6. Teil
Sie ging zurück zu ihren Eltern, die sich mit Caoimhe immer noch angeregt unterhielten. Leah stieß einen Schrei aus, als sie den winzigen Hund sah und schnitt ein Stückchen Wildschweinfleisch klein, das sie in ein Holzschälchen legte. Die feuchte Nase des Hundes bebte feucht und witterte sichtlich das köstliche Fleisch. Niamh ließ den Welpen auf den Boden gleiten, der gleich eilig auf den Fressnapf zutapste.
Kurze Zeit später schmatzte der Hund laut. Heiteres Gelächter erklang. Zufriedenheit machte sich in Shanes Brust breit. Er liebte diese Abende, wenn draußen die Kälte ihr Regiment führte, die Familie jedoch beim prasselnden Feuer saß und alle Mägen gefüllt warene. Caoimhe saß auf ihrer Holzbank und sah wachen Blickes auf die Menschen, die so plötzlich in ihr Leben getreten waren.
Die weise Frau schloss die gutmütigen Bauern in ihr Herz. Ihr brennendes Interesse galt jedoch der schönen Niamh, der die plötzlich aus dem Nichts aufgetauchte Fremde nicht geheuer war.
Die Sichel des Mondes stand hell und klar am tintenschwarzen Nachthimmel als Shane Caoimhe zu ihrer Hütte geleitete. Hilfsbereit säuberte er die Feuerstelle von morschem Holz und Ruß und legte dann säuberlich geschichtet gespaltene Holzscheite in die Mitte des Kamins.
Mit konzentrierte Miene bückte sich Shane ächzend und setzte umständlich die Scheite in Brand. Als das Feuer hoch aufloderte lächelte er zufrieden. Caoimhe bedankte sich mit ihrer melodiösen Stimme: „Habt Dank für Eure Gastfreundschaft. Der Met wird mich bald in das Land des Schlafes führen.“ Sie lachte leise auf; Shane grinste. Er fühlte sich in der Gegenwart der schönen Fremden etwas linkisch. Der Bauer räusperte sich: „Ich gehe jetzt wieder in meine Bleibe. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“ „Ja, das wünsche ich Euch auch.“ erwiderte Caoimhe und hielt Shane die Tür auf. Er ging hinaus in die Nacht. Nachdenklich sah Caoimhe ihm nach.
Shane verharrte in der Dunkelheit, deren klammen Finger sein Gesicht streichelten. Er ließ seinen Blick schweifen. Die Nacht wurde finsterer; der bleiche Mond verschwand hinter gigantischen Wolken, die aufzogen. In diesen Nächten ging das Böse um. Kein Lichtstrahl des Mondes erhellte mehr die tiefen Schatten unter den Bäumen. Das Rufen einer Eule zerschnitt abrupt die unheilvolle Stille und verhallte in den Weiten des undurchdringlichen Waldes. Shane fröstelte innerlich als der letzte Laut des nächtlichen Rufers verklang. Die Menschen taten gut daran, diese Nächte zu meiden. Man verharrte still in den Hütten des kleinen Dorfes Gaoth Dobhairnfaes und erwartete sehnsuchtsvoll den kommenden Tag, der das Licht zurückbringen würde.
Das Dorf lebte von dem, was der lehmige Boden hergab. Die Einwohner wilderten manches mal in den dunklen Wäldern des Earls von An Charraig. Für Wilderer gab es kein Erbarmen, sei ihre Hungersnot auch noch so übermächtig. Zur Abschreckung und schauerlichen Vergnügen des Mobs hauchten Wilddiebe bei einer öffentlichen Hinrichtung ihr Leben aus. Aber der Hunger und die allgemeine Not ließen den Menschen, die unter der Herrschaft des Earls ein karges Dasein führten, keine andere Wahl.
