Perspektivwechsel
Ich glaube, jedem ist klar, daß es einen Unterschied ausmacht, ob man Opa dazu auffordert, zum gemeinsamen Abendessen zu erscheinen oder ob die restliche Familie dazu aufgefordert wird, Opa zu essen. Und ich gehe davon aus, daß die Teilnehmer dieses Diskussiönchens Opa eher zur Teilnahme auffordern würden. Egal, wo sie das Komma setzen.
Es ist richtig, daß die Orthographie hilft, in Zweifelsfällen Klarheit zu schaffen.
Sie ist aber nur eine Vereinbarung. Eine Normenkatalog. Und vielen Menschen fällt es sehr schwer, die umfangreichen Regeln dieses Normenkatalogs zu verinnerlichen oder anzuwenden.
Manche haben eine LRS Diagnose, andere haben ein Problem, für das es vielleicht in Zukunft irgendwann eine Diagnose geben wird, manche sind einfach keine Muttersprachler und manche sind vielleicht auch wirklich ein wenig dumm. Das ist alles vollkommen o.k. und nichts davon ist eine Schande.
Was mich nun interessiert ist die Frage, wieso es für jene, die glauben dürfen, den Normenkatalog zu beherrschen, so wichtig sein kann, daß andere das auch tun. Oder warum es vielleicht eher wichtig ist, festzustellen, daß andere Menschen das eben nicht tun.
Wir haben schon festgestellt, daß es nur in wenigen Fällen daran liegen kann, daß sie glauben, man wolle ihren Opa essen.
Woran liegt es also dann?
Es könnte sein, daß sie viele Mails bekommen, die sich achtlos und hingeschludert lesen. Daß diese mails einen Eindruck von Respektlosigkeit vermitteln und daß diese Mails meist zuglreich orthographisch zweifelhaft sind, so daß Achtlosigkeit mit fehlerhafter Orthographie gleichgesetzt wird.
Das wäre verständlich.
Es könnte sein, daß sie andere Schwächen haben und sich gerne an etwas festhalten, daß sie selbst gut können, um sich und ihr Selbstwertgefühl zu behaupten. Inmitten von trainierten Traumkörpern kann ich mit meinem schlaffen Body wenigstens besser schreiben, als die ganzen Sportlerdeppen.
Das wäre sehr menschlich.
Es könnte sein, daß ich das Gefühl habe, in einer Welt zu leben, iin der ich mich ständig selbstoptimieren muß, um nicht unter die Räder zu kommen. Da werde ich auf diesem Feld, wie auf jedem anderen, meine Leistung herausstellen und die Linie zwischen mir und denen, die näher am Abgrund der Selektion stehen, natürlich betonen.
Nicht nett, aber nachvollziehbar.
Es könnte sein, daß ich eine Sehnsucht nach einem Gegenüber verspüre, zu dessen Geistesgröße und überlegenen Einsichten ich aufblicken kann. Der mir mit seiner Selbstsicherheit und Souveränität ebenfalls Sicherheit vermittelt. Das will ich dann aufzeigen und bin von jedem elend enttäuscht, der das nicht vermag.
Das wäre berührend.
Mir fällt noch mehr ein.
Aber nix davon rechtfertigt es am Ende, Leuten, die verdammt noch mal nicht wissen, wie man dieses oder jenes schreibt oder wo man ein Komma setzen soll, fortwährend das Gefühl zu geben, sie sollten sich besser irgendein Loch suchen, in dem sie sich verkriechen sollten, um all den Anderen nicht auf die normgerechten Nüsse zu gehen!