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Fortsetzungsroman :-)

Fortsetzungsroman :-)
Drachenherz

© Ginger 2016


Gaoth Dobhairnfaes schmiegte sich in eine kühle, fruchtbare Talsenke, umlagert von den schwarzen Wäldern, in denen nie das Sonnenlicht den moosbedeckten Boden zu erreichen schien. Oft wehte der Wind in den Wipfeln der uralten Bäume und man meinte, dass er von der Magie lang vergangener Zeiten flüsterte, damals, als noch die Beltanefeuer brannten und die Druiden ihre machtvollen Zeichen in die mächtigen Stämme der Bäume ritzten, damals, als noch Menschenopfer dargebracht und Mörder in dem alles verschlingenden Moor ertränkt wurden.

Die Legenden überdauerten Jahrhunderte und manch abergläubische Seele glaubte nach wie vor, dass die Toten als ruhelose Seelen über die dunkle Ebene irrten. Wer sie sah, war des Todes. Wenn die Nacht kam und kein Licht des sichelförmigen Mondes auf den Waldboden fiel, wagte sich in diesen Stunden nur ein Narr in das undurchdringlich scheinenden Dunkel. In der Helligkeit des Tages verschwanden die düsteren Legenden aus den Köpfen der Dorfbewohner wieder und die Vergangenheit versank im Nebel der Zeit.

Der Wald schien wieder verwunschen und endlos, aber friedlich. Kinder tollten wild und frei in ihm herum; die Bäume rauschten geheimnisvoll und Fuchs und Hase beäugten manches Mal neugierig das wilde Treiben. Ein trügerisch milder Herbsttag bannte noch die nahenden Schrecken des Winters. Die Tiere des Waldes krochen aus ihren grünen Verstecken, um die letzten Sonnenstrahlen, die noch wärmend auf sie herab fielen, willkommen zu heißen. Bald würden die dunklen und kalten Monate ihr Regiment führen, ihre kalten Finger ausstrecken und das Land mit Frost und Schnee überziehen.

Niamh, eine junge Frau aus dem nahen Dorf Gaoth Dobhairnfaes, lief leichtfüßig über eine Wiese, die bereits mit unzähligen rotbraunen Blättern des sterbenden Herbstes bedeckt war. 17 Winter währte Niamhs Leben. Sie verwandelte sich von einem dürren, schüchternen Geschöpf in eine junge, sinnliche Frau. Ihr Haar schien Funken zu sprühen; es hatte die Farbe des Feuers und reichte bis zur schmalen Taille; die zarte Haut der jungen Frau schimmerte milchweiß und rein.

Niamh trug ein schlichtes braunes Kleid, das sie mit der Grazie einer edlen Dame trug. Sie hielt in ihren schmalen Händen einen Korb, in dem Champignons, Steinpilze und pralle Kastanien von einer erfolgreiche Ernte kündeten. Die junge Frau sang mit ihrer lieblichen Stimme eine schwermütige Melodie, die von den harten Zeiten ihrer Vorfahren erzählte. Niamhs Stimme erschallte so rein und klar, dass selbst der Wind seinen Atem einen Moment anzuhalten schien, um dem Gesang des Menschenkindes andächtig zu lauschen.

Niamh tanzte voller Übermut und purer Lebensfreude über das letzte saftige Gras. Das Blut floss heiß durch ihre Adern und das junge Herz in ihrer Brust pochte freudig. Die junge Frau drehte sich übermütig, warf den Kopf in den Nacken und lachte in den tiefblauen Himmel. Ein einsamer Reiter, der auf einer Lichtung verharrte, blickte gebannt auf das anmutige Wesen. Der Fremde vermeinte einer Waldnymphe begegnet zu sein, die vor ihm aufgetaucht war und all seine Sinne gefangen nahm.

Die alten Legenden stiegen in dem Reiter auf. Seltsame, zauberhafte Lebewesen beheimatete der schwarze, unergründliche Wald anscheinend doch. Die schöne Frau versuchte die letzten Schmetterlinge zu erhaschen, die verzückt um ihren Kopf flatterten. Sie schienen von ihrer Grazie ebenso gefesselt, wie der einsame Reiter am Waldrand. Ruhig verharrte sein riesiges Pferd, das einen kleinen, edlen Kopf und feurige Augen besaß.

Es war von der Farbe frisch gefallenen Schnees und seine edle Abstammung erkannte man an den schmalen Fesseln und dem stolz gebogenen Hals. Die Mähne floß wie flüssiges Silber hinab. Der Reiter trug eine grüne Tunika, die mit einer Goldbordüre geschmückt war. An seinem mit Silberplättchen verzierten Gürtel prangte ein scharfes Jagdmesser, dessen Griff mit Perlmutt verziert war. Der Fremde besaß eine große, muskuklöse Gestalt; seine Züge wirkten ernst, aber freundlich. Die Augen hatten die Farbe der winterlichen, kleinen Seen, wenn der Wind aus Norden das irische Land erstarren ließ.

Kupferrotes Haar umgab den Kopf des und leuchtete mit den satten Farben des Herbstes um die Wette. Niamh bemerkte dern Unbekannten nicht. Sie wähnte sich völlig alleine auf der großen Lichtung mit den drei uralten Eichen, die vor langer Zeit von einem Blitz gespalten worden waren und nunmehr mit verkohlten Ästen, die skelettierten Fingern glichen, mahnend in den wolkenlosen Himmel stachen. Der fremde Reiter schnalzte mit der Zunge; das weiße Pferd trottete folgsam auf Niamh zu.

Das leise Schnauben des Schimmels riss sie plötzlich aus ihrer Versunkenheit. Mit einem Laut des Erschreckens wirbelte Niamh herum und blickte ungläubig auf den Reiter, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Ihr Mund wurde vor Furcht trocken, das Herz raste. Niamhm betrachtete den fremden Mann aufmerksam. Wie ein gemeiner Strauchdieb sah der Unbekannte nicht aus. Seine Kleidung wirkte kostbar und sein Gesicht trug edle Züge, der Bart war sorgsam gestutzt. Schmale, sensible Finger hielten die ledernen Zügel.

Niamhs Furcht wich; ihre Wachsamkeit aber blieb. Der Reiter starrte wie gebannt in die großen, grünen Augen der jungen Frau und spürte, wie sein Herz einen Moment lang auszusetzen schien. Niemals zuvor hatte er ein weibliches Wesen von solch erlesener Schönheit gesehen. Niamh fasste sich ein Herz: „Ihr habt mich erschreckt, edler Herr.“ Ihre Stimme bebte leicht, die Augen blickten aber entschlossen. „Verzeiht mir, mein Fräulein.“ antwortete der Fremde mit sonorer Stimme.

Niamhs Augen sahen ihn neugierig an. Der Unbekannte lächelte belustigt. Die zauberhafte Waldfee legte das Gebaren einer edlen Dame an den Tag, ihre Kleidung jedoch war schlicht und etwas verschmutzt; in dem langen, roten Haar hatten sich kleine Ästchen und Zweige verfangen, als sei das Mädchen wie ein Fuchs, der einer Fährte folgte, durch das dichte Unterholz geschlüpft. Der Unbekannte blickte in Niamhs Korb in dem ihre Beute lag, die sie auf den Streifzügen ergattert hatte.

Die junge Frau verlor nunmehr jegliche Angst und musterte den gut aussehenden Mann mit wachsendem Interesse. Der Unbekannte wich ihren Augen nicht aus. Schweigend und staunend musterten sie sich. Die Welt schien für einen Augenblick innezuhalten; die Sonne strahlte plötzlich heller, die laue Luft, die noch nichts vom nahenden Winter wusste, trug den herrlich erdigen Geruch des Waldes und Duft allerlei Wildblumen heran, die ein letztes Mal in üppiger Schönheit erblüht waren.

Der Fremde glitt geschmeidig vom Rücken seines Pferdes und ging entschlossenen auf Niamh zu, die furchtlos vor ihm stand. Er überragte sie um eine Haupteslänge. Die junge Frau wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Musste sie nicht die Flucht ergreifen? Vielleicht war der gut gekleidete Mann ein Vogelfreier und wollte ihr vielleicht sogar Gewalt antun? Niamh entschloss sich zur Flucht und raffte ihr Kleid.

Der Unbekannte vereitelte jedoch ihre Pläne und umfasste mit warmen Fingern fest und doch behutsam den rechten Arm der jungen Frau. Niamh erstarrte. Ihr Widerstand erlahmte. Das Herz klopfte dumpf; der jungen Frau wurde schwarz vor Augen. Die Angst kroch mit Eiseskälte durch ihren Körper. Niamh begegnete wieder dem Blick des Fremden, der eine zwingende Macht zu besitzen schien und sein weibliches Gegenüber nahezu paralysierte.

Die junge Frau fühlte sich in der Falle. Gleichzeitig jedoch machte sich in ihrem Körper ein süßes Sehnen breit. Der Fremde schien instinktiv ihr Nachgeben zu spüren. Sanft zog er Niamh an sich heran, so dass sie die Wärme seines Körpers spürte. Der Zauber des Augenblicks raubte ihr fast den Atem. Unter Auferbietung all ihrer Kräfte riss sie sich dennoch aus den Armen des Mannes, den eine solch unwiderstehliche Aura umgab. Wut brandete in Niamh wie ein grüne, klare Woge des nahen Ozeans auf.

Beherzt trat sie mit voller Wucht vor das rechte Schienbein des unverschämten Mannes. „Du Wildkatze!“ rief er dröhnend aus und rannte der flüchtenden Niamh nach. Mit wenigen Sätzen holte er sie ein und erfasste abermals ihren Arm. Niamh sah ihm zornig in das nunmehr nicht mehr lächelnde Männergesicht. Der Fremde blickte das schöne Mädchen wieder unverwandt. „Wenn Ihr mich jetzt gehen lassen wollt; meine Mutter wartet auf mich.“ bat Niamh mit leiser, zitternder Stimme.

Der Fremde lächelte nunmehr und verbeugte sich fast spöttisch: „Wohlan, mein edles Fräulein. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten.“ sagte er galant, ließ den Arm der Frau los und pfiff nach seinem Pferd, das sich an Niamh´s gesammelten Leckereien gütlich tat. Der Fremde lachte wieder dröhnend: „Schäme Dich!“ schimpfte er mit dem Schimmel, das seinen Herrn aus großen, braunen Augen treuherzig anblickte.

„Verzeiht mir, mein Fräulein! Dieses Pferd ist ewig hungrig.“ raunte er Niamh vertrauensvoll zu und das Lächeln auf seinen Lippen machten sein männliches Antlitz jung und weich. Der Fremde ließ die junge Frau los und verbeugte sich übertrieben von ihr. Ohne ein Wort ließ er Niamh ziehen. Betont langsam, als habe sie kein Angst, verließ sie den Unbekannten. Nach einer Weile drehte sie sich verstohlen um.

Die Lichtung lag wieder verlassen dar. Niamh ging zügigen Schrittes und als sie in der Ferne die aufsteigenden Rauchsäulen ihres Dorfes Gaoth Dobhairnfaes sah, überkam unendliche Erleichterung die junge Frau.

Wer will, Fortsetzung folgt ... *zwinker*
2. Teil
Leah, Niamhs Mutter schalt lautstark, als sie sah, dass ihre Tochter mit leeren Händen nach Hause zurückgekehrt war. „Du solltest doch für das Abendmahl Pilze besorgen; wo warst Du nur mit Deinen Gedanken?“, zeterte die korpulente Frau und sah ihre schöne Tochter missbilligend an. Niamh trug das Erlebte in sich. Kein Wort drang über ihre Lippen. Leahs Wut verrauchte bald. Sie schob die Ärmel ihres grauen Kittels hoch und widmete sich wieder dem geschlachteten Huhn. Ihre feisten Hände entnahmen die blutigen Innereien, nach denen Dornet, der Wolfshund, gierte. „Verschwinde, Du Vielfraß!“, schalt Leah das Tier.