Man musste nur voller List vorgehen und die dunklen Nächte, in denen sich auch die Gefolgsleute des Earls nicht in die Wälder trauten, ausnutzen. Jeder wusste, dass das Ertappen eines Wilderers auf frischer Tat mit dem Tode bestraft wurde, aber die Not mobilisierte den Erfindungsreichtum der einfachen Leute, die mit Wagemut ihren kargen Speisezettel aufbesserten. Jeder Tag war aufs Neue ein Kampf. Zu viele waren in den letzten Wintern an Unterernährung, Seuchen und Kälte gestorben; gerade die Alten, die Kinder. So viele Tränen waren geflossen, mit denen man den nahen, grundlosen schwarzen See hätte füllen können...
Niamh erwachte mit einem Lächeln auf den Lippen und zog die kleine Welpe, die sie heimlich in ihr Bett geholt hatte, an sich. Der winzige Hund drängte sich schutzsuchend an Niamhs schlafwarmen Körper. Sie lächelte, streichelte geistesabwesend das flauschige Fell des Tieres und ihre Gedanken wanderten wieder zu Darragh. Ihm galt der letzte Gedanke am Abend. Niamh dachte entschlossen: „Ich werde einen Weg finden, um mich mit ihm zu treffen.“ Das verbotene Spiel reizte sie und Niamh war gewillt, für die in ihr erwachte Leidenschaft alles auf eine Karte zu setzen.
Leah beäugte ihre Tochter misstrauisch. Niamh sprühte geradezu vor Übermut. Was war mit dem Kind los? Shane lachte gutmütig, als Leah ihm die augenscheinliche Veränderung ihrer Tochter vor Augen führte. „Sie hat ein Strahlen in den Augen, das ich noch nie bei ihr gesehen habe. Irgendetwas stimmt da nicht.“ beharrte Leah und hoffte, dass Shane ihre Zweifel zerstreuen würde. Doch ihr Mann klopfte nur bedächtig den Tabak aus seiner geschnitzten Pfeife und porkelte umständlich darin herum.
Leah brodelte innerlich. Nichts und niemand konnte ihren Mann aus der Ruhe bringen. Ungeduldig schob Leah einen Holzstuhl an die Seite, um einen imaginären Fleck auf dem Fußboden zu begutachten. Die stämmige Frau sah ihren Mann scharf an. Shane, der sehr wohl das Gären im Inneren seiner Frau bemerkte, sagte ruhig: „Unser Kind breitet seine Flügel aus. Ihr Zuhause wird ihr wohl langsam zu eng. Sie ist eine schöne, junge Fau; vielleicht ist ihr bereits die Liebe begegnet.“ Leah kannte die poetische Ader des einfachen Bauern Shane. Als er um Leah warb, hatte er manches Mal seiner Angebeten selbstverfasste Gedichte vorgetragen.
Damals war Leah ein junges, unerfahrenes Mädchen gewesen und hielt dem hartnäckigen Werben Shanes lange Stand. Doch in einer lauen Sommernacht, als der Mond wie ein stummer Wächter am Himmel stand, brachte Shane in seiner zukünftigen Frau eine Seite zum Klingen, von deren Vorhandensein Leah nicht einmal etwas geahnt hatte. Shane errang in jener Nacht die Liebe seiner Frau, die von Stund an keinen anderen Mann mehr anblickte.
Leah setzte sich fassungslos auf den Stuhl und fasste sich an die Stirn. Sie empfang Shanes Gedankengänge als abwegig, aber ein Körnchen Wahrheit könnte darin wohl stecken. „Dass ich daran nicht gedacht hatte.“ sagte Leah verdutzt und knetete nervös ihre schwieligen Hände. „Aber wer kann es sein, Shane? Wer kann unserer Tochter das Herz gestohlen haben?“ fragte sie staunend ihren Mann.
Shane sah Leah milde lächelnd an. Sein gutmütiges Gesicht bekam einen leicht spöttischen Ausdruck. Seine patente Frau, die schon so viele Monde getreulich an seinerr Seite weilte, sprachlos zu erleben, kam nicht oft vor. „Ich weiß es nicht, Leah. Aber ich glaube, dass Niamh uns irgendwann davon erzählen wird, wenn die Zeit reif ist.“ sagte er abschließend und legte eine Hand auf Leahs Schulter. Steifbeinig richtete Shane sich auf, schmauchte an seiner Pfeife und verließ die Hütte.
