Wirtshausgespräche: Heute - Bolidigel Korräcktnis
So, liebe Leute, wie angekündigt, ab sofort in loser Folge immer mal wieder eine Szene von den diversen Stammtischen im Hermersberger Eck, wo mangels Alternativen nicht nur die Landfrauen, sondern auch die Feuerwehr, der katholische Junggesellenverein mit Fahne, der Turnverein, die Christlichen Demokraten, Sozis, Freie und sogar der Pfarrer verkehren. Viel Spaß damit.
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„Fier die Emanzipatation hän mir jahrzehntelong gekämpft!“ Kleinschmidde Gretel schlug mit der flachen Hand auf den Wirtshaustisch im Hermersberger Eck, wo sich die Landfrauen zum allwöchentlichen Stammtisch versammelt hatten. „Un der Kampf isch noch net zu Änn, do missen mir noch viel draan mache.“
„…draan mache, jawoll!“, echote der Vorsitzende des katholischen Junggesellenvereins mit Fahne, der, - wie wir aus sicherer Quelle wissen -, ein Auge auf die verwitwete Gretel geworfen hatte. Das schmalbrüstige Männlein mit der schütteren, eisgrauen Igelfrisur folgte stets Gretels Meinung, ob nun als Mitglied des Gemeinderates in der Wählergruppe Kleinschmidt oder bei den Sitzungen des Stammtisches der Landfrauen.
Was, fragt sich der geneigte Leser an dieser Stelle, hat der Vorsitzende des katholischen Junggesellenvereins mit Fahne bei den Landfrauen zu schaffen? In der Tat: diese Frage ist der näheren Beleuchtung wert.
Unsere taktisch mit allen Wassern gewaschene Gretel, die in dieser Hinsicht nur noch den Ortsbürgermeister Karlfried Flöter als ebenbürtig akzeptierte, hatte sehr schnell erkannt, dass ein als persönliches Echo fungierender Gewährsmann eine enorme Stärkung ihrer Position bei den Landfrauen und in den einschlägigen Gremien des Dorfes bedeutete. Damit konnte sie immer behaupten, auch die männliche Seite und noch dazu namhafte Vertreter der anderen Ortsvereine seien ganz ihrer Ansicht.
In allfälligen Diskussionen erwies sich dieses Argument als enorm hilfreich dabei, den eigenen pfälzischen Dickkopf durchzusetzen. So hatte Gretel ihren Vasallen kurzerhand zur Ehrenlandfrau erklärt. Deshalb durfte er, in beratender Funktion, ohne Stimmrecht und ohne Menstruationspflicht am wöchentlichen Stammtisch, den monatlichen Vorstandssitzungen und sogar dem jährlichen Ausflug der Landfrauen teilzunehmen, ein Privileg, das sonst nur noch Pfarrer Schleicher zustand.
„Die bolidigel Korräcktnis isch enorm wischtisch fier uns Fraaleit in unsam immawährende Kampf geeche die selbschdherrlich Männerwärtschaft. Do dierfen mir kää äänzischda Daach nolosse, ihr Määde!“
„…kää äänzischda Daach nolosse, ihr Määde!“, wiederholte die Ehrenlandfrau.
„Awwa wie sollen mir dann erkänne, was bolidisch korräckt isch un was net?“, warf Funke Berta ein. „Mir hän doch nur Volksschul un wissen als net wie mir mit so komplizierte Sache umgehn missen.“ Eine gewisse Verzweiflung lag in ihrer Stimme.
„Das dääd ich aach alsemol gääre wisse“, nickte Bickelmanns Eva „do kinnt ich em Härbärt efta mol Beschääd stoße, wenna widda dumm doher kääst.“
Oma Otti erinnerte sich bekümmert daran, wie der durchtriebene Herbert, der Drecksack, sie über den Tisch gezogen und um ihre Ersparnisse gebracht hatte. Seit der Geschichte mit der Friedhofsgebührensatzung und dem Grab in Herberts Garten sann sie auf Rache und nutzte jede Möglichkeit, Bickelmann auf die Füße zu steigen, was dieser regelmäßig mit einem fetten Grinsen und der mit Daumen und Zeigefinger durchgeführten Bewegung des Geldzählens an sich abtropfen lies.