„Niamh, melke die Ziege!“, befahl Leah und ihre Tochter ging gehorsam in den windschiefen Stall. Sahnig und warm spritze kurze Zeit später die Milch in einen sauberen Holzeimer. Niamh lehnte ihre heiße Stirn an die warme Flanke des Tieres und ließ ihre Gedanken zu der ungewöhnlichen Begegnung zurückeilen. Immer wieder erschien vor ihrem geistigen Auge das Antlitz jenes Fremden, dessen Lächeln sich bereits unbemerkt in ihr Herz eingenistet hatte. Das versonnene Lächeln blieb den ganzen Tag auf dem schönen Frauenmund.

Der Herbst starb in einem grandiosen Farbspektakel. Niamh vollzog jeden Tag ihre Streifzüge, immer auf der Suche nach Essbarem, das die magere Speisekammer daheim füllen würde. Oft gelangte sie an jene Stelle, an der die verkohlten Eichen standen. Hier hatte sie den Fremden das erste Mal gesehen. Dornet, ihr großer treuer Wolfshund begleitete sie. Die junge Frau fühlte sich rast- und ruhelos. Ihr Herz pochte sehnsuchtsvoll und Niamh konnte die unbekannten Gefühle in ihrem Inneren nicht deuten. Enttäuschung überkam Niamh, Sie fühlte leise Trauer in sich aufsteigen.

Ihre Erwartungen wurden jedesmal enttäuscht, wenn sie nach jenem Mann Ausschau hielt, der so plötzlich in ihr Leben getreten und durch ihre Träume geisterte. Aber das konnte und wollte Niamh sich nicht eingestehen.

Das Wetter schlug eines Tages um. Niamh schlenderte wieder mit Dornet durch den Wald, als sie von einem aufkommenden, kalten Sturm überrascht wurde, der dichte Wolken am regenschweren Himmel vor sich herjagte. Am Morgen sagte Leah noch zu ihrer Tochter: „Kind, entferne Dich nicht so weit! Die Knochen Deines Vaters schmerzen; das Wetter ändert sich.“

Niamh ignorierte die Warnung ihrer Mutter. Sie schlenderte wieder durch den kahl gewordenen Wald und hielt verstohlen nach dem mysteriösen Fremden Ausschau, doch dann kam die pechschwarze Wolkenfront und zog in Windeseile heran. Von einer Sekunde auf die andere wurde die Sonne von dem gierigen Schlund des Himmels verschluckt und erste, grelle Blitze zuckten furchteinflößend am Himmel. Niamh bemerkte den Wetterumschwung erst spät, zu tief war sie in ihre Gedanken versunken. Der brüllende Wind gewann immer mehr an Stärke und wurde eisig. Dornet sprang vor Niamh hin und her und bellte aufgeregt. Er spürte die drohende Gefahr. Die junge Frau stand ängstlich und unschlüssig in dem plötzlich fremdartig wirkenden Wald. Man sah die Hand vor Augen nicht mehr. Der Weg zurück führte direkt durch die gigantische Gewitterfront, die sich nunmehr unheilverkündend direkt über Niamh ausbreitete. Ihr Kleid wurde bereits von den ersten kalten Regentropfen getränkt.

„Komm, Dornet!“, gellte Niamhs Schrei, fast von dem tosenden Wind verschluckt. Die schutzlos den Urgewalten ausgelieferte Frau rannte fast blind los, der Wolfshund folgte ihr, wie ein großer, grauer Schatten. Niamh lief immer tiefer in den finsteren Wald hinein; das dichte Geäst der Zweige nahm dem Wind etwas seine schneidende Schärfe. Der Himmel öffnete von einer Sekunde auf die andere seine Schleusen. Sintflutartig schoss das kalte Nass auf die Erde und verwandelte die Waldwege in rutschigen Morast. Niamh fürchtete sich unsagbar und schrie ängstlich auf.

Fast blind taumelte sie immer tiefer in den dunklen Wald; die Äste der Bäume rissen wie Klauen an ihr. Niamh vermeinte, die Orientierung verloren zu haben. Panik stieg heiß in ihr auf. Sie taumelte durch das Dickicht. Auf einmal schien sich der Regenschleier zu lichten. Im diffusen Licht erspähte Niamh plötzlich eine windschiefe Hütte. Mit letzter Kraft erreichte die erschöpfte Frau die Unterschlupfmöglichkeit. Aufatmend lehnte sie sich an die altersschwache Bretterwand; das Wasser rann in Rinnsalen an ihrem ausgekühlten Körper hinab.

Die Hütte wirkte marode, doch das Dacht schien dicht zu sein. Niamh stieg ein irres Kichern in die Kehle. Die Furcht hatte das Adrenalin durch ihre Adern rasen lassen; sie fühlte sich völlig erschöpft, gleichzeitig aufgedreht, wie nach zuviel Met. Niamh ließ sich auf den trockenen Lehmboden der Hütte gleiten. Dornet sah sie aufmerksam an und leckte sie mit seiner rosafarbenen Lunge eifrig ab. Die junge Frau fühlte Hoffnung in sich aufkeimen. Sie hatte es geschafft; hier würde sie ausharren können, bis die Elemente ihr mörderisches Duell abgeschlossen hatten.

Die erschöpfte Frau ließ ihren Blick schweifen. In der rechten Ecke des barackenähnlichen Baus stapelte sich duftendes, trockenes Heu. Aufatmend zerrte Niamh das nasse, schmutzige Kleid von ihrem klammen Körper und rieb sich mit einem Heubüschel notdürftig trocken. Das Rauschen des schweren Regens wirkte hypnotisierend. Dornet legte sich neben seine Herrin nieder und verströmte Wärme. Niamh bedeckte ihre Blöße mit Heu. Eine bleierne Müdigkeit erfasste sie. Unmerklich glitt die nackte Frau in das Land der Träume.

Ein dumpfes Grollen zerriss den dichten Vorhang des Schlafes und Niamh tauchte aus den Tiefen ihrer Träume empor. Mühsam öffnete sie die Augen. Dornet richtete sich auf und blickte unverwandt auf den Eingang der Hütte. Sein mächtiger Körper besaß die Spannung eines Bogens. Grollendes Knurren entstieg der Kehle des großen, struppigen Hundes. Ein Sonnenstrahl lugte in das winzige Fenster; das Gewitter schien abzuziehen. Niamh blinzelte noch verschlafen in die Helligkeit und schrie plötzlich laut auf. Der Fremde stand im Türrahmen und sah mit brennenden Augen auf die nackte Frau.

Schamhaft versuchte Niamh ihre Blöße zu bedecken. Der Unbekannte trat auf sie zu und setzte sich langsam in das Heu neben die Frau. Dornets Knurren wich einem beruhigten Hecheln. Das Tier spürte instinktiv, dass von dem jungen Mann keine Gefahr ausging. Der Hund erhob sich und trottete in die andere Ecke des Schuppens, wo er sich seufzend niederließ und die beiden Menschen mit seinen bernsteinfarbenen Augen wachsam beäugte. Niamh hockte entsetzt in dem Heu.

Der Blick des Fremden glitt über den weißen Frauenkörper. Langsam, wie in Trance, hob er seine rechte Hand und strich kostend über Niamhs entblößten, glatten Schultern. Die junge Frau atmete verhalten. Eine süße Schwäche stieg in ihr auf und schien sich unter ihrem Nabel zu sammeln. Atemlos ließ die junge Frau die Liebkosung über sich ergehen und versank wieder in den Augen des Unbekannten, dessen Erscheinen sie in ihrem tiefsten inneren herbeigesehnt hatte. Der junge Mann umfaßte unendlich behutsam mit seinen Händen das zartes Gesicht der Frau.

Er beugte sich vor und senkte seine Lippen auf Niamhs warmen Mund. Atemlos und erregt erwiderte sie den süßen Kuß, der so berauschend war. Der Fremde spürte ihr Nachgeben und ließ seine Hände weiter liebkosend über Niamhs honigfarbenen Brüste gleiten. Plötzlich wehrte sich die junge Frau. Sie versuchte seinen Berührungen zu entkommen, doch der Blick seiner Augen war so zwingend, dass es fast schmerzte. Das Männergesicht trug einen Ausdruck der Gier, einen Ausdruck, den Niamh in ihrer Unschuld noch nie gesehen hatte, sie flüsterte mit erstickter Stimme. „Nein, nein.“

Die Regungen ihres Körpers verängstigten die unerfahrende Frau. Brennende Scham stieg heiß in ihr auf. Sie war nicht besser als eine der Dirnen, von denen die Männer hinter vorgehaltener Hand zotig und betrunken an den Lagerfeuern sprachen.
Dieser Beitrag wurde als FSK18 eingestuft.
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4. Teil
Leah erwartete ihre Tochter voller Angst. Sie hoffte, dass ihr Kind bei dem Unwetter Zuflucht finden konnte. Sie kannte den Wald wie ihre Wespentasche. Wo hätten sie suchen sollen, als die Stunden vergingen? War dem Kind etwas passiert, doch ein Unfall oder noch Schlimmeres? Die Wälder um das Dorf Gaoth Dobhairnfaes waren dicht und geheimnisvoll.

Uralte Legenden uns Mythen rankten sich um die unzähligen Geister, die dort ihr Unwesen treiben sollten. Leah aber war eine resolute, bodenständige Frau und hielt die Reden der Alten für abergläubisches Geschwätz. Es wurde dunkel und Leah immer unruhiger. Der Vater Niamhs war losgezogen, um seine Tochter zu suchen. Er hielt es am knisternden Lagerfeuer nicht mehr aus. Leah lenkte sich ab, fütterte die Hühner und die Schweine.

Anschließend molk sie die Milchziegen. Das kleine Städchen lag nach dem Unwetter jetzt friedlich in der schützenden Talsenke. Da, endlich! Leah spähte in die Dunkelheit und sah ihre Tochter aus dem Wald komment; Dornet getreulich an ihrer Seite. Leah atmete auf. Man wusste ja nicht, ob die mystischen Sagen nicht doch ein Körnchen Wahrheit enthielten! Gleich darauf schalt sie sich für ihre Zweifel. „Niamh, wo warst Du? Ich habe mich fast zu Tode geängstigt!“ herrschte Leah ihre Tochter scharf, die mit einer schuldbewussten Miene auf ihre Mutter zuging.

Dornet wedelte mit seiner Rute. Niamh konnte ihrer Mutter nicht in die Augen sehen, den sie war keine ehrbare Frau mehr, sondern eine Dirne, die sich mit einem Fremden wie die Tiere gepaart hatte! Dunkelheit senkte sich über die kleinen Hütten. Leah erwartete von ihrer Tochter eine Antwort; das verräterische Leuchten in Niamhs Augen erkannte sie nicht „Ich habe mich verlaufen! Dornet jagte einen Fasan; ich folgte ihm und befürchtete, dass er in das nahe Moor rennt.“ entschuldigte sich die junge Frau bei ihrer Mutter und schämte sich für ihre Lüge.

Leah jedoch hatte keinen Grund, den Äußerungen ihrer Tochter zu misstrauen. „Kind, gehe mir mit dem Abendmahl zur Hand. Dein Vater sucht Dich noch, na, das wird ein Donnerwetter geben! Mach Dich auf etwas gefasst." Niahm verschwand in der Hütte und machte sich sogleich eifrig in der Hütte ans Werk. Sie dankte den Heiligen, dass sie sich vorher noch etwas hergerichet hatte und sich an einem kalten Quell die Spuren der Leidenschaft vom Körper entfernen konnte.

Die Vorbereitungen des Abendmahles verbrachten beide Frauen mit der Erörterung des neuesten Dorfklatsches und lachten manches Mal laut auf. Niamh zeigte sich jetzt voller sprühender Lebendigkeit und Leah sah ihre Tochter verstohlen von der Seite an. Ihre Tochter war kein Mädchen mehr, das Kleid, das sie trug, spannte an genau den Stellen, die die Phantasie eines Mannes ungut anregten. „Nach dem Mahl werde ich mit einem neuen Kleid für Dich anfangen. Das Alte scheint mir etwas eng zu werden.“ sprach Leah.