Der eisige Wind zerrte an Niamhs Kleid, als sie das kleine, eingezäunte Areal mit den die gackernden Hühnern betrat. Der große, schwarze Hahn, der die junge Frau aus seinen kleinen Augen tückisch ansah, hackte mit einem schnellen Hieb in Niamhs rechten Fuß. „Du landest bald im Suppentopf!“ rief sie erbost und trat nach dem aufdringlichen Federvieh, das geschickt dem drohend näher kommenden Fuß auswich. Niamh lachte laut auf. „Ja, Ihr habt ja Recht! Anstatt Euch zu füttern, hänge ich meinen Gedanken nach.“ sagte sie, schon beschwichtigt, zu den Tieren.
Eine Weile schaute sie den friedlich pickenden Hühnern zu. Das Herz Niamhs schlug unruhig und voller Verlangen. Sie grübelte und grübelte. Wenn sie sich einfach wegschleichen würde? Niamh verwarf diesen Gedanken umgehend. Wie sollte sie ihren Eltern, die sie mit Argusaugen zu beobachten schienen, ihr Verschwinden erklären? Die junge Frau drehte sich herum und wollte zu dem großen Mastschwein gehen, das sie ebenfalls versorgen musste. Sie zuckte plötzlich zusammen. Caoimhe stand vor ihr. Niamh hatte ihr Näherkommen nicht bemerkt.
„Mein liebes Kind! Es tut mir leid, wenn ich Dich erschreckt habe.“ sagte die vornehme Frau zu Niamh und sah sie mit ihren großen, schönen Augen liebevoll an. Die junge Frau fühlte sich gegenüber Caoimhe linkisch und befangen. Die weise Frau trug ein Lederkleid, das die Farbe frisch gefallenen Schnees besaß. Ihre langes, glänzendes Haar glitt wie ein Wasserfall den schmalen Rücken hinab. Caoimhe lächelte milde und legte zärtlich eine Hand auf Niamhs Wange. Die junge Frau wich zurück.
Die Aura, die Caoimhe ausstrahlte, ängstigte sie und schien nicht von dieser Welt zu stammen. Die Fremde, die wie Nebel aufgetaucht war, passte nicht in das dörfliche Idyll. Caoimhe spürte Niamhs sichtliches Erschrecken voller Bestürzung. Die Menschen behandelten die weise Frau mit Respekt und Ehrerbietung, schufen jedoch eine Barriere, die Caoimhe nicht überwinden konnte. Man spürte die Macht, die von ihr ausging und die alten Mythen taten ihr Übriges. Nicht wenige glaubten, dass Caoimhe kein Mensch aus Fleisch und Blut war, sondern eines der Schattenwesen, das der dunkle Schoß der Erde ausgespien hatte.
Die weise Frau kannte den Aberglauben der einfachen Leute, konnte ihn jedoch nicht zerstören. „Ich muss weiter mein Arbeit verrichten, hohe Frau.“ sagte Niamh schüchtern und hastete Richtung Schweinekoben. Ihr plötzlicher Weggang glich einer Flucht. Caoimhe sah Niamh nachdenklich hinterher. Shane kam bedächtig auf sie zu. Er humpelte. Der nahende Winter fuhr ihm kalt und feucht in die morschen Glieder.
Shane hatte aus einiger Entfernung die Begegnung der beiden Frauen scharf beobachtet. Den Wortlaut konnte er allerdings nicht vernehmen. Shane wunderte sich etwas über Niamhs hastigen Rückzug und suchte mit der am gestrigen Tage angekommenen Fremden eine Unterredung. „Seid gegrüßt.“ Caoimhe lächelte und blickte den kleinen, knorrigen Mann an, dessen blaue Augen ein stolzes Herz verrieten.
