex-Partner hatte.
Zu dieser Zeit wussten mindestens die besten Freunde und Freundinnen davon, dass ich bi bin, während ich meinen Wunsch, ein Mädchen zu sein, noch sehr lange verschwieg und verdrängte.
In Beziehungen war meine Bisexualität nie ein Problem, denn in einer Beziehung bin ich grundsätzlich ein monogam lebender Mensch, so dass ein "Fremdgehen", egal ob mit Mann oder Frau, für mich nie in Frage kam.
Meine Bisexualität lebte ich dahin gehend aus, dass ich mir in Zeiten, in denen ich nicht in einer festen Beziehung war, Sex-Partner beiderlei Geschlechts suchte.
Da ich nicht vorhabe, nochmals eine feste Beziehung einzugehen, habe ich nun dauerhaft wieder die freie Wahl.
Inzwischen bezeichne ich mich als "Pansexuell", das Geschlecht eines potentiellen Partners ist mir völlig egal.