Friedhofsgebührensatzung 9. und letzter Teil
Wie versprochen nun das Ende der Geschichte
Am folgenden Samstagmorgen saßen Eva und Oma Otti gestiefelt und gespornt, das heißt in Arbeitsklamotten, bereits um 6:30 Uhr beim Frühstück, als Herbert ungewaschen und mit wirren Haaren erschien.
„Was hän ihr dann vor, uffs heiliche Wochenende?“, konnte er gerade noch fragen. Eine Antwort bekam er darauf zunächst nicht, denn mit Gepolter und großem Hallo tauchten die Bickelmann´schen Ableger Jessica und Moritz auf. „Achso, jo. De grose Umzuch!“
„Hoggen eich hie, ihr Kinna un langen zu. E bissel Kraft wääre mir heit noch brauche, aach wenn es meischde die Umzuchsmänna mache“, konnte sich Oma die süffisante Bemerkung nicht verkneifen.“ Bickelmann spitzte die Ohren. Umzugsmänner? Aha!
„Mir essen nix Oma. Du weißt doch, dass wir Frutarier sind“, wandte Jessica ein.
„Eijoh?“ Oma Otti war bass erstaunt. “Ich han gedenkt mir wäre kadoolisch”, insistierte sie mit strengem Blick weiter.
„Aber woher denn Oma. Natürlich sind wir noch katholisch. Wir sind Frutarier. Das bedeutet wir essen nur Obst und Gemüse“, klärte Moritz sie auf.
„Eijoh?“, staunte die Oma. „Ei, das isch jo aach gesund, guggenemol do sin frische Äbbel.“
„Das verstehst du nicht Omi“, meldet sich nun wieder Jessica zu Wort. „Frutarier streben eine Ernährung mit ausschließlich pflanzlichen Produkten an, die nicht die Beschädigung der Pflanze, von der sie stammen, zur Folge haben. Das heißt, nur wenn der Baum uns seinen Apfel freiwillig gibt, indem er ihn z.B. fallen lässt, dürfen wir ihn essen.“
Eva bekam große Augen, während Herbert sich mit dem Finger an die Stirn tippte.
„Wenn die Äbbel vum Baam falle, sin meischdens Wärm drin odder sie sin schun faul, so was fresst ma doch nimmi“, wandte Oma ein. „Obwohl – wormstichisches Obst hän ihr jäz genuch, bei mir steht jo de ganze Gaade demit voll. Do missen ihr eich jäz drum kimmere, hihi.“
„Wenn ein Wurm drin ist, lassen wir dem natürlich das Obst, Omi. Die kleine Kreatur muss ja auch leben. Wir essen nur, wenn wir sonst niemandem was wegnehmen müssen, also das was uns die Natur freiwillig gibt“, bekannte Jessica.
Herbert schwoll die Zornesader auf der Stirn: „Das hald eich awwer ned davon ab, eirer Famillje seit Johre de ledsche Penning aussem Sack ze ziehe, fier eier goddesfierchtiches Studendeläwe. Frutikarier, wann ich denne Scheißdrägg schun heere, do bleibt ma es Friehstiggsei im Hals stegge. Ihr sin jo wie die Hämmoridde am Aasch. Awwa eich helf ich. Waad nur.““
Mit diesen Worten schmiss er sein halbes Brötchen auf den Teller und sprang auf. Durchs Küchenfenster sah man soeben den orangefarbenen Klein-LKW der Ortsgemeinde vorfahren. Auf dessen Anhänger befand sich das Baggerchen nebst etlichen Gartenbauutensilien. Auch die Reste einiger abgeräumter Gräber, wie ein Holzkreuz und eine alte Grabsteinumrandung aus Granit lagen dort herum. Aus dem LKW sprangen der Gemeindearbeiter Franz und Herberts bester Freund, Flöter.
„Gemoije Herbert!“, begrüßten sie Bickelmann, der schon vor der Tür stand. „Solle mir glei losleje?“
„Eijoh“, antwortete dieser, „awwa kummen noch korz erin un dringn e Tass Kaffee mit uns. Mei Famillje is glei fort, die ziehe heit es Jessica un de Moritz um.“
„Eijoh, wo ziehe die dann hien? Ich han gedenkt die wäre in Määnz beim Studium?“, fragte Flöter erstaunt.
„Das han ich aa gedenkt“, maulte Herbert, „awwer wies scheint hat ne die Oma ned nur es Heisje in Nünchwiller, geschenkt sondern jedem aach noch e Audo gesponsert, damit se alle Daach no Määnz fahre kinnen. Un zwa unabhängich vunenanna.“ Herbert war empört.