Shane erwiderte diesen eindringlichen Blick offen. Die Fremde wirkte wie ein weißer Falke unter Raben, aber ihr fremdartiges Wesen konnte ihn nicht einschüchtern. „Eure Tochter ist ein schönes Kind.“ begann Caoimhe sinnierend das Gespräch. Shane spürte Beklommenheit in sich aufbranden. Caoimhe blickte ihn unverwandt mit ihren klaren Augen an.. „Fürchte Dich nicht! Ich will nichts Böses von Euch.“ sagte sie Caoimhe gütig.
Shane erschrak und trat stolpernd einen Schritt zurück. Konnte es sein, daß diese seltsame Frau sich seiner Gedanken bemächtigt hatte? Shane besaß eine eine klare, starke Natur und oft machte er sich über die seltsamen Geschichten der anderen lustig. Er war diesseitig aufgewachsen; Leid und Mühsal ließen ihn vorzeitig altern; aber das soeben Erlebte, erschütterte das Fundament seines Glaubens nachhaltig und wirkte wie ein Erdrutsch.
„Wer seid Ihr und was hat Euch zu uns geführt?“ fragte er Caoimhe heiser. „Es ist noch nicht an der Zeit, dass darüber Worte verloren werden müssen, mein Freund. Euer Dorf ist in meinen Träumen erschienen und eines Tages führte mich mein Weg direkt zu Euch. Vertraue mir und ängstige Dich nicht.“ beschwichtigte Caoimhe nochmals den einfachen Mann, der sich in einem Wachtraum wähnte. „Verzeiht mir, wenn ich zu aufdringlich war. Mich überkam plötzlich ein ungutes Gefühl.“ rechtfertigte Shane sich.
Er sah die seltsame Frau immer noch unverwandt an, aber in deren Augen konnte er nichts Böses erkennen, sondern nur Güte und eine leise Trauer, die sich um die Augen Caoimhes einnistete. „Ich bitte Euch nur um Obhut und Aufnahme in Eure Dorfgemeinschaft.“ bat Caoimhe weich. Shane nickte langsam. Er wollte nicht weiter in die seltsame Frau dringen, das verlangte das Gebot der Höflichkeit. Auch wenn Gaoth Dobhairnfaes ein armes Dorf war, Gastfreundschaft besaß einen hohen Stellenwert.
Shane beschloss, diese seltsame Unterredung für sich zu behalten; kein Wort würde über seine Lippen kommen. Er nickte Caoimhe wortlos zu und wandte sich ab. Um den stolzen Mund der weisen Frau lag ein leichtes Lächeln.
Sie konnte den Menschen ihre Furcht nicht nehmen; man schätzte ihr Wissen über die Medizin der Natur, die im Überfluß vorhanden war, aber wenn Caoimhe eine Totgeburt vermied oder an Fieber Erkrankte, scheinbar Sterbende, behandelte, die wenige Tage später klaren Gedankens aufwachten, war ihr nur selten Dank gewiss, dafür aber um so mehr Misstrauen und Furcht. Die weise Frau seufzte leise und hieß die tastenden, weichen Strahlen der blassen Sonne, die ihr Antlitz erklommen, willkommen.
Niamh verrichtete ihre Arbeiten halbherzig und mit ungewohnter Hast. Immer wieder wanderte ihr Blick verstohlen zu der Hütte ihrer Eltern; Leah und Shane waren nicht zu sehen. Die junge Frau zögerte nur einen Augenblick. Eilig warf sie dem schmatzenden Schwein die Reste der alten Kartoffeln in den Trog und schloss das windschiefe Tor des Gatters. Die junge Frau hastete zum klaren, nahen Weiher und ließ das kalte Wasser über ihre Hände rinnen.
Sie richtete sich wieder auf und sah sich erneut um. Zwei Seelen stritten in Niamhs Brust: sie sehnte sich nach Darragh, aber andererseits war ihr bei dem Gedanken, ihre Eltern zu belügen, nicht ganz wohl. Aber die Stimme der Liebe übertönte die ZWeifel der jungen Frau. Entschlossen sprang Niamh über den kleinen Bach. Der Stechginster riss an ihrem Kleid und bohrte sich in ihren rechten Fußknöcheln. Niamh schrie leise auf und zog entnervt ihren Rock aus dem stacheligen Gewächs. Dann rannte sie, als sei der Leibhaftige hinter ihrer Seele her, durch den Wald.