Niamh nickte nur. In ihr war ein Singen und Klingen, das man kaum beschreiben konnte. Noch immer prickelte ihre weiche Haut von Darrag´s streichelnden Händen; ihr Schoß brannte. Niamh hütete diesen Schmerz als kostbaren Schatz. Shane, ihr Vater kam völlig durchnässt heim, blieb auf der Schwelle stehen, sah seine Tochter, lief auf sie zu und riss sie in seine Arme. „Mein Goldstück." Mehr brachte er nicht heraus. Niamh war sein Augenstern, sein einziges Kind. So blieb die gefürchtete Strafpredigt dann doch aus.

Die Nacht brach über das Dorf herein, man machte es sich in den Behausungen behaglich und überließ den Nachtgeistern das Regiment. Niamh hatte sich bereits in ihrer kleinen Kammer zurückgezogen und schlief. Leah saß im Licht mehrerer Kerzen und stopfte Löcher in Shanes Socken. Dieser ging auf seine Frau zu; sie kannten sich schon als Kinder und waren sich von Anfang an versprochen.

Leah war eine gute Frau, die viel arbeitete, niemals nörgelte und auch ihr heiteres Wesen nur selten verlor. Versunken sah er in das trotz des harten Lebens immer noch glatte, hübsche Gesicht. Er griente. Leah sah das Glitzern in seinen Augen und fragte: „Was ist?“ Shane lachte verschmitzt, trat auf seine Frau zu und küsste sie auf die Stirn. „Komm, Frau, lass uns auch zu Bett gehen!“ raunte er Leah ins Ohr, die daraufhin nur zu gerne die Kerzen löschte und ihrem Mann in das Schlafgemach folgte.

Leah besaß eine üppige Figur, war aber trotz ihrer beachtlichen Leibesfülle flink und behende. Shane wies eher eine kleine Statue auf, gewitzte Schläue, gepaart mit einem Herzen aus Gold. Die Tatsache, dass Leahs Schoß nach Niamhs Geburt unfruchtbar zu sein schien, hatte das Ehepaar manches Mal mit Traurigkeit erfüllt. Eine alte Geburtshelferin, Doreen, warnte Leah vor vielen Jahren vor einer erneuten Schwangerschaft. Die krumme Alte kannte sich auch auf dem Gebiet der Empfängnisverhütung aus.

In ihren Häuschen, das etwas außerhalb des Dorfes vor einer riesigen Ulme stand, bereitete sie Salben, Tees und Säfte aus Pflanzen vor, dessen Heilkraft nur sie kannte. Nach jedem Liebesakt reinigte Leah sich peinlichst mit einer Tinkur, die die Alte ihr gebrüht hatte. „Ja, ja. So habe ich schon manches Kind, auch Bastarde, verhindert!“ kicherte die Geburtshelferin roh, als Leah zu ihr kam. Jeder im Dorf fürchtete sich vor der seltsamen Frau, die in ihrer windschiefen Hütte saß und mit den Jahren immer hutzeliger wurde. Man achtete sie, schloss sie jedoch nie in die Dorfgemeinschaft zur Gänze mit ein.

Kalter Wind wehte über die Ebene von Gaoth Dobhairnfaes. Die Dorfbewohner fröstelten innerlich. Das Licht wurde weniger; die Gedanken schwermütiger. Nur mit Mühe konnte Niamh das Gefühl der Scham unterbinden. Gleichzeitig spürte sie immer noch die Hände des Fremden auf ihren Körper und ihre Sinne wurden immer wieder neu angeregt.

Leah bemerkte, dass ihre Tochter gedankenverloren auf die Erde starrte, sei es beim Rupfen eines Huhnes oder dem Füttern des riesigen, scheußliches Ebers, der in seinem Schweinekoben stand und jeden Eindringling mit blutunterlaufenen, verschlagenen Augen wild anblickte. Leah vermutete, dass einer der jungen Männer aus dem Dorf ihrer Tochter nachstellte und beobachtete jeden mit Argusaugen, der sich ihrer Hütte auch nur näherte.

Peter, der Dorfschmied, ein grobschlächtiger, etwas naiver junger Mann, hatte sein Herz an Niamh verloren. Er war sich aber auch der Tatsache bewusst, dass sie sein Sehnen niemals erhören würde. Niamh behandelte ihn mit gleichbleibender Liebenswürdigkeit. Das machte sie im Dorf so beliebt. Sie half den Alten und Kranken. In Stunden der Not saß sie bei einer Gebärenden oder hielt einem Sterbenden die Hand.

Viele Männer im Dorf, auch ältere, die noch ledig oder bereits verwitwet waren, sahen die junge Frau mit Interesse oder sogar Gier an. Niamh besaß eine ganz besondere Aura, die jeden in ihren Bann zog. Sie war sich dessen nicht bewusst; Leah aber sah dieses Strahlen und sorgte sich. Etwas verächtlich dachte sie an Shane, der über die Beliebtheit seiner Tochter sehr erfreut war und Leahs Besorgnis nicht teilte. Väter sahen nie das, was Mütter sahen!

Durch das Umschlagen des Wetters war Niamh sehr an das Dorf gebunden; die Stunden der Streifzüge gingen zu Ende. Die junge Frau überlegte fieberhaft, wie sie unter einem Vorwand zur Hütte im Wald kommen konnte, vielleicht war Darragh vor Ort. Da bereits eine dünne, frostige Schicht das frierende Land wie ein Leichentuch bedeckte, lebten die Menschen zurückgezogen in ihren Hütten, die nun für viele Monate Lebensmittelpunkt sein würden.

Angesichts dieser Tatsache ging es Niamh von Tag zu Tag schlechter. Die Sehnsucht wuchs ins Unermessliche. Doch eines Tages ergab sich eine Chance, das Dorf zu verlassen, die Niamh natürlich sofort ergriff. Der Wolfshund Dornet war verschwunden. Eines Abends war er von seinen Streifzügen nicht zurückgekehrt. Niamh, die das zottelige, treue Tier abgöttisch liebte, war vor Sorge außer sich.

Dornet kam als winziges Wollknäuel zu ihnen und eroberte Niamhs Herz im Sturm. Die Beiden wurden unzertrennlich. Wenn Dornet mit Niamh unterwegs war, brauchte Leah sich keine Sorgen zu machen. Der Hund war zwar gutmütig, konnte sich jedoch bei drohender Gefahr in ein zähnefletschendes Ungetüm verwandeln, das jeden Angreifer in die Flucht schlug. Leah, Shane und Niamh saßen am klapprigen Tisch und aßen ihr Mahl, das aus einem gebratenen Hasen und ein paar Kartoffeln bestand.

Niamhs Appetit ließ zu wünschen übrig. Sie war aufgrund Dornets Verschwinden höchst beunruhigt. „Vielleicht ist er in eine Falle geraten.“ gab sie traurig zu bedenken. „Dornet ist schlau; er wird bestimmt nicht in eine Falle geraten sein.“ brummte Shane beruhigend und hoffte die Ängste seiner Tochter damit etwas beruhigen zu können, was leider nicht der Fall war. „Du gehst nicht mehr in den Wald! Es ist stockfinster und Du könntest Dir alle Knochen brechen, wenn Du durch das unwegsame Gelände gehst!“ beschied Leah Niamh bestimmt.

Die junge Frau schmollte. Das Herz lag ihr schwer in der Brust. Sie liebte den Hund, der nie von ihrer Seite wich. Dornet vertraute sie ihre kleinen Geheimnisse an; mit ihm sprach sie auch über Darragh. Der Wolfshund erwies sich als ein geduldiger Zuhörer und spürte die Stimmungsschwankungen seiner Herrin genau. Sobald Niamh traurig war, schmiegte sich der Hund an sie und stupste sie mit seiner feuchten Nase an. Niamh lachte dann und schon wurde ihr leichter ums Herz.

„Nein! Ich muss ihn suchen.“ widersprach Niamh energisch ihren Eltern. Diese blickten sich erstaunt an. Es war das erste Mal, dass sich ihre Tochter einer Anweisung offen widersetzte. Shane räusperte sich und stopfte umständlich seine Pfeife, die er dann gemächlich in Brand setzte. "Du wirst das tun, was Deine Mutter Dir sagt. Heute wirst Du Dornet nicht mehr suchen!“ antwortete er sehr bestimmt. Niamh machte daraufhin eine bockige Miete.

Leah sah ihre Tochter mit gemischten Gefühlen an. Ihr Mädchen war zu einer Frau herangereift und es würde nicht mehr lange dauern, bis der flügge gewordene Vogel davonfliegen würde. Leah hoffte nur inständig, dass Niamh sich für einen Mann aus dem Dorf entscheiden würde. Sie wußte auch genau, wen sie in ihrer Familie willkommen heißen wollte: Connor. Connor, ein junger Mann, der Redlichkeit und Verantwortungsbewusstsein besaß.

Fleissig war er auch, was für Leah sehr wichtig war. Was sollte Niamh mit einem Taugenichts? Nein, Connor oder keinen. Niamh ahnte nichts von den Gedankengängen ihrer Mutter. Die junge Frau wagte nicht, sich den Anweisungen ihres Vaters, den sie vergötterte, zu widersetzen. Niamh besaß viel von Shanes Wesen und der Vater erkannte in Niamh die gleiche Glut und den gleichen unbändigen Lebensdrang, wie er in jungen Jahren.

Als Heranwachsender besaß Shane nichts als Rosinen im Kopf und bescherte seinen Eltern manch trübe Stunde. Oft hatte ihn sein versteckter Dickkopf in Schwierigkeiten gebracht und erst die resolute Leah schaffte es, Shane zu zügeln, die Fluten seines ungestümen Wesens in ein Flußbett umzubetten, das Ruhe und eine Konstante darstelllte. Beide ergänzten sich perfekt und mit den Jahren verlor Shane sein rebellisches Herz.

Niamh versuchte ihre Ungeduld zu zügeln. Während Shane in seinem alten Stuhl saß und an seiner Pfeife sog, ging sie ihrer Mutter bei der letzten Hausarbeit des Tages zur Hand. Etwas wortkarg wünschte sie ihren Eltern dann eine gute Nacht und legte sich, immer noch schmollend, auf ihr Nachtlager. Schreckliche Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf: Dornet, verletzt im Wald; Raben, die seine Augen auspickten oder gar Wölfe, die sich über ihren Liebling hermachten.

Niamh weinte in ihr grobes Kissen. Ihr Herz war so schwer. Nach Stunden fiel sie endlich in einen unruhigen Schlummer. Niamh träumte von Darragh; an seiner Seite befand sich Dornet. Beide standen auf der Lichtung, unweit der windschiefen Hütte, ihrem Liebesversteck. Schweissgebadet schreckte Niamh aus dem bleiernen Schlaf empor und lag bis zum Morgengrauen wach. Die Sonne hatte den Horizont nich nicht erklommen, doch ein Hahn stimmte bereits sein krächzendes Geschrei an und verkündete somit einen neuen Tag.

Leise erhob sich Niamh von ihrem Nachtlager und zog sich an. Es war empfindlich kühl und der Raureif überzog die Äste mit fragilen, silbernden Fingern. Niamh zog ihren wärmenden Wollumgang eng um ihre Schultern. Sie schlüpfte in ihre Schuhe und lauschte. Nur das leise Schnarchen Shanes zerstörte die morgendliche Stille. Die junge Frau lugte in das Schlafgemach ihrer Eltern. Auch ihre Mutter schlief tief und fest.

Mit schlechtem Gewissen stahl Niamh sich aus der Hütte, blickte scheu umher und rannte in Windeseile zum nahen Wald, der noch im Dämmerlicht des Morgens lag. Lautlos glitt ein großer Waldkauz durch die Lüfte und blickte mit seinen großen, leuchtenden Augen auf das Menschenkind, das zu solch früher Stunde bereits durch den Wald, der sein Revier war, strich. Niamh erschrak, als sie den Lufthauch der mächtigen Schwingen spürte.

Ihr Herz pochte. Der Wald war unheimlich und das Tageslicht doch noch ferner als gedacht. Die Sorge um Dornet trieb sie jedoch um. Bei jedem Rascheln und jedem Laut zuckte Niamh ängstlich zusammen. Der vertraute Wald war verschwunden und hinter jedem dicken Stamm vermutete die ängstliche Frau Erdgeister, die ihren Schabernack mit ihr treiben würden. Niamh nahm ihren ganzen Mut zusammen und rief mit erstickter Stimme: „Dornet! Dornet, wo bist Du?“ Dann hielt sie inne und lauschte, doch kein Ton drang an ihr Ohr.

