Sterne
Halterlos, du hast das magische Wort „altern“ zwischen Sterne gepackt – warum?
„Manche von uns hier sind dichter an all dem „… schreibst du. Hättest du dir wohl gerne so gewünscht. Tatsache ist: wir sind alle gleich weit weg vom Altern. Es beginnt damit, dass wir geboren oder gezeugt werden. Ab da altern wir. Deshalb gibt es in der deutschen Sprache auch das Wort „jüngern“ nicht. Zeit ist eine Einbahnstrasse. Unser Sein, sagte einst ein grosser Denker, ist ein Sein zum Tode. Und wann der kommt, weiss keiner. Und nur die Statistiken der Lebenserwartungsmathematiker betrügen uns um den schlichten Umstand, dass unser noch junges Altern auch morgen schon vorbei sein könnte.
Aber hier geht’s ja um Sex im Alter. Ab wann beginnt „Alter“. Im Alter von achtzehn, wenn man volljährig wird? Im Alter von 65, wenn man derzeit noch in Rente gehen darf? Im Alter des Seniors? Meine Fast-Schwägerin leitet ein Seniorenprojekt und heisst Menschen ab 55 herzlich willkommen ….
Reduzieren wir also den Prozess des Alterns auf die männliche Standfestigkeit. Das hat das Baby dem Greis tatsächlich voraus: bei ihm steht er von Anbeginn an, wie ich einst an meinem Sohn feststellen konnte, wenn auch nur zweikommafünf Zentimeter lang. Die abnehmende Standfestigkeit des liebsten Anhängsels des alternden Mannes ist eine Mär, die Wirklichkeit wird, wenn wir daran glauben. Obwohl Nicht-Christ, setze ich die Story von Methusalem dagegen, der, als seine ersten Enkel schon Kinder zeugten, noch selbst für frischen Spross sorgte. Wer an solche Legenden nicht glaubt, mag sich im Internet eine Viagra-Apotheke ergoogeln.
Du wiesest schon zu Recht darauf hin, dass Dominanz nicht an der Libido hängt, weil Sex eben im Kopf und nicht im Schwanz oder in der Möse beginnt. Um’s Domsein muss ich mir also aus Altersgründen keine Sorgen machen. Schon heute halte ich meine Penetrationskünste nicht für den Gipfel meiner dommigen Souveräntität. Diese lasse ich doch eher im Spiegel meiner Selbstbeherrschung spielen und belohne meine Sub für ihren Leidenswillen nach der Peitsche gerne mit High-Tech-Vibratoren und –dildos. Da ich ein sehr voyeuristischer Dom bin, liebe ich das Zuschauen des langamen Kommens zu sehr, als dass ich mir diese Aussicht mit dem Nebel meiner eigenen Geilheit verderben würde.
Und – soweit bin ich mir sicher – meine Augen werden auch dann noch funktionieren, wenn ich achtzig bin. Auch wenn ich dann aus Gründen der unvermeidlichen Altersweitsichtigkeit einen halben Schritt zurück treten muss, um mich am Anblick meiner Lust zu ergötzen.
Und falls das Weib, das mich anbetet, in dreissig Jahren Lust auf Durchgefickt-Werden hat und ich das nicht mehr bringe oder bringen will - : wäre da nicht immer noch ein Reservoir von jüngeren Hengsten, die nur darauf brennen, es meiner Liebsten mal so richtig zu besorgen, nachdem sie ihre Stiefel lecken durften? Dürfte ich nicht, trotz aller Unkenrufe, dass Männer immer blutjunge Frauen wollen, darauf hoffen, dass das Web-Angebot an „Grannie“-Sites eben doch ein Bedürfnis zumindest einer Minderheit männlicher Geschlechtsgenossen befriedigt?
Allen sich Sorgen machenden Älter-Werdenden, die noch nicht alt sind, mag ich zurufen: „Altern ist geil!“. Und die Jungen unter den Lesern sollen weghören: Sie haben noch andere Probleme. Ich zumindest will
nie mehr jünger sein. Wenn ich mich an die früheren Qualen meiner Seele erinner und heute meine hinzugewonnene Gelassenheit bedenke, empfinde ich Altern als Geschenk. Wenn ich bedenke, was ich früher nicht wusste und nicht wissen konnte und heute weiss, will ich nie mehr jung sein. Mein Jung-Sein war die Bedingung dafür, dass ich heute das weiss und fühle, was ich weiss und fühle, und das ist ein Schatz, auf den ich nicht mehr verzichten will.
Wer’s noch nicht weiss, dem sei’s gesagt: es gibt
kein Naturgesetz, das bestimmt, dass ab einem gewissen Alter Sex oder BDSM vorbei wäre. Wenn es Menschen gibt, bei denen es „vorbei“ ist, dann liegt der Grund entweder daran, dass sie sich zu anderen Lebensgefilden aufgemacht haben, in denen Sex keine so grosse Rolle mehr spielt, oder daran, dass ihr eigener Zensor, die Schere in ihrem Kopf, es ihnen
nicht mehr erlaubt, sexuell aktiv zu sein. Was würden da auch die Jüngeren denken? Mit fünfundsiebzig turtelnd und Händchen haltend und Küsschen verteilend auf der Parkbank sitzen? Was denken da bloss die Jungen? Denen sei gesagt: Witze über Sex im Altersheim sind out, seitdem die steigende Lebenserwartung ihnen genau dieses Heimdasein in – wenn auch ferner – Zukunft prophezeit.
Wir BDSMler kämpfen gegen Schubladen. Wir wollen von Nicht-BDSMlern nicht in solche gesteckt werden. Aber der Blick auf den natürlichen Gang des Seins zum Tode führt in unserer heutigen Industriegesellschaft, die mit dem Umstand des Sterben-Müssens nicht mehr umgehen kann, zu einem Abwehrreflex, der in einen Jugendlichkeitswahn mündet. Und dieser ist noch viel mehr Schubladendenken als dasjenige, das eine kleine BDSM-Schublade zimmert, aus der das Phänomen BDSM aus allen Ritzen und Ecken herausquillt.
Ich altere gern.
stephensson
art_of_pain