Anmutige Rehe, die auf einer Lichtung standen, hoben erschrocken ihre schmalen Köpfe. Als sie erkannten, dass keine Gefahr zu befürchten war, widmeten sie sich jedoch wieder dem letzten, saftigen Gras des Jahres. Bald würde eine dicke Schneedecke alles überlagern; da hieß es, sich vor Winteranbruch noch ein Fettpolster anzufressen. Eine bläulich schillernde Elster wurde von dem Knacken der brechenden Äste unter Niamhs Füßen aufgescheucht und verkündete lautstark ihren Unmut.
Da, endlich! Die verfallene Scheune geriet in Niamhs Sichtweite. Sie verharrte ihren Schritt; das Herz schlug einen Trommelwirbel in der Brust und ein erwartungsvolles Prickeln in Niamhs Magengrube machte sich breit. Die schöne Frau strich sich glättend über ihr langes Haar und richtete ihr Kleid. Niamh lauschte angespannt. Irgendwo bellte heiser ein Fuchs; ein großer Habicht saß auf einem starken Eichenast und beäugte Niamh eindringlich. Das leise Schnauben eines Pferdes drang an das Ohr der jungen Frau. Sie wandte sich erwartungsvoll um und erblickte Darragh, der auf seinem Schimmel gemächlich durch den Wald trabte.
Niamh lief mit glühenden Wangen auf ihn zu. Darragh lachte auf und glitt aus dem Sattel. Er lief seiner Angebeteten entgegen und Sekundenbruchteile später flog Niamh in seine Arme, die für sie der einzige Platz auf der Welt waren, an dem sie sein wollte. Darragh zog die junge Frau an sich. Ihre Lippen fanden sich. Alles schien stillzustehen: das Leben und der Lauf der Jahreszeiten. Dann lösten sich die Liebenden aus ihrer Umarmung und sahen sich sehnsuchtsvoll in die vor Verlangen getrübten Augen.
Darragh ergriff eine von Niamhs Haarsträhnen und ließ sie langsam durch seine Finger gleiten. „Wie sehr habe ich Dich vermisst.“ raunte er seiner Geliebten rau in das Ohr, worauf diese ihr Gesicht fest an seine Brust presste und den männlichen Geruch nach Leder und Tabak tief in ihre Lungen sog. Schwindel erfasste sie. Niamh hob ihr Gesicht und prägte sich jede Einzelheit des männlichen, markanten Gesichts für alle Ewigkeiten ein.
Der sensible Mund, die glatt rasierten Wagen, die fast römisch anmutende Nase und die Augen, die sie vom ersten Augenblick in ihren Bann gezogen hatten. „Komm.“ forderte Darragh Niamh leise auf und sie folgte ihm willig zur Hütte. Der junge Adelige band sein Pferd an. Wortlos ging das Paar in das Innere der Hütte und ließen sich auf das Heu hinabsinken. Niamh fühlte wieder Scham in sich aufsteigen. Röte überzog das Gesicht der jungen Frau.
Darragh betrachtete hingerissen seine Geliebte und küsste behutsam ihre Fingerspitzen. „Was hat Dich verstimmt?“ fragte er schelmisch. Niamh wich seinem Blich aus. „Ich weiß eigentlich nichts von Dir.“ begann sie stockend und breitete umständlich ihren Rock über die Knie aus. Darragh betrachtete verzückt das süße, junge Gesicht. „Mein Onkel, der Earl von Mocullen, lud mich ein, auf seinem Schloß Wildwind für einige Wochen zu verweilen.“ begann er. Niamh erschrak. Dass er ein Adeliger von solch edlem Blut war, ängstigte sie.