Kein freudiges Bellen verriet ihr, dass sie den Wolfshund gefunden hatte. Die Morgendämmerung begann endlich und der mächtige, rotglühende Flammenball der Sonne erschien am frostigen Firmament. Niamh atmete erleichtert auf. Die Helligkeit nahm ihr die Angst und Zuversicht erfüllte ihre Brust. Beherzten Schrittes sprang sie über hinterhältige Baumwurzeln und stieg über struppiges Geäst am Boden in dem sich ihr Wollumhang verfing.

Trotz der Kühle des Morgens stieg Hitze in Niamh auf. Ärgerlich wischte sie sich ihre langen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Immer weiter führte der Weg sie in den Wald. Hier waren die Schatten noch länger und die unheimliche Atmosphäre allgegenwärtig. Ein lautes Krachen zu ihrer Rechten ließ Niamh ängstlich zusammenzucken. Zwischen zwei mächtigen Eichen glommen die kleinen, gemeinen Augen eines großen Wildschwein-Ebers.

Seine scharfen Hauer funkelten im Zwielicht bedrohlich. Speichelfäden rannen aus seinem Maul. Irgend etwas hatte seine morgendlichen Streifzüge auf das Empfindlichste gestört. Niamh spürte, wie ihr Herz einen Moment lang aussetzte und hoffte, dass das Tier wieder seine eigene Wege ging. Die morgendliche Wanderin verharrte regungslos. Ihr Atem ging keuchend. Der Keiler ließ sie nicht aus den Augen und fixierte gereizt den anwesenden Menschen, dessen Geruch in seine feine Nase gestiegen war.

Das Wildschwein machte einen Satz auf Niamh zu, die jetzt nur noch ihr Heil in der Flucht sah. Stolpernd und verängstigt lief sie, so schnell sie konnte. Ihre Füße wurden von Dornen zerkratzt und hinderten sie an ihrer Flucht. Der Atem brannte wie Feuer; Niamh sah sich um, der Eber nahm die Verfolgung auf. Die junge Frau schrie laut und lief um ihr Leben. Der Wald war dicht und so hatte auch das wild gewordene Schwein mit den Unebenheiten des Areals zu kämpfen.

Nichtsdestotrotz holte der mächtige Keiler auf und war in seiner blinden Wut ein gefährlicher Gegner. Niamh lief und lief. Adrenalin durchflutete ihren Körper. Wo sollte sie hin? Ungehalten über die frühmorgendliche Ruhestörung stimmten die Waldvögel zeternd ihre Musik an. Niamh hörte das rasselnde Atmen des Wildschweines, das immer mehr die Distanz zu ihr verringerte. Die junge Frau schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Äste schlugen ihr in das Gesicht und brannten wie Peitschenhiebe.

Niamh übersah eine umgefallene, faule Birke, rutschte auf der feuchten Rinde aus und fiel hart auf den Boden. „Nein.“ wimmerte sie und krallte ihre Finger in die Erde, in banger Erwartung der mächtigen Zähne des Keilers. Ein lautes Knurren erklang und Niamh hob ihren Kopf. Dornet preschte von einer Lichtung und näherte sich in Windeseile dem Wildschwein, das Niamh fast erreicht hatte. Dem Eber stieg der Geruch des Hundes in die Nase.

Er verlor das Interesse an Niamh und wandte sich nun dem Wolfshund zu, der unerschrocken auf den Keiler zu lief. Niamh schrie erschrocken auf. Mit voller Härte stieß Dornet dem Wildschein in die rechte Flanke, das quiekend zu Boden ging. Gleich darauf stand das muskulöse Borstenvieh wieder auf seinen mächtigen Beinen und stellte sich dem Kampf mit Dornet. Dieser umtänzelte das Schwein graziös, die Zähne drohend gefletscht.

Der Eber war rasend vor Wut und griff den Hund an. Der Keiler quiekte, als Dornet ihn in seine empfindliche Nase biss. Der Hund ließ nicht locker und so vollzog er mit dem Keiler im Morgenlicht einen unheimlichen Tanz. Niamh sah sich hilfesuchend um. Ein riesiger Ast lag zu ihren Füßen; sie bückte sich und ergriff ihn. Die beiden Tiere waren in einen wahren Rausch verfallen und führten nunmehr einen Kampf auf Leben und Tod.

Ohnmächtig musste Niamh mit ansehen, wie Dornet tief in den nassen Moosboden einsank und strauchelte. Er verlor seine Balance und stürzte schwer auf die Seite. Der Keierl stiess Dornet mit seinen mächtigen Hauern in die Kehle. Der Wolfshund jaulte auf. Kurz darauf sprudelte Blut rot, eilig und unwiderruflich aus einer schweren Wunde an Dornets Hals. Niamh sah mit ohnmächtiger Wut, wie der Keiler immer und immer wieder, wie rasend, seine Hauer in den Körper seines Feindes schlug, bis der große Hund reglos da lag.

Plötzlich hörte Niamh ein seltsames, hohes Surren. Kurz darauf kreischte der Eber erschrocken auf, ließ von dem Wolfshund ab und brach über ihm zusammen. In seiner mächtigen Brust steckte ein Pfeil. Stille erfüllte wieder den Wald und ließ das vorangegangene Schreckensszenario unwirklich erscheinen. Der Kampf war vorbei.
5. Teil
Verwirrt sah Niamh auf und erblickte einen Reiter, dessen Ross gemächlich über eine Wiese trabte. Darragh! Er saß ihm Sattel, den Bogen in der Hand. Sein Gesicht war blass. „Niamh!“ rief Darragh rauh und glitt vom Pferd. Die junge Frau warf sich in die Arme ihres Retters; ein trockenes Schluchzen schüttelte sie. „Dornet, oh, Dornet.“ würgte sie hervor und lehnte sich trostsuchend an Darragh, dessen Arme sie warm umfingen.

Er streichelte ihr über das Haar und so verharrten die Beiden eine Weile. Dann löste sich Niamh aus der Umarmung und ging langsam auf Dornet zu. Der große Hund lag im Sterben. Niamh weinte lautlos und bückte sich zu ihrem treuen Gefährten hinab. Der struppige Hund sah sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen an. Als Niamh ihn liebevoll streichelte, leckte er ein letztes Mal ihre Hand und stieß einen zitternden Seufzer aus.

Dornets qualvolles Röcheln verstummte. Untröstlich vor Schmerz, warf sich Niamh über den Wolfshund und benetzte dessen rauchgraues Fell mit ihren Tränen. Darragh stand schweigend neben ihnen, dann ging er zu dem niedergestreckten Wildschwein und stieß es mit dem Fuß an. Ein prachtvolles Exemplar! Es war das grösste Wildschwein, das Darragh jemals gesehen hatte. Es hätte Niamh schwer verwunden, wenn nicht sogar töten können.

Nur das Ablenkungsmanöver des Wolfshundes und Darraghs erscheinen, war der Geliebten kein weiteres Leid geschehen. Niamh richtete sich langsam auf. Auch die heissen Tränen konnten ihren Augen die Schönheit nicht nehmen. Darragh zog die junge Frau an seine Brust und legte ihr seinen grünen Samtumhang um die Schultern. „Er hat mir das Leben gerettet.“ schluchzte Niamh mit erstickter Stimme und erneut rannen die Tränen über ihr blasses Antlitz.

Darragh legte sanft einen Finger unter ihr Kinn. Sie sah ihn an und der Zauber, der aus ihrem Blick sprach, erfüllte Darragh erneut mit Leidenschaft. Sein Mund fand Niamhs Lippen und der Kuss war lang und süß. Der Schimmel wanderte langsam zurück zu einer noch recht grünen Wiese und rupfte das Gras. Eine blasse Sonne wanderte mit hellen Fingern durch den Wald und erreichte die beiden Liebenden. Darragh löste sich von Niamh und zog sie mit sanfter Gewalt von der Stelle weg, wo Dornet den Tod fand. Die junge Frau ließ sich willenlos von dem Mann mitziehen.

„Dornet war ein tapferes Tier.“ sagte Darragh schlicht und lächelte Niamh warm an. Schweigend standen sie auf der Wiese und erneute umgab sie der Bann der Liebe, der sie in seinen seidigen Kokon einhüllte. Ein großer Falke zog über ihnen seine Kreise und stieß einen hohen, triumphierenden Schrei aus. Niamhs Tränen trockneten; hastig richtete sie ihre verworrenen Haare. Darragh sah sie unverwandt an.

In einer winzigen Ecke seines Hirns saß die kleine Stimme der Scham, weil er diese Frau, die so plötzlich in sein Leben getreten war, zu seiner Geliebten gemacht hatte. Erst jetzt sah er wie jung seine Gefährtin war. Wieder loderte das Verlangen in Darragh hoch auf und legte sich, verzehrend, wie ein riesiger Flächenbrand über die Stimme des Skrupels. Die junge Frau hielt sein Herz bereits fest in ihren schmalen Händen.

Niamh las in Darraghs grauen Augen das aufsteigende Begehren und ihr Herz klopfte stürmisch. Willig überließ sie sich seiner Umarmung. Darraghs Lippen wanderten über Niamhs Hals. Seine Küsse zogen eine heiße Spur über die Haut der jungen Frau. Sie preßte sich immer enger an Darragh und spürte, wie bereit er war. Fast willenlos ließ sie Darraghs Hände gewähren, die sich an ihrem Ausschnitt zu schaffen machten.

Unendlich langsam streifte er das Kleid über ihre Schultern und bedeckte jeden Zentimeter der freigelegten Haut mit Küssen. Niamh schloß die Augen. Schwindel überkam sie. Doch dann entzog sie sich der Umarmung ihres Gegenübers. Sie fühlte sich müde und erschöpft, traurig. Verlegen richtete sie ihre Kleidung. „Ich muss jetzt gehen, meine Eltern werden sich sorgen.“ Ja, Du hast Recht. Es tut mir leid, dass wir uns unter solchen Umständen wiedersehen.“

Darragh umarmte Niamh und küsste sie noch einmal. „Komm, ich bringe Dich heim.“ Er half ihr auf das Pferd. „Dornet holen wir später. Er soll hier nicht einfach im Wald vermodern.“ sagte Niamh mit bebender Stimme. Dann verließen sie die Stelle des stattgefundenen Kampfes.

Der Rückweg erschien Niamh länger und sie atmete erleichtert auf, als sie den Dorfrand von Gaoth Dobhairnfaes betrat. Hastig glitt sie von dem Pferd. „Soll ich mitkommen?" fragte Darragh. Niamh sah verlegen zu Boden. Sie richtete ihre Kleidung. „Nein, besser nicht, es würden nur Fragen aufkommen.“ antwortete sie und sah Darragh flehend an. Er verstand die stumme Botschaft, wendete das Pferd und war bald darauf zwischen den Bäumen verschwunden. Sie würden sich wiedersehen, dessen war er sicher.

Niamh drehte sich um und sah Leah, die aufgeregt auf Shane einredete. Dann sah er seine Tochter, die langsam auf ihre Eltern zuging. „Da ist Sie.“ rief Shane erleichtert aus. Leah fuhr herum und lief geschwind auf Niamh zu. „Kind, bist Du von allen guten Geistern verlassen? Weißt Du, wie sehr wir uns gesorgt haben?“ überhäufte Leah ihre Tochter mit Vorwürfen. Gleich darauf schwieg sie betroffen. Niamhs Augen schienen von Tränen gerötet.

„Was ist passiert?“ fragte Shane nüchtern, der ebenfalls herangetreten war und den Gesichtsausdruck seiner Tochter deutete. Aus Niamhs Mund sprudelten die Worte und mit neu erwachender Trauer schilderte sie die Begegnung mit dem Keiler, bei der Dornet sein Leben ließ. Leah traten ebenfalls die Tränen in die Augen. Langsam gingen die Drei zu ihrer Hütte. Shane schluckte. Dornet war schon so lange bei ihnen, dass sie sich ein Leben ohne das treue Tier kaum vorstellen konnten. Die Frauen weinten um Dornet und auch Shane trauerte auf seine Weise.