Währenddessen hatten sie die Küche erreicht. „Un was isch midm Unnahalt?“, bohrte Flöter weiter. „Es lääwe koschd doch Geld un so e Heisje doch aach, odda?“
„Do wird sich schun aach noch ääns defier finne, nämm ich aan, odda Oma?“ Herbert klopfte Otti auf den Rücken die sofort heftig in ihren Kaffee hustete. „Un zur Not misse se hald schaffe gehen. Ab nägschde eerschde bezahl ich nämlich nix mee.“ Die beiden Junior-Bickelmänner grinsten ziemlich unverschämt, etwa so, als gehe ihnen ihres Erzeugers Ankündigung recht weit am Arsch vorbei. Oma Otti und ihre Tochter Eva tauschten heimlich wissende Blicke.
„Un was machen ihr heit do dehämm?“, versuchte Oma das Thema zu wechseln.
„Ei ich hammer bei der Gemää das Baggerche vum Friedhof ausgelieh. Do de Franz ladt das jäz ab, wemma Kaffee gedrunk hän und de Karlfried un ich mir leje dann de Gaade nei aan, wo Dank deina Hilfe nimmi so ganz schee is.“ Herbert genoss diese Sätze. Die Beiläufigkeit, mit der er sie hervorbrachte, hätte einem Gustaf Gründgens Ehre gemacht.
„Awwa dodezu braucht ma doch kää Bagger!“, quiekte Oma ängstlich. „Das kamma doch alles mim Spaade…“ Otti schnappte nach Luft und ihre angstvolle Miene verfärbte sich kalkweiß. Sie fasste sich an die Brust.
„Nadierlich brauche mier dänne Bagger“, fiel Flöter ein. „Du hasch doch selwat gesaat ihr hädde Maulwierf. Die missen mir vatreiwe und vielleicht missen mir aach die ään odda anna Baamworzel ausmache und wer wääs, was mir eventuell noch schwäres finne und filleicht heewe misse…“, goß er genüsslich Öl ins Feuer.
„Ach Gott, ihr Kinna“, japste Oma Otti „ich glaab ich muss dehääm bleiwe un kann eich ned helfe. Mir isch gaaned guut. Ich gehen enuff uff moi Stubb un leje mich e bissel. De Härbärt kann jo bei mir sitzebleiwe und de Gaade mache mir e annerm…“ Sie brachte den Satz nicht mehr zu Ende. Im Versuch aufzustehen schwanden ihr die Kräfte und die Beine versagten den Dienst. Geistesgegenwärtig fingen Flöter und Herbert die Ohnmächtige auf und ließen sie sanft zu Boden gleiten. Eva begann gleich zu schreien:
„Momme! Momme! Momme! Heerschde mich? Um Goddes Wille Momme? Jäz saa doch was!“
„Ich rufe am beschde emol de Krangewaan“, meldete sich in aller Seelenruhe Flöter zu Wort.
„Ach woher dann“, widersprach Bickelmann „ das isch jo ned es erschdemol, wo die Oma ohnmächtich werd, wennera was ned basst. Wart ich hole e Ääma Wassa, do wird die schun widda munda.“ Diese Worte schienen ein kleines Wunder zu bewirken, denn die Oma rang sich zu einem abgrundtiefen Seufzer durch.
„Do sieht ma´s mol widder, wie do miderer alt Fraa umgang wärd. Haaaach! Bringen mich ins Bett ihr Kinna und dann gehen und machen eier Aawet. Ich kumme schun zerecht.“
„Nixdo“, warf Eva, ganz die Tochter ihrer Mutter, resolut ein. „Ich fahre mit der Oma ins Krangehaus. Moritz und Jessica fahre no Nünchwilla un kimmere sich um de Umzuch, de Herbert und de Karlfried…“
„Genau! Nixdo!“, fuhr ihr Herbert ungehalten übers Maul. „Ihr machen eier Scheiß allään. Ihr han mich jo fier die Planung a ned gebraucht. Ich mache mim Karlfried de Gaade und ihr siehn jäz zu dass ner Land gewinne. Franz lad schunnemol es Baggerche ab und dann kannschde häämgehe, mir rufe dich dann, wann mir fertich sin. De Karlfried un ich tringe derweil noch e Tass Kaffee.“
„Nää!“, zeterte Oma. „Eva, das mussch du vahinnere. Der Gaade derf heid ned nei gemacht wääre. Der muss so bleiwe wierer isch. Ich losse aach die näksch Wuch de Gärtna kumme. Uff eichene Koschde. Ich will immei Bett. Ich will dehääm bleiwe, ich will ned ins Krangehaus.“
Sie begann, ähnlich wie bei einem Nervenzusammenbruch, haltlos zu schluchzen. Auf einen auffordernden Wink Evas packten Moritz und Jessica sie unter je einem Arm und verfrachteten sie Richtung Garage. Oma sträubte sich heftig, zeterte und kämpfte wie ein Löwe, doch es half nichts. Eva suchte den Autoschlüssel, während sie Herbert giftige Blicke zuwarf. „Das do bisch du schuld. Du ganz allään. Mit dir schwätzich noch, wammir hääm kummen.“
„Vallos dich druff“, meinte Herbert ungerührt „werd sowieso Zeit, dass ich annere Seide uffziehe.“
Damit löste sich die Gruppe auf. „So, dass do hädde mir!“, freute sich Bickelmann.