Was konnte ein Mann, wie er, an ihr, einer Bauernmagd finden? Als habe Darragh die Gedanken seiner Geliebten lesen können, legte er sanft seinen rechten Zeigefinder unter Niamhs Kinn. „Sieh mich an!“ befahl er leise. Die junge Frau gehorchte. „Ich habe keine unehrenhaften Absichten; Dich habe ich mich nur aus Liebe genähert.“ flüsterte er zärtlich. Niamhs Augen flossen über und große Tränen rannen über ihre hohen Wangenknochen.
Darragh strich sie sanft aus dem zarten Gesicht. Staunen erfüllte seine Brust. Wie sehr hatte ihn dieses junge Mädchen ihn, den Zyniker, verzaubert. Darrah konnte bislang jegliche Heiratswünsche seiner Mutter unterlaufen. Auf Geheiß seines Vaters sollte er sich auf dem Schloß seines Onkels „die Hörner abstoßen“ und unter den heiratswilligen Damen des Umlandes seine Wahl treffen.
Darragh langweilte sich schnell auf dem Anwesen seines seines Onkels und bändelte unziemlicherweise mit einer jungen und sehr bezaubernden Dienstmagd an, die jedoch bereits dem ersten Stallknecht versprochen war. Die Dienstmagd war kein unerfahrenes Ding mehr und ließ sich die erotischen Avancen des hübschen Adeligen gern gefallen. Nach einer durchzechten Nacht wurde Darragh auf dem Heimweg wohl von dem Gehörnten überfallen und zusammengeschlagen.
Der junge Adelige wurde bewusstlos im Graben nahe des Schlosses gefunden. Tagelang musste er das Bett hüten, weil eine riesige Beule Schwindelanfälle hervorrief, die erst in der zweiten Woche nachließen. Nicht wenige am Hofe seines Onkels lachten hämisch, über die Abreibung, die der junge, arrogante Herr bezogen hatte. Bei Nacht und Nebel verschwanden dann die Dienstmagd und der Stallknecht.
Darragh zerrte an Niamhs Kleid und ließ behutsam seine warme Hand über die zarte Haut seiner Geliebten gleiten. Niamh kostete es unglaubliche Überwindung, sich den Liebkosungen Darraghs zu entziehen, aber sie tat es dennoch. Der junge Adelige wisperte: „Ich sehne mich so nach Dir.“ Niamh nickte stumm. Mühsam richtete sich auf. Ihr Körper schrie vor Verlangen, aber Darragh sollte kein leichtes Spiel haben, weil Niamh befürchtete, dass er ihrer dann sehr bald überdrüssig werden würde.
Die junge Frau richtete ihre Kleidung. Darragh blickte Niamh enttäuscht an und ergriff ihre Hand, um sie wieder an sich zu ziehen. „Nein.“ Niamh blieb standhaft. „Ich muß wieder zurück. Meine Mutter und mein Vater werden sich bereits sorgen.“ sagte sie lächelnd, aber bestimmt. Darragh seufzte und erhob sich ebenfalls. „Wann werden wir uns wiedersehen?“ fragte er eindringlich und sah Niamh tief in die Augen. „Ich weiß es nicht; es ist für mich nicht leicht, mich wegzustehlen.“ rechtfertigte Niamh ihre vage Aussage.
Darragh ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Er umfaßte die schmale Taille der jungen Frau. „Du weißt, ich lasse Dich nur ungern gehen.“ lächelte er und küsste nochmals sehnsuchtsvoll Niamhs roten, verlockenden Lippen, deren Süße den jungen Adeligen um den Verstand brachten. Die junge Frau löste sich sanft aus Darraghs Umarmung. „Wann sehen wir uns wieder?“ fragte Darragh nochmals. „Ich versuche jeden Tag kurz vor Einbruch der Dämmerung hier zu sein.“ versprach Niamh und löste sich entschlossen aus der Umarmung des kräftigen, jungen Mannes. Leichtfüßig, wie ein Reh, lief sie aus der windschiefen Hütte und eilte Richtung Wald.
