Nummer 13
Ich habe mit dieser Geschichte bereits auf einer völlig anderen Homepage angefangen, möchte sie aber zu Ende bringen und werde daher die Kapitel nach und nach hier einstellen in der Hoffnung, auf ein paar Anregungen, mit denen ich ein passendes Ende schreiben kann. Ich hoffe, ihr habt in der Zwischenzeit viel Spaß beim Lesen...Heute ist wieder einer dieser Tage, an denen ich mir wünsche, nie aufgestanden zu sein. Erst hatte ich mein Portmonee zu Hause vergessen, sodass ich mir nicht einmal mein Mittagessen für den Tag leisten konnte und dann fährt mir auch noch die Bahn vor der Nase weg, obwohl ich mich nach langem Überlegen dazu entschlossen hatte, heute ohne Ticket zu fahren.
Abgesehen davon habe ich das Gefühl, bei der Kleiderwahl heute danebengegriffen zu haben. In nur zwei Stunden steht ein wichtiges Meeting bevor, bei dem ich meinem Chef beweisen will, was ich drauf habe und dann so was… Ich sehe an mir herunter, begutachte dabei die türkisfarbene Bluse und die schlichte, schwarze Hose, die ich heute gewählt habe. Hätte ich mehr auffallen sollen? Ich versuche immer, durch Kompetenz zu strahlen, fühle mich aber meist unwohl im direkten Vergleich mit meinen Kolleginnen, die den männlichen Gesprächspartnern bereits optisch so den Kopf verdrehen, dass sie erzählen können, was sie wollen und dabei immer Zustimmung erhalten. Ich habe für mich beschlossen, dass ich das nicht nötig habe.
Also atme ich tief ein und aus, schwinge meine Handtasche über die Schulter und mache mich dann zu Fuß auf den Weg. Immerhin hat es aufgehört zu regnen. Dann würde ich wenigstens nicht wie ein begossener Pudel zur Arbeit erscheinen.
Eine Sache habe ich in meinen Überlegungen jedoch nicht bedacht… Es regnet zwar nicht mehr, aber es hat die komplette Nacht und den gesamten Morgen geregnet, sodass die Straßen noch ziemlich nass sind. Spätestens in dem Moment, als ich ein Auto hinter mir höre und merke, wie es ziemlich schnell näher kommt, wird mir bewusst, wie nah ich am Fahrbahnrand stehe. Mein Versuch, mich in Sicherheit zu bringen, erweist sich als ziemlich lächerlich. Bevor ich mich fragen kann, wie mein gerade vollführter Sprung für Außenstehende aussehen muss, merke ich auch schon das kalte, nasse Wasser, mit dem sich meine Hose vollsaugt.
Ich will dem Audi, der für mein Schicksal verantwortlich ist, böse hinterher sehen, doch dieser muss schon um die nächste Ecke verschwunden sein. ‚Blöder Mistkerl‘, denke ich mir und gehe grummelnd weiter.
Ganz in Gedanken vertieft, merke ich nicht, wie sich mir jemand von hinten nähert und zucke völlig überrascht zusammen, als ich die Stimme hinter mir wahrnehme: „Bitte bleiben Sie stehen!“ ‚Warum sollte ich?‘, schießt es mir durch den Kopf, halte dann aber doch an und drehe mich genervt um. Wortlos blicke ich den Mann an, der mir nun gegenübersteht. Einerseits weil ich es mir fest vorgenommen habe, andererseits weil ich einfach sprachlos über den Anblick bin. So ein attraktiver Mann hat mich mein ganzes Leben noch nicht angesprochen.
Doch bevor die Situation unangenehm wird, unterbricht der Unbekannte die Stille: „Ich habe Sie nicht gesehen und hatte es eilig. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.“ Mein Fragezeichen über dem Kopf muss groß genug sein, denn ohne Umschweife spricht er weiter: „Ich bin derjenige, der Sie gerade ziemlich durchnässt hat“, dabei kratzt er sich am Kopf und sieht an mir herunter, was mir doch sehr unangenehm ist. Ein leichtes Grinsen kann er sich nicht verkneifen, wahrscheinlich ist er sich der Zweideutigkeit seines Satzes genauso bewusst wie ich. Doch im Gegensatz zu ihm, merke ich, wie ich hochrot anlaufe und nicht weiß, was ich darauf antworten soll.
