Sofiyas Geschichte
Auf dem ersten Foto, das mir die AI-Mitarbeiterin von Sofiya gibt, fallen mir die freundlichen, lebhaften, schwarz glühenden Augen des Mädchens auf.Die anderen, wesentlich jüngeren Bilder zeigen eine schon vor der Zeit aufgeblühte, rasch entwickelte Schönheit mit schmaler Taille; schlanken, langen Beinen; einer überdeutlichen Form der Brüste sowie all dem, dessen weiblicher Zauber wohl nie Worte auszudrücken in der Lage sein werden.
Auch mich nimmt die Gestalt auf den Fotos zunächst gefangen und beschwört längst vergessene Dichterverse herauf:
"Augen natürlich schwarz wie siedendes Pech. Nachtschwarze Wimpern. Zartes, flüchtiges Wangenrot. Schlanker Wuchs. Überlange Hände. Der Busen mäßig groß. Kleine Füße. Wohlgerundete Waden. Knie mit der Farbe von Muschelschalen. Sanft abfallende Schultern - das Wichtigste aber: ein leichter Atem!"
Laut dem Durchschlag eines Protokolls der Miliz, das der Akte Sofiyas aus dem Waisenhaus beiliegt, wurde sie durch verschiedene Pflegefamilien hindurchgereicht ohne Wurzeln schlagen zu dürfen wegen zu vieler nicht mehr duldbarer Delikte.
Auf dem letzten vorliegenden Foto sieht Sofiya als junge Frau unbekümmert freimütig aus mit unbeweglichen Augen, doch immer noch strahlend - deutlich jedoch lässt sich eine gelassene Schamlosigkeit wahrnehmen, die erschreckt zugleich aber auch reizt.
----
In jener Nacht muss der Mond schmierig geglänzt haben, als der Kleinstadtoligarch Grigori Iwanowitsch bei Sofiya war; und sich hinter bläulich verschwitzten Scheiben eines Bretterverschlages an dem Mädchen vergehen wollte.
Ihr Gesicht ist dem Nowi Russki zugewandt, als sie ihn rückwärts gehend zu der einfachen Holzpritsche mit der nur einen Wolldecke im Schuppen lockt.
Hundertmal hat sie es schon gemacht und doch ist es, als sie geheimnisvoll flüstert : "Komm!", als stoße sie eine Pforte ins Paradies auf ...
Weiter flüstert sie, zärtlich, bebend, bis ihre Kniekehlen an der Bettkante nicht weiter können, um sich bequem nach hinten fallen lassen und sich leicht überwältigen lassen zu können.
Sich schließlich nur noch schwach wehrend sinkt Sofiya mit eingeprobter Raffinesse auf die Pritsche, wortlos.
Das Gewicht von Grigori Iwanowitschs schwerem Körper schmerzt sie doch mehr, als sie es sich eingestehen will, sie verbeißt sich an seinen Lippen, fühlt eine bittersüße Qual im Ringen mit ihrer eigenen aufsteigenden Lust.
Doch stöhnend gleitet der unförmige, ältere Mann zwischen ihren Beinen hindurch auf den dreckigen, fleckigen Dielenfußboden, seinen Bauch und seinen Bart in die Höhe streckend. Er röchelt. Zuerst ist sein Gesicht rot, dann blau, schließlich ist er tot.
Sofiya handelt schnell. Krallt sich seine Brieftasche und türmt. Gefunden ist sie allerdings schnell.
Des heimtückischen Mordes wird sie angeklagt. Schuldig gesprochen. Für immer weggesperrt. Eine Revision wird nicht zugelassen.