Sie hielt inne, drehte sich um und sah zur Hütte hinüber. Darragh saß bereits im Sattel und sah Niamh sehnsuchtsvoll hinterher. Die junge Frau winkte, bis das Grün des Dickichts sie verschluckte. Darragh wendete sein edles Pferd und entfernte sich langsam, mit Enttäuschung im Herzen, von ihrem Liebesnest. Ein Eichelhäher hockte auf einem Baum und rief höhnisch auf den jungen Adeligen hinab, der sein Ross anspornte und in gestreckten Galopp heimwärts ritt.
Niamh atmete heftig und versuchte die Stiche in ihrer Seite zu ignorieren. Am Rand des Dorfes hielt sie inne und schlenderte, scheinbar gelassen, Richtung Hütte. „Niamh.“ rief eine hohe, klare Stimme. Die junge Frau erstarrte und wandte sich dann um. Caoimhe kam auf sie zugeschritten und Niamh fragte sich einmal mehr, was diese seltsame Fremde wohl hier im Dorf zu suchen hatte. „Niamh, mein liebes Kind. Ich benötige einige Kräuter für meine Salben; kannst Du morgen in den Wald gehen und mir diese besorgen?“ fragte Caoimhe freundlich die junge Frau, die erhitzt aussah, als sei sie schnell gelaufen.
„Gern, hohe Frau.“ stotterte Niamh etwas eingeschüchtert von Caoimhes imposanter Erscheinung. Das Alter Caoimhes konnte man nur schätzen. Ihre Hände waren weiß, wie Lilien; die Nägel lang und rosig. Den kunstvoll geschnitzen Stab trug sie immer bei sich. „Für meine Arzneien benötige ich Ginster, Mädesüß und die Wurzeln des schwarzen Klees, der hier beheimatet sein soll.“ sagte Caoimhe weiter. „Ja, ich weiß wo er wächst.“ antwortete Niamh, nun mit festerer Stimme. „Gleich morgen werde ich Euch die gewünschten Kräuter suchen.“
Caoimhe nickte. „Danke, mein liebes Kind. Eile nun; Deine Mutter hat Dich schon gesucht.“ sagte sie schmunzelnd zu Niamh, deren Gesicht mit Schamesröte überzogen war. Ein kurzer Abschiedsgruß, dann eilte Niamh schon zu ihrem Heim.
Leah bearbeitete in einem Mörser diverse Körner und ihr aggressiven Bewegungen ließen nichts Gutes erahnen. „Wo warst Du?“ fragte sie tonlos ihre Tochter, ohne den Blick zu erheben. „Ich war am Fluss und habe hierüber wohl die Zeit aus den Augen verloren.“ versuchte Niamh sich zu rechtfertigen. Ihr schlechtes Gewissen machte sie zornig. Sie war schließlich kein kleines Kind mehr! „Wir haben uns gesorgt.“ warf Leah ihrer so veränderten Tochter weiter vor und hielt nunmehr mit ihrer Arbeit inne.
„Komm her, mein Kind.“ forderte sie Niamh auf und setzte sich ächzend auf die Steinbank. Niamh folgte ihr nur widerwillig. „Was ist los?“ fragte Leah ihre Tochter direkt und ohne Vorwarnung. Niamh schwieg verbissen. „Nichts.“ Antwortete sie. Ungutes Schweigen überflutete den Raum. Leah seufzte und erhob sich wieder. Das Abendmahl musste vorbereitet werden; Shane würde gleich zurückkehren. Niamh ging ihrer Mutter schweigend zur Hand.
Eine Mauer umgab die beiden Frauen und schien unüberwindbar. Leah und ihre Tochter sprachen den restlichen Tag kaum ein Wort miteinander; Niamh erledigte jedoch gefügig ihre Arbeiten und verließ dann die Hütte. Sie war erhitzt und die ungute Atmosphäre machte sie unruhig und gereizt. Sie brauchte frische Luft.
Shane fühlte sich angenehm müde, satt; ihm war die ungute Atmosphäre in der Hütte jedoch nicht entgangen: „Frau, was ist los?“ fragte er Leah alarmiert und setzte seine Pfeife in Brand. „Das Kind entgleitet mir. Sobald ich sie frage, was ihr widerfahren ist, verweigert sie jedes Gespräch.“ berichtete Leah ihrem Mann kummervoll. „Lass sie! Wenn sie uns etwas zu erzählen hat, wird sie schon zu uns kommen.“ forderte er seine Frau auf.