„Nix ääfacher als wie das“, ergriff Gretel wieder das Wort, „ihr missen nur mit uffene Aue durch die Welt gehen, do siehn ihr die bolidigel Korräcktnis an alle Ecke un Änne.“
„Also ich hän heit noch käänie gesiehn“, krakeelte Oma, „un ich gugge schun de ganze Daach. Wo sollen do äänie sin?“
„Do missn ihr halt e bissel bessa uffbasse!“ Gretel hob den Finger und die Stimme. „Ich wääre eich jäz emol zeie, dass der Feind iwwerall lauert, soga do hin im Hermaschberjer Egg“
„…Hermaschberjer Egg“, tönte es aus Junggesellenmund.
„Eijoh??“, Gretel erntete nur ungläubige Blicke. „Do hin gäbts bolidigel Korräcktnis? Kannschde uns die emol weise? Ich sieh käänie.“, Funke Berta hob gespannt die Augenbrauen und auch den anderen Damen stand die Spannung im Gesicht.
„Eijoh! Da bassen jäz emol guud uff, do kinnen ihr was leere!“ Gretel nahm die in braunes Kunstleder gebundene Speisekarte zur Hand, holte tief Luft und brüllte mit befehlsgewohnter Stimme: „Kurt! Kumm mol sofort här!“
Der Wirt, gerade mit wichtigen Gesprächen in Sachen Feuerwehr mit Flöter und Bickelmann an der Theke beschäftigt, zuckte zusammen und trullerte die Augen. „Ich bin glei widda do“, murmelte er „nur mol schnell gugge was die ald Schabragg schun widda will. Beschdimmd noch was ze dringe.“ Er schlenderte gemächlich zum Landfrauen-Stammtisch. Flöter nickte ihm hinterher: „Eijoh, du laafsch uns jo net fort.“
„Geht das aach e bissel schnella?“, herrschte Gretel den Wirt an, „was ischn das do fier e lahmaaschicher Service?“
„De selwe wie imma, Gredel“, lächelte Kurt geduldig. Als erfahrener Wirt kannte er seine Kundschaft und wusste jeden nach seinen Eigenheiten zu nehmen. „Was hädschde dann gääre, moi Has?“
„Nix do! Es hat sich ausgehast. Dir wääre ich helfe! Ich will mich beschwäre! Un zwa iwwa die bolidigel Korräcktnis do in deim Etablissemang!“
„Eijoh?“, Kurts Erstaunen war nicht gespielt. Er warf unauffällig einen prüfenden Blick durch den Raum und hob fragend die Augenbrauen, nachdem er nichts entdecken konnte.
„Was ischn die Nummer sächzä uf deina Speisekaad?“
„Was froch´ chen so dumm. Du hoschd se doch in da Hand!“
„Eijoh hon ich se in da Hand. Un was ischn jäz mit dera Numma sächzä?“
Kurt atmete stöhnend aus. So kam er nicht weiter. „Zigeunerschnitzel“
„Un? Soll das so bleiwe? Was ischn do mit dera bolidigel Korräcktnis?“
„…Korräcktnis!“, sprach das Echo.
„Sache mol, Gretel: hosch du was on da Erbs? Was ischn do draan auszusätze? Seit siwwenedreißisch Johr hääst das Ding bei uns Zigeunerschnitzel, was passt da dann do draan plötzlich nimmi?“
„Vagreif dich emol ned im Ton geche iwwa em Gretel, Kurt!“, keifte der katholische Junggeselle und sprang auf.
