Ich möchte
bitte noch etwas zu Galadriel anmerken:Ich unterstütze Deinen Beitrag im Prinzip. Auch in seiner ganzen kristallharten Konsequenz.
Jedoch möchte ich eines einwerfen: ich hatte diese Auffassung auch und auch in derselben 100%igkeit. Dann wurde ich schwanger und durchlebte eine Schwangerschaft in der ich jeden Tag Angst haben musste, dass das Kind zu früh kommt. Ich habe mehrere Wochen im Krankenhaus gelegen und mir nicht nur selbst alle Gedanken zu meiner Situation gemacht, die man sich nur machen kann sondern habe auf meiner Station auch alles miterlebt was man in so einer Lage erleben kann. Mit gutem und mit schlechtem Ausgang.
Prinzipiell würde ich auch sagen, alles hat seine Grenzen. Ein Frühchen, das mit 450g auf die Welt kommt, in das tausend Schläuche gesteckt werden und das in seinem Wärmebettchen aussieht wie ein kleiner, durchsichtiger Fisch den man aufs Trockene geworfen hat... dieser Anblick bricht einem das Herz und man wünscht sich fast, der Tod möge es erlösen.
Aber nicht wenn es das eigene ist, Galadriel. Die Angst um Dein eigenes kleines Würmchen, sie bringt Dich fast um den Verstand und Du bist zu allem, zu ALLEM bereit, was nur entfernt nach einem Strohhalm aussieht, an den es sich klammern könnte, um Dir erhalten zu bleiben.
Damit will ich sagen: es gibt zwei Arten von Meinungen. Die eine bildet man sich in der Theorie. Sie ist absolut legitim und vertretungswürdig. Aber die andere, die bildet man sich, wenn man selbst bis zum Hals in der Situation steckt. Wenn man schon begonnen hat, verzweifelt zu lieben. Das weicht Prinzipien auf und lässt Grenzen verschwimmen.
Die Medizin sollte nicht alles tun, was sie kann. Alles hat Grenzen. Grenzen des Schmerzes und des Erträglichen. Irgendwann sollte man loslassen können. Man sollte gehenlassen können. Dennoch ist es etwas anderes, dies in der Theorie zu denken und es dann selbst umsetzen zu müssen.
Nah an der Praxis erzählt: ich hatte in der 23. Woche zum ersten Mal vorzeitige Wehentätigkeit. Ich kam ins Krankenhaus, panisch vor Angst um mein Kind. Die Ärztin, die mich in der Nacht aufnahm, gab mir ein Bett und ein Medikament, das die Wehentätigkeit bremsen sollte.
Am nächsten Tag war Visite. Der diensthabende Arzt kam ins Zimmer, sah den Tropf neben meinem Bett, fragte die Schwester: "Welche Woche, sagten Sie, ist das?" "23. Woche", antwortete die Schwester. "Dann kommt der Tropf ab."
...
Ich glaubte, hier müsse ein Irrtum vorliegen und fragte ungläubig nach dem Grund.
"In dieser frühen Schwangerschaftswoche ist eine Gabe von wehenhemmenden Medikamenten noch nicht vorgeschrieben. Es gibt da Richtlinien."
Als ich nach deren Wortlaut fragte, sagte er mir, schwangerschaftserhaltende Maßnahmen wären erst ab Beginn der 24. Woche vorgesehen, weil das Kind vorher ohnehin zu klein sei um gute Überlebenschancen zu haben.
Bis zur 24. Woche fehlten mir zwei Tage...
Ich habe dem Arzt in aller Deutlichkeit verboten, VERBOTEN, mir den Tropf wegzunehmen. Ich habe ihm gesagt, ich möchte das vom Chefarzt persönlich hören und wenn er mir bis zu dessen Besuch den Tropf nicht lassen würde, würde ich ihn vor die Ärztekammer zerren.
Es war ein unglaubliches Erlebnis. Ein Albtraum. Ich hatte noch niemals im Leben so viel Angst und so wenig Verständnis. Zwei Tage später hatte sich meine Wehentätigkeit beruhigt und man konnte mir den Tropf sowieso abnehmen. Auf meine Frage hin, was denn nun wäre wenn die Wehen wiederkommen würden, schaute man noch einmal auf mein Krankenblatt, stellte fest, nun wäre ich ja in der 24. Woche. Tja, DANN, dann würde man mir und meinem Sohn natürlich helfen.
So, und nun? Jetzt kann ich natürlich hergehen und sagen "Ja, es ist ja auch nötig, Grenzen zu setzen. Eine Grenze dafür, wann Leben erhaltenswert wird. Man kann eben nicht alles tun, nur weil es in der Theorie machbar ist..." Sicher. Aber ich wette, jede Frau, die schwanger mit Wehen in der 23. Woche im Krankenhaus liegt und dann eine Behandlung verweigert bekommt, die verflucht diese Grenzen. So wie ich es tausendmal getan habe in der bisher angstvollsten Zeit meines Lebens.