Nicht zeitgemäß ...
Für menschliche Kommunikation gibt es verschiedenste Wege und alle kann man selbstverständlich nutzen. Zeitgemäß - das ist keine Frage, die ich mir dabei stelle, eher die, wie nachhaltig ein Medium vielleicht ist. Die verschiedenen Medieneigenschaften entscheiden darüber, welchen Kommunikationsweg ich wähle.
In meiner Jugend war es für "schnelle Kommunikation" üblich, lange miteinander zu telefonieren. Damals war das Telefon noch grau, hatte eine Wählscheibe und hing an der oft einzigen analogen Telefonleitung im Haushalt und nicht einmal die war eine Selbstverständlichkeit. Bis zum Anschalten verging bei einem Wohnungswechsel auch schon einmal ein Jahr. Deshalb (oder wenn man keinen Ärger riskieren wollte, weil man die Leitung blockierte) ging man auch schon einmal in eine Telefonzelle und hatte dann hoffentlich genug Kleingeld dabei, wenn es um ein Ferngespräch ging. Ich erinnere mich sogar noch, daß Ortsgespräche zunächst nur eine Einheit kosteten, ein wenig später wurde der 12-Minuten-Takt eingeführt, die Aufregung darüber war groß, beendete das doch die erste "Orts-Tages-Flatrate" der deutschen Telefongeschichte.
Wollte man sich mit mehr Stil und verbindlicher ausdrücken, dann schrieb man sich Briefe auf richtigem Papier mit richtigen Umschlägen und Briefmarken. Manche Menschen hatten eigenes Briefpapier, vielleicht sogar farbig und mit Monogramm, Briefkopf oder Duft dafür. Diese Briefe mussten nicht unbedingt formal aussehen und langweilig sein, nein, ich erinnere mich, damals mit meiner Liebe richtige Collagen aus Zeitungsausschnitten, Comicfragmenten, zum Teil aufwändig kopiert (natürlich musste man dazu in einen "Copy-Shop" gehen) oder kleinen Gegenständen garniert mit persönlichen Textpassagen ausgetauscht zu haben, manchmal schrieb man solche Briefe sogar mehrmals am Tag und man freute sich noch auf den Postboten. Diese Briefe konnte man aufbewahren, mit einem farbigen Bändchen darum oder in einer extra dafür gedachten Kiste, wieder ansehen, noch einmal lesen (und sich für die ehemaligen Traktate schämen oder laut darüber lachen), aufpassen, daß die Kinder sie nicht in die Finger bekommen - oder auch rituell verbrennen, wegwerfen und auch zurückschicken, allein das war schon eine Form der Kommunikation.
Was dann folgte waren Akustikkoppler und später Modems mit immer höheren Übertragungsraten (am Ende V44 mit über 300 kBit/s Text komprimiert auf 50 Kbit
!), natürlich ohne Postzulassung und mit schweissnassen Fingern selbst ordnungswidrig an der "Amtsleitung" angeklemmt. Auch da war wieder Streit wegen der blockierten Telefonleitung vorprogrammiert bis endlich analoge Mehrfachanschlüsse billiger wurden und am Ende sogar ISDN mit eigenen ISDN-Karten für den Computer den Hausfrieden wieder herstellen half. Auf der Softwareseite experimentierte man mit BBS, sogenannten Mailboxen, wo man sich richtige Nachrichten schreiben konnte. Foren hießen damals noch boards und die Verbindung war oft schwierig und brach dauernd ab. Manche dieser oft privat betriebenen BBS hatten 10 oder sogar 20 Einwahlnummern und wechselten rasch, entweder, weil der Betreiber pleite ging, weil die anfällige Hardware versagte oder weil die Modems bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurden. An der Universität folgte dann der erste Kontakt mit schnellen Datenleitungen, Standleitungen, Internet (unter Windows 3 noch mit Einwahlprogrammen wie Gopher etc.). Das war alles sehr "Nerd".
Heute sind die Telefone oft smarter als ihr Benutzer, mobil und haben immer Netz. Fax wird sogar aus dem Geschäftsleben immer mehr verbannt. DSL oder Glasfaser werden vorausgesetzt und wenn die Internetverbindung gestört ist (was nur noch selten vorkommt) ist das eine kleine Aufregung wert, ähnlich wie ein Stromausfall (nur ohne Babyboom). Mail ist offizieller Standard, die BBS sind jetzt Foren mit eigenen Themen und natürlich kann selbst meine fast 80jährige Mutter SMS versenden, chatten und skypen, obwohl sie lieber telefoniert. Als "fortschrittlichste" Errungenschaft nutzt meine Tochter Snapchat, wo sich die verschickten Nachrichten und Fotos nach einstellbarer Sekundenfrist von selbst zerstören.
Dieser Selbstzerstörungsmechanismus gefällt mir nicht. Die große Flüchtigkeit von Chats gefällt mir nicht, die Kommunikationsgeschwindigkeit dagegen sehr, aber auch da warte ich manchmal gefühlt zu lange auf Antworten.
Ich mag bestimmte Aspekte von Mails (schnell und leicht zu schicken und zu pflegen). Ich mag, daß man Mails aufbewahren kann, wenn auch nicht in einer Kiste oder mit einer Schleife drumherum. Ich mag die Intimität von Mail. Ich mag sogar, daß man ganze Mailsammlungen löschen kann und der Absender das sieht.
Aber manchmal wünsche ich mir wieder die Vorfreude auf den Postboten, vielleicht ein Päckchen, voll Liebe eingepackt, einen mit Liebe geschriebenen Brief. Aber dazu bin ich wohl zu alt, das ist nicht mehr zeitgemäß.