Am gleichen Tag führte Niamh ihren Vater zu Dornet. Der Keiler lag keinen Meter von ihm entfernt. Als Shane den Pfeil sah, pfiff er erstaunt durch die Zähne und sah Niamh scharf an. Sie errötete. „Es muß ein Jäger gewesen sein, der den Keiler erlegt hat, Vater. Er hat sich mir aber nicht zu erkennen gegeben.“ stammelte Niamh verlegen. Shane sah, wie sehr seine Tochter mit den Worten rang und beschloss, diese Version der seltsamen Geschichte seiner Frau mitzuteilen.

Er nickte stumm. „Lassen wir es dabei erst einmal bewenden.“ sagte er sinnierend und lud gemeinsam mit Niamh den toten Wolfshund und den kapitalen Keiler auf einen klapprigen Wagen, den sich mitgebracht hatten und der nun unter der Last der toten Tiere gefährlich ächzte und knarzte. Langsam zogen Niamh und Shane ihre traurige Fracht hinter sich her und erreichten nach einem beschwerlichen Fußweg über Stock und Stein Gaoth Dobhairnfaes.

Mit dürren Worten erklärte Shane seiner Frau den Pfeil, der in der Brust des Wildschweines steckte. Leah hob die Augenbrauen. Ihr kam die Geschichte irgendwie verwunderlich vor, aber im Endeffekt zählte, dass Niamh kein Leid geschehen war. Dann sah sich Leah den Eber an, pragmatisch wie immer sagte sie nur: „Das gibt ein Festessen.“ Bei Dornet´s blutigem Körper verschwand ihre rationale Ader, sie verstummte und streichelte Dornets blutiges Fell.

Shane schaufelte hinter der Hütte ein großes Loch und gemeinsam legten die Drei den toten Wolfshund in sein Grab. Dornet würde auf sie warten, in dem Land, jenseits des Windes.

Das Aufbrechen, Ausnehmen und Häuten des Keilers brachte für Leah und Niamh viel Arbeit. Die furchteinflößenden Hauer des Tieres trennte Leah mit einem scharfen Messer heraus und reichte sie ihrer Tochter. „Nimm sie und bewahre sie gut auf. Diese Zähne haben einen mächtigen Zauber, sagt man. Wenn Du Sie immer bei Dir trägst, wirst Du auch in tiefster Nacht den rechten Weg finden.“ sprach Leah zu ihrer Tochter, die stumm auf die Hauer blickte.

Am Abend brutzelte ein mächtiges Stück Fleisch des Ebers über einem Spieß. Das Fett tropfte in die Flammen und ließ sie hoch auflodern. Niamh wollte erst von dem Fleisch nichts essen. Shane sagte nur knapp: „Kind, Du weißt, wie selten bei uns Fleisch auf den Tisch kommt. Iss, der Winter wird hart dieses Jahr.“ Niamh aß gehorsam, meinte aber, daß sie an jedem Bissen ersticken müsse.

Ihre Seele war aufgewühlt; die Freude über Darragh Rückkehr und der Tod Dornets führten zu einer bitteren Süße, die tief in Niamhs Herz vergraben war, und zu der nur sie Zugang hatte. Plötzlicher Tumult vor der Hütte ließ Shane aufhorchen. Was zum Teufel ging da vor? Der knorrige Mann erhob sich von seinem Ruheplatz und eilte zur Tür. Leah und Niamh erhoben sich ebenfalls; neugierig lugten sie durch das kleine Fenster.

In der Mitte des Dorfplatzes stand eine junge Frau, die seltsam gewandet war. Sie trug ein schneeweißes Kleid und einen grauen Umhang, der mit einer Brosche aus Bernstein um den Hals der Fremden gehalten wurde. Shane, Leah und Niamh traten aus der Tür und gingen auf die seltsame Besucherin zu, um die sich bereits eine Menschenschar sammelte. Die Unbekannte besaß eine fast unirdische Schönheit. Flachsblondes Haar reichte ihr bis zur Taille; das Antlitz von zarter, erlesener Schönheit.

Helle Lederschuhe, die kunstvoll bestickt waren, zierten die schmalen Füße der Fremden. In ihrer rechten Hand hielt die Frau einen Stab an dessen Spitze ein lavendelfarbener Amethyst prangte. Leah wisperte Niamh zu: „Das ist eine von den heiligen Frauen, die in den Wäldern leben. Sie nur, wie sie gewandet ist! Man sagt ihnen Dinge nach, die ich nicht so recht glauben kann. Angeblich stehen sie mit anderen Mächten in Kontakt und können Leben schenken, es aber auch nehmen.“

Niamh lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Ja, die Frau faszinierte in ihrer Fremdartigkeit. Ihr edel geformtes Gesicht wirkte kühl, die schönen Augen besaßen eine eigentümliche grauen Farbe. Niamh spürte den Blick dieser Augen auf sich gerichtet und erwiderte ihn offen. Ihr kam es vor, als würde der Blick des unverhofften Gastes bis auf den Grund ihrer Seele dringen. Im gleichen Moment schalt Niamh sich. Unsinn; der in den letzten Zügen liegende Tag, Dornet´s Tod und das Wiedersehen mit Darragh hatten sie wohl verwirrt.

Die Augen der Fremden blickten Niamh immer noch unverwandt an. „Entschuldigt mein plötzliches Erscheinen. Mein Name ist Caoimhe. Ich suche ein Quartier für die Nacht, da ich nicht in der Dunkelheit durch den Wald reisen möchte.“ erhob die Fremde plötzlich ihre melodiöse und doch kraftvolle Stimme. Schweigen breitete sich aus. Die Dorfbewohner misstrauten Fremden, aber das Gebot der Gastfreundschaft musste gewahrt werden.

Viele Dorfbewohner befiehl Furcht; die schöne Frau war in ihrer strahlenden Schönheit fast unheimlich. Die alten Mythen und Legenden wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Man hörte so viel von den Waldgeistern oder den unheimlichen Frauen, die in den undurchdringlichen Wäldern lebten und seltsame, ketzerische Riten zelebrierten. Adam, der Dorfälteste, fasste sich ein Herz und trat auf die Fremde zu.

„Seid willkommen.“ begrüsste er die Frau freundlich, die dankend den Kopf neigte. Adam trat an das Packpferd heran, das die ganze Habe des Gastes zu tragen schien. Der Dorfälteste führte die Fremde zu der Hütte des verstorbenen Joshua, der im Sommer im nahen See ertrank. Die Hütte wirkte etwas verwahrlost und baufällig, doch das Dach war dicht und konnte bezogen werden. Die Fremde, Caoimhe, schnallte mit ruhiger Hand das Gepäck von ihrem müden Gaul und brachte es in das Innere der Hütte.

Adam beäugte sie aufmerksam und mit gesundem Misstrauen. Die Unbekannte war ihm nicht geheuer, aber man konnte sie ja schlecht des Dorfes verweisen. Auch wenn die Zeiten schlecht waren, Gastfreundschaft besaß nach wie vor einen hohen Stellenwert. Leah war von der Reisenden sehr angetan. Was für eine feine Dame! „Ihr werdet bestimmt hungrig sein. Wir haben einen Keiler erlegt und er schmort gerade über dem Feuer.“ sagte sie einladend zu Caoimhe, die lächelnd in Leahs rundes Gesicht sah.

„Ich nehme Eure Einladung gerne an.“ antwortete Caoimhe freundlich und folgte Shane und Leah. Niamh ging hinter ihr und sah nachdenklich auf den Gast, der wie ein Fremdkörper in dem ärmlichen Dorf wirkte. Wohin mochte sie wohl ihr Weg führen? Die Ankunft der Frau lenkte Niamh ein wenig von ihrem Kummer ab. Traurig dachte sie an Dornet, der unbekannten Menschen immer erst misstrauisch gegenüber war.

Nun war er nicht da und nie mehr würde er Niamh auf ihren Streifzügen begleiten und behüten. Die Gedanken der jungen Frau wanderten weiter zu Darragh. Wer war er? Wohin verschwand er immer? Niamh schüttelte den Kopf. Sie riss sich zusammen, verbannte Darragh aus ihren Gedanken und betrat mit den anderen die Hütte. Shane füllte den Krug mit Met auf und reichte dem Gast einen Becher. Caoimhe neigte dankend das Haupt und ließ sich lächelnd an dem Tisch nieder: „Ich bin hungig, das ist wahr.“ sagte sie und nahm den Holzteller, auf den Leah Fleisch und Kohl gehäuft hatte.

Shane war wie immer unbefangen und plauderte mit der Fremden; Niamh saß ihr gegenüber und taxierte sie die fremde Frau. Caoimhe hob den Kopf. „Habt Ihr nur diese eine Tochter?“ fragte sie Leah und Shane. „Ja, sie ist unsere einzige Tochter.“ antwortete Leah. „Ein Mädchen von solch schöner Gestalt habe ich selten gesehen." sagte Caoimhe bewundernd und sah Niamh immer noch an. Der wurde unter dem wachen Blick beklommen zumute.

Nur zu gerne hätte sie die Hütte verlassen; sie wollte mit ihren Gedanken und Empfindungen alleine sein. Caoimhe lächelte. Niamh kam der Gedanke, daß die Unbekannte ihre Gedanken lesen konnte. Beklommen dachte die junge Frau an die alten Geschichten, mit denen man immer die vorlauten Kinder geängstigt hatte. Hieß es nicht, daß sich die weißen Frauen des Nachts in Raben verwandeln und die Schlafenden im Traum besuchen kamen? „Du irrst Dich, mein Kind.“ sagte Caoimhe plötzlich halblaut.

Niamh fuhr zu Tode erschrocken zusammen. Leah und Shane sahen sich erstaunt an; ihre Gastfreundschaft verbat es jedoch auf die seltsame Äußerung der Fremden einzugehen. Niamh sprang auf und lief aus der Hütte. Die Luft war klar und kalt. Das Pochen ihres Herzens beruhigte sich. Innerlich zitternd stapfte Niamh an den Waldesrand und blickte auf das friedliche Gaoth Dobhairnfaes.

Connor, der Nachbarssohn, erblickte Niamh und ging nun auf die am Dorfrand stehende Frau, die so einsam wirkte, entschlossen zu. In der Hand hielt er einen großen Weidekorb, den ein grobes Tuch bedeckte. Der junge Mann war von großer Gestalt und besaß blonde, fast weiße Haare. Niamh kannte ihn schon seit frühester Kindheit. Als ganz junges Ding hatte sie sich, töricht wie sie damals war, in den geradlinigen Mann mit den eisblauen Augen verliebt.

Diese Phase hielt aber nicht lange an. Irgendwann war diese Schwärmerei wie eine Kerze erloschen. Connor sah Niamh offen in das bezaubernde Gesicht. Er prägte sich die Konturen ein. Seine Gefährtin früherer Jahre war in den letzten Monaten zu einer Schönheit herangereift, mit stolzen Augen und eigenwilligem Wesen. Connor hatte als Einziger den Mut, sich Niamh zu nähern. Die anderen Männer des Dorfes wagten es nie, ungebeten ein Gespräch mit Niamh anzufangen, doch Connor besaß ein selbstbewusstes Wesen.

Er lachte die schöne, junge Frau vergnügt an. Das Mädchen war der reinste Eiszapfen! Niamh sah erbost in die lachenden, selbstsichern Augen. Sie wollte ihre Ruhe haben! Connors Herz stand schon lange lichterloh in Flammen. Er dachte: Diese kleine Kratzbürste wird mich einmal bitten, sie zu küssen. Der Mann stand jetzt vor Niamh, die ein mühsames Lächeln aufsetzte: „Connor. Hast Du Dein Dach zwischenzeitlich repariert?“ fragte Niamh, scheinbar interessiert. Der junge Mann sah ihr tief in die Augen, die einen eisigen Ausdruck annahmen.