Leah verdrehte unmutig die Augen. Diese Mann! Er war durch nicht aus der Ruhe zu bringen. Shane war jedoch weitsichtig und seine Worte hatten immer Bestand. Obwohl Leah mit Shanes Vorschlag keineswegs einverstanden war, unterdrückte sie weitere Fragen an Niamh. Die Sonne war bereits untergegangen und die Bewohner verschlossen ihre Türen. Es war kalt geworden und die Rauhreiffinger des nahenden Winters zauberten kunstvolle Gebilde und filigrane Netze in die Hecken und Büsche, die sacht in der Nachtbrise wehten.
Das Dorf umfasste 20 Hütten; die sich vor dem großen, dunklen Wald mit seinen uralten Tannen und Eichen duckten und an die Erde schmiegten. In der Dorfmitte trafen sich die Ältesten, hielten Rat, bestraften diejenigen, die Unrecht getan hatten; hier feierten sie ihre Feste und beweinten ihre Toten. Es war eine Gemeinschaft, die so eng war, dass Außenstehende hier keinen Zutritt hatten. Alle waren einfache Bauern, die ein entbehrungsreiches Leben führten. Vor vielen Monden wurde das Dorf von der Armee des Earls von An Charraig heimgesucht.
Seine Reiter glichen einer Armee der Finsternis, ihre Pferde schier unverletzlich und den alten Mythen nach aus der Unterwelt aufgestiegen, unbesiegbar und todbringend. Wie eine gigantische Welle überrollte Gewalt das kleine Dorf und brachte Tod und Verderben. Tapfer, aber machtlos stellten sich die Bewohner gegen diese unheilbringende Macht; die Kinder und die Alten versteckte man in geheimen Gängen, die schon seit Jahrhunderten Schutz boten.
Keiner hatte diesen Reitern etwas entgegenzusetzen; sie schienen einer anderen Welt entsprungen zu sein, wenn sie mit ihrem Banner, das einen schwarzen, feuerspeienden Drachen zierte, einem Todesschwadron gleich, durch das Dorf fegten; die Hütten niederbrannten und das Vieh erschlugen. Nur noch die Alten erinnerten sich an jene unheilvolle Nacht, verschlossen das Erlebte tief in ihren Seelen und sprachen selten von den Ereignissen.
Der Earl von An Charraig, so die Legende, war ein überlebender Zwilling, der seinen Bruder schon im Mutterleib getötet haben soll, um niemals teilen zu müssen. Er war ein bösartiges Kind; seine Amme war eine buckelige Hexe, die ihn mit der Materie der schwarzen Magie von Kindesbeinen an vertraut machte. Seine Mutter und seine Zwillingsschwester verstarben bei der Geburt; der kleine Junge, der überlebte, besaß schon als Säugling Zähne und trug an jeder Hand sechs Finger und an jedem Fuß sechs Zehen.
Ein Zeichen, dass er dem Satan geweiht war und Tod und Verderben bringen würde. Seinen Vater kannte man nicht; man munkelte, dass seine Mutter in einer gottlosen, schwarzen Nacht den Satan persönlich zu sich eingeladen hatte. Nur so konnte es gewesen sein.
Jeder kannte die Geschichte; kaum einer hatte den Earl von An Charraig gesehen; in hellen Vollmondnächten sah mancher einen riesigen Rappen mit einem schwarzen Reiter über die Ebene jagen, schnell, wie eine gigantische Sturmwolke; es schien, als würde das Ross mit seinen Hufen den Boden nicht berühren. Alle, die diesen unheimlichen Reiter sahen, spürten einen kalten Todeshauch und ein Geruch von Unheil und Verwesung durchdrang die Nacht. Jeder, der diese Begegnung erlebt hatte, träumte noch lange davon und eine eiserne Faust der Angst hielt ihn lange umfangen.