Ich bin genau 50 Schweizer Franken wert
Ich kenne Natascha noch aus einer Zeit, als sie sich gar nicht Natascha nannte, sondern Mathilda Mandelbrot hieß. Erst die Heirat mit dem Sibirjak, und wie sich später herausstellen und dem geschäftstüchtigen Riecher von Mathilda recht geben sollte, dem Novi Russki "Igor" ließ sie sowohl ihre Abstammung als auch ihre Herkunft verleugnen - andererseits hat sie auch ihr Vater, weil sie sich an einen Goi "verkaufte", mit seinen Worten, zum Teufel gejagt ... ade, Mathilda, adieu Mandelbrot.
Standesgemäß holt mich Tilla - sorry, den Namen allseits bekannter russischer Billighuren kriege ich was sie betrifft einfach nicht über die Lippen bzw. Tasten - in einem geliehenen SUV deutscher Edelproduktion am Bahnhof von Schaffhausen ab, für die kurze Strecke nach Neuhausen, wo wir in einem Hotel nahe dem Rheinfall Quartier beziehen; früher wären wir das kurze Stück gelaufen.
Scheu weicht sie meinen Blicken aus. Entzieht sich unsicher meiner versuchten Umarmung, erlaubt mir nicht ihre Hände für ein paar Augenblicke zu halten - aufgeregt kümmert sie sich um das Gepäck als gäbe es nichts Wichtigeres.
Ja, ihre alte Unsicherheit.
Auf ihre Einladung bin ich gekommen. Ihre Tochter, die an der ETH Zürich studiert, auf meine Vermittlung hin, feiert einen Ball - um nicht alleine zu tanzen, weil Igor geschäftlich nicht kann (in Wahrheit vergnügt er sich mit Praktikantinnen), bin ich bereit herzuhalten; auch glaubt sie, mir etwas schuldig zu sein ... - bis es so weit ist, gönnen wir uns zwei Tage Auszeit in Neuhausen.
Um es kurz zu machen: Natürlich liebe ich Tilla immer noch - wie könnte ich jemals damit aufhören - aber eben nicht als Liebhaber, eher als Bruder, als älterer Bruder. Ich spüre und weiß, was sie braucht, kann es ihr allerdings nicht geben.
Ihr Hunger nach Bestätigung ist immens. Sie macht sogar dem Kellner im italienischen Restaurant schöne Augen ... blaue Augen, meistens verwundert, schelmisch lächelnd aus der Sicherheit eines Wissens der letzten 4000 Jahre heraus, aber ihr selbst leider völlig unbekannt.
Im Hotel tanzt sie nackt aus der Dusche raus, rein zufällig freilich nur;) ihr Haar, im normalen Leben immer zu einem Knoten gebunden, offen, kraus; schmal- und feingliedrig ist sie immer noch, Ballettlehrerin - aber trotzdem ohne meine Blutkörperchen, rot und weiß in Aufruhr durcheinander zu bringen, geschweige denn in meiner Hose für einen Aufstand zu sorgen ... zu vertraut sind mir ihre Wunden, die ich nicht lecken kann ...
Als ich ihr dann auch noch den Vorwurf mache, als sie mir ein Foto Igors auf dem Handy zeigt: fett, mit nacktem Oberkörper in Fischerweste, Baseball-Cap und Sonnenbrille - "wärst du mal bei koscherem Fleisch geblieben!" Ist der Ofen aus - sie schmeißt mich raus.
Allerdings nicht ohne mir noch 50 Schweizer Franken hinterher zu schmeißen - "Mehr war deine Anwesenheit hier nicht wert!"