„Kann ich das irgendwie wieder gut machen?“, fragt er mich, immer noch mit dem charmanten Grinsen, das mich so verlegen macht. „Ach was, nicht der Rede wert. Heute ist sowieso nicht mein Tag“, merke ich an und drehe mich um. Dieses Gespräch wird sowieso zu nichts weiter führen.
Doch ich komme nicht einen Schritt weiter, da hält er mich an der Schulter fest: „Nicht so eilig. Sie können mich hier nicht einfach so mit meinem schlechten Gewissen stehen lassen.“ Eigentlich müsste ich seine Hand sofort von meiner Schulter nehmen, schließlich kann er mich nicht einfach ungefragt anfassen, doch andererseits ist dieses Gefühl seiner warmen, großen Hand gar nicht so unangenehm. Also drehe ich mich wieder zurück. „Ich befürchte, dass mir niemand dabei helfen kann, in knapp zwei Stunden so auszusehen, als wäre ich heute Morgen um 5 Uhr aufgestanden und hätte seitdem nichts anderes gemacht als mich auf meinen Termin vorzubereiten.“ Kaum habe ich diese patzige Antwort ausgesprochen, schon bereue ich es, dass ich diesem großen, gut gekleideten Mann mit den dunklen Haaren, die ihm leicht in die Stirn fallen, keine vernünftigen Antworten geben kann.
Ich sehe seine Augen strahlen, als hätte ich einem Kind gesagt, dass es den heutigen Tag nicht zur Schule müsste, sondern auf den Spielplatz darf. Er hält mir seine Hand hin, wie zur Versöhnung. „Wenn ich es schaffe, Sie innerhalb von zwei Stunden genauso aussehen zu lassen, dann darf ich Sie heute Abend zum Essen einladen.“ Das ist keine Frage, sondern ein Vorschlag, den ich vermutlich gar nicht ausschlagen kann, selbst wenn ich wollte. Damit hätte ich nun überhaupt nicht gerechnet. Warum sollte er das machen wollen? Was hat er nur davon? „Ich… ähm… das… klingt gut.“ Mehr kann ich darauf einfach nicht antworten. Mehr ist auch gar nicht nötig.
Wenige Minuten später sitze ich in genau dem Auto, über das ich mich gerade so maßlos geärgert habe. Von so einem Wagen träume ich schon seit Jahren, auch wenn mir klar ist, dass ich so ein Auto nie besitzen werde. Nun sitze ich darin und lasse mich von einem fast Fremden durch die Gegend fahren.
Ich beschließe, endlich den Verstand wieder einzuschalten und rational zu überlegen, was ich hier gerade tue. Zuerst sollte jemand wissen, dass ich mit diesem Mann unterwegs bin. Eine passende Ausrede dafür habe ich sofort parat. „Ich muss mich auf der Arbeit melden, dass ich später kommen werde.“ Er kann nicht wissen, dass ich in dieser Hinsicht eigentlich sehr flexibel bin. „Lassen Sie sich nicht aufhalten“, mit diesen Worten reicht er mir sein Smartphone, bevor ich auch nur daran denken konnte, meines aus der Tasche zu holen. Ich tippe die Nummer ein und wollte gerade das Handy ans Ohr halten, als ich merke, dass es mit dem Auto verbunden ist und ich über die Freisprechanlage telefonieren müsste. „First Exclusive Inc., Nici am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“, so erklang die freundliche Stimme im Innenraum des Wagens. „Hi Nici, hier ist Susannah. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich etwas später kommen werde. Ich bin aber pünktlich zu meinem Termin nachher da. Ich bin jederzeit über mein Handy erreichbar.“ Mehr Spielraum habe ich nicht, ihr meine Situation zu erklären. Und obwohl der Mann neben mir jetzt meinen Vornamen kennt und sogar weiß, wo ich arbeite, bin ich erleichtert. „Danke, dass du Bescheid sagst, ich gebe das an Mr. Barley weiter. Bis später!“
Während des Telefonats habe ich gar nicht darauf geachtet, wo wir lang gefahren sind. Auf einmal befinden wir uns in einem ziemlich schicken Viertel von Seattle. Hierher treibt es mich nicht oft, weil die Läden einfach zu teuer sind. Vor einem Friseursalon wurde der Wagen auf einmal langsamer und bevor ich weiß, was passiert, sitze ich schon in diesem Laden auf einem Stuhl und jemand macht sich an meinen Haaren zu schaffen, nachdem der Unbekannte kurz mit einem der Angestellten gesprochen hat. Wahrscheinlich kennen sich die beiden, dieses Gespräch machte so einen vertrauten Eindruck auf mich.