Connor ließ sich nicht beirren. Feierlich hielt er Niamh den großen Korb entgegen. Ein leises Fiepen erklang aus dem Inneren. Niamh schüttelte verwundert den Kopf: „Was ist da drin?“ fragte sie, nun doch neugierig geworden. „Sieh es Dir an.“ antwortete Connor knapp. Niamh lüftete vorsichtig das Leinentuch, das über dem Korb lag und schrie im gleichen Moment entzückt auf. Zwei winzige, graublaue Augen sahen sie flehentlich an.

Eine dicke, schwarze Welpe fiepte wieder und zitterte vor Angst; sie wollte das dunkle Versteck verlassen. Niamh ergriff vorsichtig den kleinen Hund und drückte ihn an ihre Brust. Er hatte eine weiße Schwanzspitze, seine Rasse konnte man bei bestem Willen nicht identifizieren. „Gipsy hat vor sechs Wochen die Welpen bekommen. Als ich das mit Dornet gehört habe, dachte ich, daß Du vielleicht einen neuen Hund haben möchtest.“ sagte Connor, erfreut über Niamhs sichtliche Freude und kratzte sich etwas verlegen am Kopf.

„Ich weiß, dass er Dornet nicht ersetzen kann, aber ich finde, daß Du nicht ohne Beschützer in den Wald gehen solltest, wenn er dann einmal groß ist.“ fügte er hinzu. Niamhs schöne Augen füllten sich mit Tränen und sie senkte ihr Gesicht in das weiche Fell des niedlichen Welpen. Er duftete nach Stroh und kuschelte sich wärme- und schutzsuchend an die Brust der jungen Frau, deren Herz bereits verzaubert war.

„Connor, ich danke Dir! Sicher, Dornet ist nicht zu ersetzen, aber dieser kleine Kerl soll bei mir ein neues Zuhause finden.“ sagte sie sich mit glühenden Wangen bei. Wann war er eigentlich zum Mann herangereift, fragte Niamh sich im Stillen. Er war jetzt fast zwei Meter groß und seine vormals schlaksige Figur wirkte nunmehr fest und muskulös, seine blonden Haare standen widerspenstig ab und ein dunkler Bartschatten verlieh dem männlichen Gesicht eine markante Note.

Niamh fühlte Verwirrung in sich aufsteigen und errötete leicht. Connor konnte sich an ihrem bezaubernden Antlitz nicht sattsehen, beschloss aber dann doch den Rückzug anzutreten. „Tja, dann werde ich mal wieder! War heute ein harter Tag.“ sagte er zu Niamh, betont nüchtern, hob kurz die Hand, wandte sich ab und schlenderte zu seiner Hütte zurück. Niamh hielt den Welpen in den Armen, der nun seinem Herrn hinterherwimmerte; als die junge Frau den Hund jedoch fest an sich drückte und beruhigend auf ihn einredete, verstummten die Klagelaute des Tieres. Feuchte Kälte machte sich breit. Niamh sah Connor nachdenklich nach und ging dann zurück zu ihrer Hütte.
6. Teil
Sie ging zurück zu ihren Eltern, die sich mit Caoimhe immer noch angeregt unterhielten. Leah stieß einen Schrei aus, als sie den winzigen Hund sah und schnitt ein Stückchen Wildschweinfleisch klein, das sie in ein Holzschälchen legte. Die feuchte Nase des Hundes bebte feucht und witterte sichtlich das köstliche Fleisch. Niamh ließ den Welpen auf den Boden gleiten, der gleich eilig auf den Fressnapf zutapste.

Kurze Zeit später schmatzte der Hund laut. Heiteres Gelächter erklang. Zufriedenheit machte sich in Shanes Brust breit. Er liebte diese Abende, wenn draußen die Kälte ihr Regiment führte, die Familie jedoch beim prasselnden Feuer saß und alle Mägen gefüllt warene. Caoimhe saß auf ihrer Holzbank und sah wachen Blickes auf die Menschen, die so plötzlich in ihr Leben getreten waren.

Die weise Frau schloss die gutmütigen Bauern in ihr Herz. Ihr brennendes Interesse galt jedoch der schönen Niamh, der die plötzlich aus dem Nichts aufgetauchte Fremde nicht geheuer war.

Die Sichel des Mondes stand hell und klar am tintenschwarzen Nachthimmel als Shane Caoimhe zu ihrer Hütte geleitete. Hilfsbereit säuberte er die Feuerstelle von morschem Holz und Ruß und legte dann säuberlich geschichtet gespaltene Holzscheite in die Mitte des Kamins.

Mit konzentrierte Miene bückte sich Shane ächzend und setzte umständlich die Scheite in Brand. Als das Feuer hoch aufloderte lächelte er zufrieden. Caoimhe bedankte sich mit ihrer melodiösen Stimme: „Habt Dank für Eure Gastfreundschaft. Der Met wird mich bald in das Land des Schlafes führen.“ Sie lachte leise auf; Shane grinste. Er fühlte sich in der Gegenwart der schönen Fremden etwas linkisch. Der Bauer räusperte sich: „Ich gehe jetzt wieder in meine Bleibe. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“ „Ja, das wünsche ich Euch auch.“ erwiderte Caoimhe und hielt Shane die Tür auf. Er ging hinaus in die Nacht. Nachdenklich sah Caoimhe ihm nach.

Shane verharrte in der Dunkelheit, deren klammen Finger sein Gesicht streichelten. Er ließ seinen Blick schweifen. Die Nacht wurde finsterer; der bleiche Mond verschwand hinter gigantischen Wolken, die aufzogen. In diesen Nächten ging das Böse um. Kein Lichtstrahl des Mondes erhellte mehr die tiefen Schatten unter den Bäumen. Das Rufen einer Eule zerschnitt abrupt die unheilvolle Stille und verhallte in den Weiten des undurchdringlichen Waldes. Shane fröstelte innerlich als der letzte Laut des nächtlichen Rufers verklang. Die Menschen taten gut daran, diese Nächte zu meiden. Man verharrte still in den Hütten des kleinen Dorfes Gaoth Dobhairnfaes und erwartete sehnsuchtsvoll den kommenden Tag, der das Licht zurückbringen würde.

Das Dorf lebte von dem, was der lehmige Boden hergab. Die Einwohner wilderten manches mal in den dunklen Wäldern des Earls von An Charraig. Für Wilderer gab es kein Erbarmen, sei ihre Hungersnot auch noch so übermächtig. Zur Abschreckung und schauerlichen Vergnügen des Mobs hauchten Wilddiebe bei einer öffentlichen Hinrichtung ihr Leben aus. Aber der Hunger und die allgemeine Not ließen den Menschen, die unter der Herrschaft des Earls ein karges Dasein führten, keine andere Wahl.

Man musste nur voller List vorgehen und die dunklen Nächte, in denen sich auch die Gefolgsleute des Earls nicht in die Wälder trauten, ausnutzen. Jeder wusste, dass das Ertappen eines Wilderers auf frischer Tat mit dem Tode bestraft wurde, aber die Not mobilisierte den Erfindungsreichtum der einfachen Leute, die mit Wagemut ihren kargen Speisezettel aufbesserten. Jeder Tag war aufs Neue ein Kampf. Zu viele waren in den letzten Wintern an Unterernährung, Seuchen und Kälte gestorben; gerade die Alten, die Kinder. So viele Tränen waren geflossen, mit denen man den nahen, grundlosen schwarzen See hätte füllen können...

Niamh erwachte mit einem Lächeln auf den Lippen und zog die kleine Welpe, die sie heimlich in ihr Bett geholt hatte, an sich. Der winzige Hund drängte sich schutzsuchend an Niamhs schlafwarmen Körper. Sie lächelte, streichelte geistesabwesend das flauschige Fell des Tieres und ihre Gedanken wanderten wieder zu Darragh. Ihm galt der letzte Gedanke am Abend. Niamh dachte entschlossen: „Ich werde einen Weg finden, um mich mit ihm zu treffen.“ Das verbotene Spiel reizte sie und Niamh war gewillt, für die in ihr erwachte Leidenschaft alles auf eine Karte zu setzen.

Leah beäugte ihre Tochter misstrauisch. Niamh sprühte geradezu vor Übermut. Was war mit dem Kind los? Shane lachte gutmütig, als Leah ihm die augenscheinliche Veränderung ihrer Tochter vor Augen führte. „Sie hat ein Strahlen in den Augen, das ich noch nie bei ihr gesehen habe. Irgendetwas stimmt da nicht.“ beharrte Leah und hoffte, dass Shane ihre Zweifel zerstreuen würde. Doch ihr Mann klopfte nur bedächtig den Tabak aus seiner geschnitzten Pfeife und porkelte umständlich darin herum.

Leah brodelte innerlich. Nichts und niemand konnte ihren Mann aus der Ruhe bringen. Ungeduldig schob Leah einen Holzstuhl an die Seite, um einen imaginären Fleck auf dem Fußboden zu begutachten. Die stämmige Frau sah ihren Mann scharf an. Shane, der sehr wohl das Gären im Inneren seiner Frau bemerkte, sagte ruhig: „Unser Kind breitet seine Flügel aus. Ihr Zuhause wird ihr wohl langsam zu eng. Sie ist eine schöne, junge Fau; vielleicht ist ihr bereits die Liebe begegnet.“ Leah kannte die poetische Ader des einfachen Bauern Shane. Als er um Leah warb, hatte er manches Mal seiner Angebeten selbstverfasste Gedichte vorgetragen.

Damals war Leah ein junges, unerfahrenes Mädchen gewesen und hielt dem hartnäckigen Werben Shanes lange Stand. Doch in einer lauen Sommernacht, als der Mond wie ein stummer Wächter am Himmel stand, brachte Shane in seiner zukünftigen Frau eine Seite zum Klingen, von deren Vorhandensein Leah nicht einmal etwas geahnt hatte. Shane errang in jener Nacht die Liebe seiner Frau, die von Stund an keinen anderen Mann mehr anblickte.

Leah setzte sich fassungslos auf den Stuhl und fasste sich an die Stirn. Sie empfang Shanes Gedankengänge als abwegig, aber ein Körnchen Wahrheit könnte darin wohl stecken. „Dass ich daran nicht gedacht hatte.“ sagte Leah verdutzt und knetete nervös ihre schwieligen Hände. „Aber wer kann es sein, Shane? Wer kann unserer Tochter das Herz gestohlen haben?“ fragte sie staunend ihren Mann.

Shane sah Leah milde lächelnd an. Sein gutmütiges Gesicht bekam einen leicht spöttischen Ausdruck. Seine patente Frau, die schon so viele Monde getreulich an seinerr Seite weilte, sprachlos zu erleben, kam nicht oft vor. „Ich weiß es nicht, Leah. Aber ich glaube, dass Niamh uns irgendwann davon erzählen wird, wenn die Zeit reif ist.“ sagte er abschließend und legte eine Hand auf Leahs Schulter. Steifbeinig richtete Shane sich auf, schmauchte an seiner Pfeife und verließ die Hütte.

Der eisige Wind zerrte an Niamhs Kleid, als sie das kleine, eingezäunte Areal mit den die gackernden Hühnern betrat. Der große, schwarze Hahn, der die junge Frau aus seinen kleinen Augen tückisch ansah, hackte mit einem schnellen Hieb in Niamhs rechten Fuß. „Du landest bald im Suppentopf!“ rief sie erbost und trat nach dem aufdringlichen Federvieh, das geschickt dem drohend näher kommenden Fuß auswich. Niamh lachte laut auf. „Ja, Ihr habt ja Recht! Anstatt Euch zu füttern, hänge ich meinen Gedanken nach.“ sagte sie, schon beschwichtigt, zu den Tieren.

Eine Weile schaute sie den friedlich pickenden Hühnern zu. Das Herz Niamhs schlug unruhig und voller Verlangen. Sie grübelte und grübelte. Wenn sie sich einfach wegschleichen würde? Niamh verwarf diesen Gedanken umgehend. Wie sollte sie ihren Eltern, die sie mit Argusaugen zu beobachten schienen, ihr Verschwinden erklären? Die junge Frau drehte sich herum und wollte zu dem großen Mastschwein gehen, das sie ebenfalls versorgen musste. Sie zuckte plötzlich zusammen. Caoimhe stand vor ihr. Niamh hatte ihr Näherkommen nicht bemerkt.