„Sitz!“, machte Gretel und der Fahnenträger bekam einen roten Kopf, als er die Blicke sämtlicher Wirtshausgäste auf sich fühlte.
Kurts Ampel ging ebenfalls langsam auf rot. Er starrte den aufmüpfigen Landfrauenversteher an und dieser hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Nun mischten sich die Mitgliederinnen der Frauengruppe ins Gespräch:
„Wenns Gredel saat der Zigeiner wär ned in Ordnung dann isch do was faul“, knurrte Oma. „Du gebsch jäz sofort Auskunft, odda mier suchen uns e anna Stammlokal.“ Eva knuffte Oma in die Seite und flüsterte „Schwäzz doch ned so dumm, Momme, do howwe gäbts doch gar kää anna Wärtschaft.“
Derweil hatte Gretel wieder das Wort ergriffen. Sie bohrte dozierend den Finger in die Luft: „Das wääschd du ganz genau, was mit dem Zigeiner do ned schdimmd!“
Kurt platzte der Kragen. „Ich glaab dir brennt de Kiddel“, brüllte er „seit Genarazione vakaafe mir do Zigeinerschnitzel. Glaabsch du filleicht weeche doina bolidigel Korräcktnis nenne mir das Gericht in Zukunft
Paniertes Schweineschnitzel an Paprikasoße nach Sinti und Roma-Art?
Inzwischen säumte die gesamte Wirtshausbesatzung neugierig den Stammtisch. Solche Raufhändel durfte man sich nicht entgehen lassen. So was bildete noch tagelang, unter guten Umständen jahrzehntelang, Gesprächsstoff für die Dörfler.
„Du brauchschd ga ned so zu schreie, du vasuffena Kaschämmewirt. Wonn de kää Ahnung vun bolidigel Korräcktnis und vun unsam heldehafte weibliche Kompf fier die Emanzipatation hoschd, da mach doch die bleed Wärtschaft zu un her uff, dumm zu schwätze. Die do Speisekaad wärd geännat un zwa sofort. Schnunsch säze mir do kään Fuß mee eninn.“
„…kään Fuß mee eninn.“ Der Junggeselle war im Schatten seiner Lehensfrau wieder mutiger geworden.
Kurt wusste, wann er verloren hatte. Das jeweilige Grinsen der umstehenden Gestalten wurde nur von deren Ohren aufgehalten.
„Un? Was soll ich in Zukunft eninn schreiwe?“, fragte er ergeben.
Gretel erhob sich. „So, jäz bassen gut uff, ihr Mäde und ihr anna Baggaasch aach, dass ner was leeren!“ Sie nahm einen Kugelschreiber zur Hand, strich die strittige Position in der Speisefolge und ersetzte sie durch eine andere. Dann drückte sie dem Wirt die Karte in die Hand.
„Alle Speisekaade wääre wie folgt geännat: Läs emol vor, was ich da uffgeschrieb hän, Kurt!“
"Zig...", las Kurt, während er die Backen blähte. "Zig..." Seine Eingeweide krampften sich zusammen. Er holte tief, tief Luft und versuchte es ein drittes Mal. "Zig.." Es hielt ihn nichts mehr, er prustete los und wollte sich vor Lachen gar nicht wieder einkriegen.
Die Runde blickte verständnislos. "Was steht dann jäz do? Loss und net dumm sterwe. Los schwäzz!"
"Zig...", begann Kurt erneut, wurde aber sofort vom nächsten Lachanfall eingeholt.
"Dunnakeil nochemol", fluchte Gretel. "Der isch jo noch zu dumm sei Speisekaad zu lese. Do steht:
16. Zigeunerinnen- und Zigeunerschnitzel mit Pommes und Salat 13,80 €"
"Ää Rund Schnaps uffs Haus!", brüllte Kurt mit letzter Kraft und schleppte sich zur Theke. Der do Daach muss gefeiert wääre un wärd uffem Kalänna aangestrich."