„Un jäz gehen mir uff Schatzsuche!“, lachte Flöter und hielt Herbert die Hand zum Abklatschen hin.
Als Eva einige Stunden später mit der Oma im Schlepptau aus der Klinik zurückkam, fanden sie den Garten fein säuberlich planiert. Ein Weg war angelegt, mit Betonsteinen eingefasst und wartete darauf mit Kies bestreut zu werden. Auch einige Beete hatten die fleißigen Handwerker angelegt und sogar schon bepflanzt, soweit die Jahreszeit das noch zuließ. Am Gartentürchen lag eine kleine, rote, verbeulte Kassette aus Blech, die man wohl mit Gewalt aufgebrochen hatte. Oma begann zu zittern. Ihre Beine trugen sie nicht mehr und sie musste sich auf die Gartenbank setzen.
„Sinna ferdisch wor, mit eirer Aawet, ihr Buwe?“, fragte sie scheinheilig und mit vor Besorgnis zitternder Stimme.
„Eijoh.“
„Un?“
„Wie unn?“
„Ei, war irschendwas besonneres?“
„Nä.“
Pause.
„Gaanix?“
„Ned es geringschde!“
„Hän ihr was gefunn, beim buddele?“
„Nä. Was hädde mir dann finne gesollt?“
„Ei nix. – Was ischn das fier e rodes Kässje dovorne am Gaadedierl?“
„Ei das hämma beim buddele gefunn und häns glei uffgemacht. Das kann noch gaa ned so long do gelee han. Es isch jo praktsich noch ganz nei. Es is awwa nix drin.“
„Nä?“
„Nä!“
„Werklich ned?“
„Werklich ned!“
„Kää Pänning?“
„Kää äänzicher Grosche!“
Oma begann zu schluchzen.
„Awwa, Oma, mir han noch e Iwwaraschung fier dich“, begann Herbert.
„E Iwwaraschung? Saa nur? Fier mich?“ Ottilie schöpfte wieder Hoffnung. Vielleicht war ihre Barschaft doch noch zu retten.
„Eijoh. Mir han gedenkt, weil de jo jäz dei Geld nimmi finschd un sozusaan middellos bischd un dich mir uff Gnade un Ungnade ergewwe muschd, schaffe mir dier e Heimat fier späda, wennde mol dood bischd. Do spare mier aach die deire Friedhofsgebiere wo mir in dera Satzung grad fäschtgeleet han.“
Er führte sie um die Ecke des Lorbeerbuschs. Dort war im Garten, an geschützter Stelle, ein hübsches aber schmuckloses frisches Grab angelegt, mit einer Umrandung aus Granit und einem Holzkreuz.
Oma wurde blass und sprach kein Wort. Sie drehte sich leise um und ging seufzend auf ihr Zimmer, wo sie ein wenig vor sich hin weinte und Zwiesprache mit ihrem Willi hielt, dessen fünfzig Jahre altes Foto ihn als jungen, hübschen Kerl zeigte.
„Ach moi Willi. Was hän ich nur falsch gemacht, dass ich uff moi alde Daache so gestrooft bin. Jäz had der Dreggsagg mei ganzes Geld und ich kanns ihm ned emol beweise. Un dass der das jemols freiwillig widda rausriggt, glaaw ich ned. Ich muss emol siehn, ob mer was schlaues infallt, wie ich ne filleicht iwwertölpele kann, weil de hellschde issa jo ned. oder noch bessa: du musschd dir was infalle losse, Willi! Willi?“ Doch Willi schwieg. "Wenn ich sterwe un der beärdicht mich werklich im Gaade, do gehn ich die näkschde hunnat Joh noch um un mache ihm soi kläänes beschissenes Lääwe zu Hölle. Das glaabsche awwa!"
Omas alter Kampfgeist kehrte zurück.
"Das wär jo gelacht!"
Epilog:
„So, dass do hädde mir!“, sagte Herbert zu sich selbst und schob die silberne Kassette in das zugehörige Fach des Tresorraumes der Diskont- und Wechselbank Kaiserslautern, wo er soeben ein Konto eröffnet hatte. „Jäz wääre mir jo siehn, ob die ald Spinatwachtel klää beigebt, odder ned.“ Er sperrte das Schließfach fein säuberlich ab und schob den Schlüssel in die Hosentasche.
Er fühlte noch einmal nach der Brusttasche seines Hemdes, wo er ein Bündel Geldscheine abgezählt hineingesteckt hatte. Tausend Euro. Die würde er jetzt auf dem Heimweg auf den Kopf hauen. Als Schadenersatz. Die Rosie-Bar öffnete um 18:00 Uhr und Flöter erwartete ihn schon. Endlich konnte er sich nun, genau wie seine Kollegen, auch um die städtischen Feuchtgebiete kümmern, wie es seine Pflicht und Schuldigkeit war, als Mitglied des Gemeinderates.