„Ich kümmere mich um den Rest“, mit diesen Worten, die an mich gewendet sind, verschwindet mein Wohltäter und ich bin ganz allein. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich immer noch völlig ohne Bargeld oder Kreditkarte in diesem viel zu teuren Laden sitze und ich nicht weiß, wie ich rechtzeitig zu meinem Termin kommen soll, wenn ich nicht wieder abgeholt werde.
Ich fühle mich für einen kurzen Moment wie ein Kind, das unter Aufsicht steht und nicht allein entscheiden kann. Das möchte ich nicht mit mir machen lassen. Also hole ich mein Handy raus und wähle die Nummer mein Freundin Lena, die heute eigentlich in der Uni sein müsste. Doch vielleicht kann sie mir trotzdem helfen.
„Lena, schön dich zu hören! Ich erkläre dir später, wie es dazu kommen konnte. Aber bitte komm vorbei. Ich habe mein Geld zu Hause vergessen und sitze gerade bei diesem Friseur in der 5th Avenue. Gleich habe ich einen wichtigen Termin, den ich auf keinen Fall verpassen darf.“ Ich rede so schnell ich kann. „Hey, beruhige dich erst Mal. Also die Geschichte dazu musst du mir wirklich erzählen. Aber zuerst kümmern wir uns um dein Problem. Ich habe hier noch eine Vorlesung. Direkt danach kann ich zu dir kommen“, flüsterte sie in ihr Telefon. Daran hatte ich gar nicht gedacht, dass ich sie in so einem ungünstigen Moment erwische. Sie legt auch direkt auf, ohne dass ich weitere Fragen stellen kann. Ich hoffe, sie schafft es rechtzeitig.
Ich habe mein Handy gerade in der Tasche verstaut als ich schon das Ergebnis des fleißigen Friseurs begutachten kann. Ich erkenne mich kaum wieder. Erstaunlich, was ein paar geschickte Handgriffe anstellen können.
Doch schon geht es weiter. Ich soll die Augen schließen, da jetzt noch das Make-Up kommt. Da ich so eine Behandlung nicht jeden Tag erlebe, weiß ich nicht, wann ich die Augen wieder auf machen kann und halte sie einfach geschlossen. Irgendjemand wird schon etwas sagen, wenn ich fertig bin.
„Noch schöner als vorher.“ Da ist sie wieder. Die tiefe Stimme dieses Mannes, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich reiße die Augen auf. Lächelnd und mit einer Tüte in der Hand steht er vor mir. Er reicht mir die Tüte und zeigt mit seinem Kopf in Richtung der Toiletten. Wortlos nehme ich die Tüte an mich und gehe zur Toilette. Ich kann es noch gar nicht fassen, dass er jetzt für mich eingekauft hat. Will er unbedingt mit mir essen gehen? Warum gibt er sich so viel Mühe mit mir?
Ich ziehe meine alten, noch nassen Sachen aus und begutachte den Inhalt der Tüte, die ich gerade entgegen genommen habe. Darin befindet sich eine violette Bluse, die an den Ärmeln leicht durchsichtig ist. Dazu hat er einen knielangen, grauen Faltenrock gekauft, der wirklich sehr gut aussieht. Ich zweifle auf einmal doch, ob ich mich umziehen sollte, da ich sonst fast nie Röcke trage und damit wollte ich nicht unbedingt an so einem Tag beginnen. Doch welche Wahl hatte ich. Würde ich das nicht anziehen, hätte ich dich Befürchtung, dass die Enttäuschung so groß sein könnte, das ich nicht mehr zurück gefahren werde und dann letztendlich doch zu spät komme. Ich ziehe mich also um und stelle fest, dass in der Tasche sogar noch ein paar halbhohe Pumps mit Riemchen liegen. Wie hat er das nur in der kurzen Zeit alles kaufen können? Und es passt auch noch perfekt. Ich kann mir einfach nicht erklären, wie ich nur in diese Situation kommen konnte.
Nachdem ich umgezogen bin, betrachte ich mich im Spiegel, der die komplette Wand an der Waschbeckenseite einnimmt. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Es steht eine völlig fremde Frau mir gegenüber. Aber diese Frau sieht fantastisch aus.
Voller Selbstbewusstsein verlasse ich die Toilette und zeige mich den anderen. Das anerkennende Nicken ist mir nicht entgangen.