„Mein liebes Kind! Es tut mir leid, wenn ich Dich erschreckt habe.“ sagte die vornehme Frau zu Niamh und sah sie mit ihren großen, schönen Augen liebevoll an. Die junge Frau fühlte sich gegenüber Caoimhe linkisch und befangen. Die weise Frau trug ein Lederkleid, das die Farbe frisch gefallenen Schnees besaß. Ihre langes, glänzendes Haar glitt wie ein Wasserfall den schmalen Rücken hinab. Caoimhe lächelte milde und legte zärtlich eine Hand auf Niamhs Wange. Die junge Frau wich zurück.

Die Aura, die Caoimhe ausstrahlte, ängstigte sie und schien nicht von dieser Welt zu stammen. Die Fremde, die wie Nebel aufgetaucht war, passte nicht in das dörfliche Idyll. Caoimhe spürte Niamhs sichtliches Erschrecken voller Bestürzung. Die Menschen behandelten die weise Frau mit Respekt und Ehrerbietung, schufen jedoch eine Barriere, die Caoimhe nicht überwinden konnte. Man spürte die Macht, die von ihr ausging und die alten Mythen taten ihr Übriges. Nicht wenige glaubten, dass Caoimhe kein Mensch aus Fleisch und Blut war, sondern eines der Schattenwesen, das der dunkle Schoß der Erde ausgespien hatte.

Die weise Frau kannte den Aberglauben der einfachen Leute, konnte ihn jedoch nicht zerstören. „Ich muss weiter mein Arbeit verrichten, hohe Frau.“ sagte Niamh schüchtern und hastete Richtung Schweinekoben. Ihr plötzlicher Weggang glich einer Flucht. Caoimhe sah Niamh nachdenklich hinterher. Shane kam bedächtig auf sie zu. Er humpelte. Der nahende Winter fuhr ihm kalt und feucht in die morschen Glieder.

Shane hatte aus einiger Entfernung die Begegnung der beiden Frauen scharf beobachtet. Den Wortlaut konnte er allerdings nicht vernehmen. Shane wunderte sich etwas über Niamhs hastigen Rückzug und suchte mit der am gestrigen Tage angekommenen Fremden eine Unterredung. „Seid gegrüßt.“ Caoimhe lächelte und blickte den kleinen, knorrigen Mann an, dessen blaue Augen ein stolzes Herz verrieten.

Shane erwiderte diesen eindringlichen Blick offen. Die Fremde wirkte wie ein weißer Falke unter Raben, aber ihr fremdartiges Wesen konnte ihn nicht einschüchtern. „Eure Tochter ist ein schönes Kind.“ begann Caoimhe sinnierend das Gespräch. Shane spürte Beklommenheit in sich aufbranden. Caoimhe blickte ihn unverwandt mit ihren klaren Augen an.. „Fürchte Dich nicht! Ich will nichts Böses von Euch.“ sagte sie Caoimhe gütig.

Shane erschrak und trat stolpernd einen Schritt zurück. Konnte es sein, daß diese seltsame Frau sich seiner Gedanken bemächtigt hatte? Shane besaß eine eine klare, starke Natur und oft machte er sich über die seltsamen Geschichten der anderen lustig. Er war diesseitig aufgewachsen; Leid und Mühsal ließen ihn vorzeitig altern; aber das soeben Erlebte, erschütterte das Fundament seines Glaubens nachhaltig und wirkte wie ein Erdrutsch.

„Wer seid Ihr und was hat Euch zu uns geführt?“ fragte er Caoimhe heiser. „Es ist noch nicht an der Zeit, dass darüber Worte verloren werden müssen, mein Freund. Euer Dorf ist in meinen Träumen erschienen und eines Tages führte mich mein Weg direkt zu Euch. Vertraue mir und ängstige Dich nicht.“ beschwichtigte Caoimhe nochmals den einfachen Mann, der sich in einem Wachtraum wähnte. „Verzeiht mir, wenn ich zu aufdringlich war. Mich überkam plötzlich ein ungutes Gefühl.“ rechtfertigte Shane sich.

Er sah die seltsame Frau immer noch unverwandt an, aber in deren Augen konnte er nichts Böses erkennen, sondern nur Güte und eine leise Trauer, die sich um die Augen Caoimhes einnistete. „Ich bitte Euch nur um Obhut und Aufnahme in Eure Dorfgemeinschaft.“ bat Caoimhe weich. Shane nickte langsam. Er wollte nicht weiter in die seltsame Frau dringen, das verlangte das Gebot der Höflichkeit. Auch wenn Gaoth Dobhairnfaes ein armes Dorf war, Gastfreundschaft besaß einen hohen Stellenwert.

Shane beschloss, diese seltsame Unterredung für sich zu behalten; kein Wort würde über seine Lippen kommen. Er nickte Caoimhe wortlos zu und wandte sich ab. Um den stolzen Mund der weisen Frau lag ein leichtes Lächeln.

Sie konnte den Menschen ihre Furcht nicht nehmen; man schätzte ihr Wissen über die Medizin der Natur, die im Überfluß vorhanden war, aber wenn Caoimhe eine Totgeburt vermied oder an Fieber Erkrankte, scheinbar Sterbende, behandelte, die wenige Tage später klaren Gedankens aufwachten, war ihr nur selten Dank gewiss, dafür aber um so mehr Misstrauen und Furcht. Die weise Frau seufzte leise und hieß die tastenden, weichen Strahlen der blassen Sonne, die ihr Antlitz erklommen, willkommen.

Niamh verrichtete ihre Arbeiten halbherzig und mit ungewohnter Hast. Immer wieder wanderte ihr Blick verstohlen zu der Hütte ihrer Eltern; Leah und Shane waren nicht zu sehen. Die junge Frau zögerte nur einen Augenblick. Eilig warf sie dem schmatzenden Schwein die Reste der alten Kartoffeln in den Trog und schloss das windschiefe Tor des Gatters. Die junge Frau hastete zum klaren, nahen Weiher und ließ das kalte Wasser über ihre Hände rinnen.

Sie richtete sich wieder auf und sah sich erneut um. Zwei Seelen stritten in Niamhs Brust: sie sehnte sich nach Darragh, aber andererseits war ihr bei dem Gedanken, ihre Eltern zu belügen, nicht ganz wohl. Aber die Stimme der Liebe übertönte die ZWeifel der jungen Frau. Entschlossen sprang Niamh über den kleinen Bach. Der Stechginster riss an ihrem Kleid und bohrte sich in ihren rechten Fußknöcheln. Niamh schrie leise auf und zog entnervt ihren Rock aus dem stacheligen Gewächs. Dann rannte sie, als sei der Leibhaftige hinter ihrer Seele her, durch den Wald.

Anmutige Rehe, die auf einer Lichtung standen, hoben erschrocken ihre schmalen Köpfe. Als sie erkannten, dass keine Gefahr zu befürchten war, widmeten sie sich jedoch wieder dem letzten, saftigen Gras des Jahres. Bald würde eine dicke Schneedecke alles überlagern; da hieß es, sich vor Winteranbruch noch ein Fettpolster anzufressen. Eine bläulich schillernde Elster wurde von dem Knacken der brechenden Äste unter Niamhs Füßen aufgescheucht und verkündete lautstark ihren Unmut.

Da, endlich! Die verfallene Scheune geriet in Niamhs Sichtweite. Sie verharrte ihren Schritt; das Herz schlug einen Trommelwirbel in der Brust und ein erwartungsvolles Prickeln in Niamhs Magengrube machte sich breit. Die schöne Frau strich sich glättend über ihr langes Haar und richtete ihr Kleid. Niamh lauschte angespannt. Irgendwo bellte heiser ein Fuchs; ein großer Habicht saß auf einem starken Eichenast und beäugte Niamh eindringlich. Das leise Schnauben eines Pferdes drang an das Ohr der jungen Frau. Sie wandte sich erwartungsvoll um und erblickte Darragh, der auf seinem Schimmel gemächlich durch den Wald trabte.

Niamh lief mit glühenden Wangen auf ihn zu. Darragh lachte auf und glitt aus dem Sattel. Er lief seiner Angebeteten entgegen und Sekundenbruchteile später flog Niamh in seine Arme, die für sie der einzige Platz auf der Welt waren, an dem sie sein wollte. Darragh zog die junge Frau an sich. Ihre Lippen fanden sich. Alles schien stillzustehen: das Leben und der Lauf der Jahreszeiten. Dann lösten sich die Liebenden aus ihrer Umarmung und sahen sich sehnsuchtsvoll in die vor Verlangen getrübten Augen.

Darragh ergriff eine von Niamhs Haarsträhnen und ließ sie langsam durch seine Finger gleiten. „Wie sehr habe ich Dich vermisst.“ raunte er seiner Geliebten rau in das Ohr, worauf diese ihr Gesicht fest an seine Brust presste und den männlichen Geruch nach Leder und Tabak tief in ihre Lungen sog. Schwindel erfasste sie. Niamh hob ihr Gesicht und prägte sich jede Einzelheit des männlichen, markanten Gesichts für alle Ewigkeiten ein.

Der sensible Mund, die glatt rasierten Wagen, die fast römisch anmutende Nase und die Augen, die sie vom ersten Augenblick in ihren Bann gezogen hatten. „Komm.“ forderte Darragh Niamh leise auf und sie folgte ihm willig zur Hütte. Der junge Adelige band sein Pferd an. Wortlos ging das Paar in das Innere der Hütte und ließen sich auf das Heu hinabsinken. Niamh fühlte wieder Scham in sich aufsteigen. Röte überzog das Gesicht der jungen Frau.

Darragh betrachtete hingerissen seine Geliebte und küsste behutsam ihre Fingerspitzen. „Was hat Dich verstimmt?“ fragte er schelmisch. Niamh wich seinem Blich aus. „Ich weiß eigentlich nichts von Dir.“ begann sie stockend und breitete umständlich ihren Rock über die Knie aus. Darragh betrachtete verzückt das süße, junge Gesicht. „Mein Onkel, der Earl von Mocullen, lud mich ein, auf seinem Schloß Wildwind für einige Wochen zu verweilen.“ begann er. Niamh erschrak. Dass er ein Adeliger von solch edlem Blut war, ängstigte sie.

Was konnte ein Mann, wie er, an ihr, einer Bauernmagd finden? Als habe Darragh die Gedanken seiner Geliebten lesen können, legte er sanft seinen rechten Zeigefinder unter Niamhs Kinn. „Sieh mich an!“ befahl er leise. Die junge Frau gehorchte. „Ich habe keine unehrenhaften Absichten; Dich habe ich mich nur aus Liebe genähert.“ flüsterte er zärtlich. Niamhs Augen flossen über und große Tränen rannen über ihre hohen Wangenknochen.

Darragh strich sie sanft aus dem zarten Gesicht. Staunen erfüllte seine Brust. Wie sehr hatte ihn dieses junge Mädchen ihn, den Zyniker, verzaubert. Darrah konnte bislang jegliche Heiratswünsche seiner Mutter unterlaufen. Auf Geheiß seines Vaters sollte er sich auf dem Schloß seines Onkels „die Hörner abstoßen“ und unter den heiratswilligen Damen des Umlandes seine Wahl treffen.

Darragh langweilte sich schnell auf dem Anwesen seines seines Onkels und bändelte unziemlicherweise mit einer jungen und sehr bezaubernden Dienstmagd an, die jedoch bereits dem ersten Stallknecht versprochen war. Die Dienstmagd war kein unerfahrenes Ding mehr und ließ sich die erotischen Avancen des hübschen Adeligen gern gefallen. Nach einer durchzechten Nacht wurde Darragh auf dem Heimweg wohl von dem Gehörnten überfallen und zusammengeschlagen.

Der junge Adelige wurde bewusstlos im Graben nahe des Schlosses gefunden. Tagelang musste er das Bett hüten, weil eine riesige Beule Schwindelanfälle hervorrief, die erst in der zweiten Woche nachließen. Nicht wenige am Hofe seines Onkels lachten hämisch, über die Abreibung, die der junge, arrogante Herr bezogen hatte. Bei Nacht und Nebel verschwanden dann die Dienstmagd und der Stallknecht.

