nie vergessen....
Es war ein kalter Wintermorgenund er, er war ganz durchgefroren.
Das dünne Jäckchen hielt kaum warm,
er kuschelte sich in seine Mutter Arm.
Den kleinen Koffer in der Hand
und auf der Brust der gelbe Stern.
So stand er an der Backsteinwand,
Juden sah man hier nicht gern.
Die Hand seiner Mutter fest gedrückt,
standen sie in der Menschenmenge.
Zärtlich strich sie ihm über die Wange,
"Du wirst schon sehen, es dauert nicht lange..."
Soldaten voller Lug und Trug,
Macht ergreifend auf ihrem Posten.
Eingepfercht in einem Zug,
ging die Reise in den Osten.
Kalte Luft drang durch die Schlitze,
er sass in einem Viehwaggon.
Regentropfen durchdrangen die Ritze,
Keuchen und Husten, das er vernomm.
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An der grossen Laderampe,
Stimmgewirr und Schluchzen im Chor.
Er entdeckte seine Tante,
die er in Hamburg aus den Augen verlor.
Schrille Pfiffe und Hundegebell,
Scheinwerferlicht, so blendend und grell.
"Nach links! Nach rechts!" - hörte er sie schreien,
wollt' sich aus den Armen eines Soldaten befreien.
"Mein Kind, mein Kind..!
Bitte lasst mir mein Kind!",
"Mama....! Mamaaaa...!!", brüllte er zurück -
die Antwort der Mutter verschluckt vom eisigen Wind.
Sie trieben ihn in ein Barackenhaus
und zogen ihm die Kleidung aus.
Er schämte sich, er war doch erst zehn,
er wollte nicht all die nackten Menschen seh'n.
Sie schoren ihm grinsend eine Glatze
und nahmen ihm die Brille fort.
Auf ihren Gesichtern eine hässliche Fratze,
was war das hier nur für ein schrecklicher Ort?!
Die Uhr und Schuhe abgenommen,
stapfte er mühsam durch den Schnee.
Die Flocken tanzten, die Sicht verschwommen,
ihm taten alle Glieder weh.
Das Tattoo in die Haut gestochen,
hier war er kein Mensch, hier war er eine Nummer.
Frostbeulen am Fuss, der Zeh gebrochen,
er weinte still vor Durst und Kummer.
Die Menschen alle krank und mager -
"Du bist in einem Vernichtungslager.
Hast Du, mein Junge, das nicht gewusst
und das jeder hier einmal sterben muss?!
Aber Du bist noch jung, du hast es gut",
flüsterte der Häftling und machte ihm Mut.
"Wer arbeiten kann, der darf auch leben -
du darfst ihnen nur keinen Grund zum schiessen geben….“
Ohne Essen, kaum zu Trinken,
jeder Tag so grau und fad.
Menschen sah er zitternd winken,
auf dem Weg zum "Brausebad".
Die grossen grauen Schornsteintürme,
strotzten Schnee und alle Stürme.
Schwarzer Rauch stieg stündlich empor,
wieder ein Mensch, der sein Leben verlor.
Mit blossen Händen gegrabene Gruben,
zu der sie täglich die Toten trugen.
Frauen, Männer und sogar Kinder,
tausende starben in diesem Winter.
Ein täglicher Kampf um's überleben,
er wollte nicht in die Gaskammer gehen.
Er schuftete, arbeitete - bis spät in die Nacht,
und dennoch hatte er nicht die Macht...
Stille Zeugen grausamer Tat,
verstreut auf einem schmalen Pfad.
Leere Fässer ZylonB,
lagen einsam im glitzerndem Schnee…
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"Diese Todesmaschinerie,
die, mein Gott, vergess ich nie…“
Seufzend zeigt er mir seinen Arm und
jene kleine verblasste Nummer.
Er wendet sich ab und schaut aus dem Fenster.
Er weint um seine verlorene Mutter.
"Manchmal träum’ ich Nacht’s von ihr und
seh’ sie dann am Bahnsteig stehen.
Und wie sie ruft: Hab keine Angst, mein Schatz,
wir werden uns bald wiedersehen..."
In Erinnerung an R.B
© Sonnchen – 2008-10-28