„Susannah, das steht Ihnen hervorragend. Lassen Sie uns fahren. Sie wollen doch nicht zu spät kommen.“ Mein Helfer nimmt mich bei der Hand und führt mich zu seinem Auto. Dort öffnet er die Tür und lässt mich erst einsteigen, bevor er selbst hinterm Steuer Platz nimmt.
Die Fahrt vergeht wie im Flug und das Grinsen ist aus meinem Gesicht nicht mehr zu entfernen. Viel zu schnell sind wir an meiner Firma angekommen. Er hält direkt vor der Tür und ich steige leicht wehmütig aus dem Auto. Irgendwie hat mir der bisherige Vormittag sehr gut gefallen.
„Ihrem Gesichtsausdruck während der Autofahrt entnehme ich, dass das Ergebnis zufriedenstellend ist? Dann würde ich sagen, gehören Sie heute Abend mir.“ Ich habe diese Absprache fast schon vergessen und bin völlig perplex, dass er nun darauf besteht. Auch finde ich die Wortwahl etwas eigenartig… Was meint er damit, ich gehöre ihm? Aber was soll’s, er hat sein Versprechen gehalten, also werde ich den zweiten Teil der Abmachung ebenfalls einhalten. „Sehr gerne. Verraten Sie mir noch Ihren Namen, bevor ich mich jetzt den ganzen Tag frage, wer so nett zu mir war?“ Ich lächle ihn mit meinem bezauberndsten Lachen an und soll darauf auch sofort eine Antwort bekommen. „Ich bin Ethan Collins. Nennen Sie mich Ethan.“ Ohne auf meine Reaktion zu achten, fährt er davon und lässt mich allein zurück.
Ich will mich am liebsten ohrfeigen. Ich hätte ihn erkennen müssen. Ich muss zugeben, dass ich mich nicht so sehr für Nachrichten über andere Personen interessiere. Ich weiß, dass über Ethan Collins viel in der Presse berichtet wird, doch das habe ich nur halbherzig betrachtet. Nie hätte ich damit gerechnet, dass ich ihm unter diesen Umständen begegnen würde. Gedankenversunken gehe ich durch eine der Drehtüren in das Gebäude, in dem sich meine Firma befindet und tippe noch eine SMS an Lena, die hoffentlich nicht schon auf dem Weg zum Friseur ist.
Der Arbeitsalltag holt mich schnell wieder ein, schließlich muss ich noch alle Unterlagen, die ich vorbereitet habe, zusammen suchen um mich dann den potentiellen Kunden gegenüberzustellen, denen ich gleich begegnen werde. Wenn ich diesen Termin nicht vermassle, könnte das bedeuten, dass ich nicht nur neue Kunden für die Firma gewonnen habe, sondern es würde mich selbst in meiner Karriere voran bringen.
„Mr. Barley“, begrüße ich meinen Chef und nicke ihm dabei zu. „Sind die Herren Chase und Lonum eingetroffen?“, fragt er mich, während er seine Aktentasche in die Hand nimmt und mir in den Besprechungsraum folgt.
Mein Herz klopft wie wild als alle Anwesenden begrüßt und die Tür geschlossen ist. „Bitte nehmen Sie Platz“, beginne ich das erste Meeting, das von mir geleitet werden soll. Ich fühle mich so selbstsicher wie noch nie, das muss an dem neuen Outfit liegen. Damit schaffe ich es sogar, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich mich nicht hinter anderen verstecken muss. Ich biete den Gästen etwas zu trinken an und präsentiere dann meine bisherige Arbeit. Die Kunden machen einen sehr erfreuten Eindruck auf mich und im Anschluss an das Gespräch bittet mich mein Chef kurz zu sich.
„Ms. Reynolds, ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir ein paar Sorgen gemacht habe, da Sie erst so spät aufgetaucht sind. Aber ich kann Ihnen sagen, dass Sie Ihre erste eigene Präsentation hervorragend gemeistert haben. Ich bin mir fast sicher, dass Sie uns gerade die nächsten Kunden an Bord geholt haben.“ Mit dieser Art von Glückwünschen hätte ich absolut nicht gerechnet und man muss mir ansehen, wie erleichtert ich auf einmal bin. „Herzlich Willkommen im Green-Garden-Projekt“, mit einem anerkennenden Schulterklopfen überbringt Mr. Barley mir diese Botschaft und ich bin überglücklich über meinen Erfolg.
Den Rest des Tages lasse ich ruhiger angehen, ich muss noch immer die Ereignisse des Vormittags verarbeiten. Und je später der Tag wird, desto bewusster wird mir, dass ich am Abend verabredet bin.