Darragh zerrte an Niamhs Kleid und ließ behutsam seine warme Hand über die zarte Haut seiner Geliebten gleiten. Niamh kostete es unglaubliche Überwindung, sich den Liebkosungen Darraghs zu entziehen, aber sie tat es dennoch. Der junge Adelige wisperte: „Ich sehne mich so nach Dir.“ Niamh nickte stumm. Mühsam richtete sich auf. Ihr Körper schrie vor Verlangen, aber Darragh sollte kein leichtes Spiel haben, weil Niamh befürchtete, dass er ihrer dann sehr bald überdrüssig werden würde.

Die junge Frau richtete ihre Kleidung. Darragh blickte Niamh enttäuscht an und ergriff ihre Hand, um sie wieder an sich zu ziehen. „Nein.“ Niamh blieb standhaft. „Ich muß wieder zurück. Meine Mutter und mein Vater werden sich bereits sorgen.“ sagte sie lächelnd, aber bestimmt. Darragh seufzte und erhob sich ebenfalls. „Wann werden wir uns wiedersehen?“ fragte er eindringlich und sah Niamh tief in die Augen. „Ich weiß es nicht; es ist für mich nicht leicht, mich wegzustehlen.“ rechtfertigte Niamh ihre vage Aussage.

Darragh ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Er umfaßte die schmale Taille der jungen Frau. „Du weißt, ich lasse Dich nur ungern gehen.“ lächelte er und küsste nochmals sehnsuchtsvoll Niamhs roten, verlockenden Lippen, deren Süße den jungen Adeligen um den Verstand brachten. Die junge Frau löste sich sanft aus Darraghs Umarmung. „Wann sehen wir uns wieder?“ fragte Darragh nochmals. „Ich versuche jeden Tag kurz vor Einbruch der Dämmerung hier zu sein.“ versprach Niamh und löste sich entschlossen aus der Umarmung des kräftigen, jungen Mannes. Leichtfüßig, wie ein Reh, lief sie aus der windschiefen Hütte und eilte Richtung Wald.

Sie hielt inne, drehte sich um und sah zur Hütte hinüber. Darragh saß bereits im Sattel und sah Niamh sehnsuchtsvoll hinterher. Die junge Frau winkte, bis das Grün des Dickichts sie verschluckte. Darragh wendete sein edles Pferd und entfernte sich langsam, mit Enttäuschung im Herzen, von ihrem Liebesnest. Ein Eichelhäher hockte auf einem Baum und rief höhnisch auf den jungen Adeligen hinab, der sein Ross anspornte und in gestreckten Galopp heimwärts ritt.

Niamh atmete heftig und versuchte die Stiche in ihrer Seite zu ignorieren. Am Rand des Dorfes hielt sie inne und schlenderte, scheinbar gelassen, Richtung Hütte. „Niamh.“ rief eine hohe, klare Stimme. Die junge Frau erstarrte und wandte sich dann um. Caoimhe kam auf sie zugeschritten und Niamh fragte sich einmal mehr, was diese seltsame Fremde wohl hier im Dorf zu suchen hatte. „Niamh, mein liebes Kind. Ich benötige einige Kräuter für meine Salben; kannst Du morgen in den Wald gehen und mir diese besorgen?“ fragte Caoimhe freundlich die junge Frau, die erhitzt aussah, als sei sie schnell gelaufen.

„Gern, hohe Frau.“ stotterte Niamh etwas eingeschüchtert von Caoimhes imposanter Erscheinung. Das Alter Caoimhes konnte man nur schätzen. Ihre Hände waren weiß, wie Lilien; die Nägel lang und rosig. Den kunstvoll geschnitzen Stab trug sie immer bei sich. „Für meine Arzneien benötige ich Ginster, Mädesüß und die Wurzeln des schwarzen Klees, der hier beheimatet sein soll.“ sagte Caoimhe weiter. „Ja, ich weiß wo er wächst.“ antwortete Niamh, nun mit festerer Stimme. „Gleich morgen werde ich Euch die gewünschten Kräuter suchen.“

Caoimhe nickte. „Danke, mein liebes Kind. Eile nun; Deine Mutter hat Dich schon gesucht.“ sagte sie schmunzelnd zu Niamh, deren Gesicht mit Schamesröte überzogen war. Ein kurzer Abschiedsgruß, dann eilte Niamh schon zu ihrem Heim.

Leah bearbeitete in einem Mörser diverse Körner und ihr aggressiven Bewegungen ließen nichts Gutes erahnen. „Wo warst Du?“ fragte sie tonlos ihre Tochter, ohne den Blick zu erheben. „Ich war am Fluss und habe hierüber wohl die Zeit aus den Augen verloren.“ versuchte Niamh sich zu rechtfertigen. Ihr schlechtes Gewissen machte sie zornig. Sie war schließlich kein kleines Kind mehr! „Wir haben uns gesorgt.“ warf Leah ihrer so veränderten Tochter weiter vor und hielt nunmehr mit ihrer Arbeit inne.

„Komm her, mein Kind.“ forderte sie Niamh auf und setzte sich ächzend auf die Steinbank. Niamh folgte ihr nur widerwillig. „Was ist los?“ fragte Leah ihre Tochter direkt und ohne Vorwarnung. Niamh schwieg verbissen. „Nichts.“ Antwortete sie. Ungutes Schweigen überflutete den Raum. Leah seufzte und erhob sich wieder. Das Abendmahl musste vorbereitet werden; Shane würde gleich zurückkehren. Niamh ging ihrer Mutter schweigend zur Hand.

Eine Mauer umgab die beiden Frauen und schien unüberwindbar. Leah und ihre Tochter sprachen den restlichen Tag kaum ein Wort miteinander; Niamh erledigte jedoch gefügig ihre Arbeiten und verließ dann die Hütte. Sie war erhitzt und die ungute Atmosphäre machte sie unruhig und gereizt. Sie brauchte frische Luft.

Shane fühlte sich angenehm müde, satt; ihm war die ungute Atmosphäre in der Hütte jedoch nicht entgangen: „Frau, was ist los?“ fragte er Leah alarmiert und setzte seine Pfeife in Brand. „Das Kind entgleitet mir. Sobald ich sie frage, was ihr widerfahren ist, verweigert sie jedes Gespräch.“ berichtete Leah ihrem Mann kummervoll. „Lass sie! Wenn sie uns etwas zu erzählen hat, wird sie schon zu uns kommen.“ forderte er seine Frau auf.

Leah verdrehte unmutig die Augen. Diese Mann! Er war durch nicht aus der Ruhe zu bringen. Shane war jedoch weitsichtig und seine Worte hatten immer Bestand. Obwohl Leah mit Shanes Vorschlag keineswegs einverstanden war, unterdrückte sie weitere Fragen an Niamh. Die Sonne war bereits untergegangen und die Bewohner verschlossen ihre Türen. Es war kalt geworden und die Rauhreiffinger des nahenden Winters zauberten kunstvolle Gebilde und filigrane Netze in die Hecken und Büsche, die sacht in der Nachtbrise wehten.

Das Dorf umfasste 20 Hütten; die sich vor dem großen, dunklen Wald mit seinen uralten Tannen und Eichen duckten und an die Erde schmiegten. In der Dorfmitte trafen sich die Ältesten, hielten Rat, bestraften diejenigen, die Unrecht getan hatten; hier feierten sie ihre Feste und beweinten ihre Toten. Es war eine Gemeinschaft, die so eng war, dass Außenstehende hier keinen Zutritt hatten. Alle waren einfache Bauern, die ein entbehrungsreiches Leben führten. Vor vielen Monden wurde das Dorf von der Armee des Earls von An Charraig heimgesucht.

Seine Reiter glichen einer Armee der Finsternis, ihre Pferde schier unverletzlich und den alten Mythen nach aus der Unterwelt aufgestiegen, unbesiegbar und todbringend. Wie eine gigantische Welle überrollte Gewalt das kleine Dorf und brachte Tod und Verderben. Tapfer, aber machtlos stellten sich die Bewohner gegen diese unheilbringende Macht; die Kinder und die Alten versteckte man in geheimen Gängen, die schon seit Jahrhunderten Schutz boten.

Keiner hatte diesen Reitern etwas entgegenzusetzen; sie schienen einer anderen Welt entsprungen zu sein, wenn sie mit ihrem Banner, das einen schwarzen, feuerspeienden Drachen zierte, einem Todesschwadron gleich, durch das Dorf fegten; die Hütten niederbrannten und das Vieh erschlugen. Nur noch die Alten erinnerten sich an jene unheilvolle Nacht, verschlossen das Erlebte tief in ihren Seelen und sprachen selten von den Ereignissen.

Der Earl von An Charraig, so die Legende, war ein überlebender Zwilling, der seinen Bruder schon im Mutterleib getötet haben soll, um niemals teilen zu müssen. Er war ein bösartiges Kind; seine Amme war eine buckelige Hexe, die ihn mit der Materie der schwarzen Magie von Kindesbeinen an vertraut machte. Seine Mutter und seine Zwillingsschwester verstarben bei der Geburt; der kleine Junge, der überlebte, besaß schon als Säugling Zähne und trug an jeder Hand sechs Finger und an jedem Fuß sechs Zehen.

Ein Zeichen, dass er dem Satan geweiht war und Tod und Verderben bringen würde. Seinen Vater kannte man nicht; man munkelte, dass seine Mutter in einer gottlosen, schwarzen Nacht den Satan persönlich zu sich eingeladen hatte. Nur so konnte es gewesen sein.

Jeder kannte die Geschichte; kaum einer hatte den Earl von An Charraig gesehen; in hellen Vollmondnächten sah mancher einen riesigen Rappen mit einem schwarzen Reiter über die Ebene jagen, schnell, wie eine gigantische Sturmwolke; es schien, als würde das Ross mit seinen Hufen den Boden nicht berühren. Alle, die diesen unheimlichen Reiter sahen, spürten einen kalten Todeshauch und ein Geruch von Unheil und Verwesung durchdrang die Nacht. Jeder, der diese Begegnung erlebt hatte, träumte noch lange davon und eine eiserne Faust der Angst hielt ihn lange umfangen.
7. Teil
Friedvolle Stille umfing das Dorf. Niamh jedoch wälzte sich unruhig auf ihrem weichen Lager und schwebte durch wirre Träume. Lautlos bildeten ihre Lippen den Namen des Geliebten und tiefe Sehnsucht legte sich einem bleiernen Mantel gleich auf die junge Frau. Sie erwachte und schlug unmutig ihre Decke zurück, schlüpfte leise in ihre Kleider und schnürte hastig die Schuhe zu. Dann verließ sie nach kurzem Zögern die Hütte und schloss verstohlen die knarzende Tür hinter sich.

Niamh wandte ihr Gesicht dem tintenschwarzen Nachthimmel zu, an dem die fernen Sterne schimmerten, fern und kalt. Die junge Frau fröstelte und zog ihren Umhang enger um die schmalen Schultern. Alles lag in tiefem Schlaf. Niamh ließ ihren Blick wandern und erstarrte. Vor Caoimhes Behausung stand regungslos eine weiße Gestalt.

Das diffuse Licht des kalten Mondes erhellte nur unzureichend die unheimliche Erscheinung. Das Rufen eines Waldkauzes hallte gespenstisch durch die Nacht. Niamh verharrte immer noch ihrer Schritte. Ihren ganzen Mut zusammennehmend ging die junge Frau entschlossen auf Caoimhes Hütte zu.

Die Gestalt bewegte sich plötzlich und Niamh entfuhr ein leiser Schrei des Entsetzens. „Kind, was treibt Dich denn in die Nacht?“ drang der erstaunte Ruf Caoimhes an das Ohr der nächtlichen Wanderin. Eine Woge der Erleichterung überrollte Niamh. Caoimhe trat auf die junge Frau zu. „Komm in meine Hütte! Diese Nacht ist voller Schatten.“ sagte sie zu der maßlos erleichterten Frau, die sich bereits in einem nächtlichen Spuk gewähnt hatte.

Aus Niamhs Kehle rang ein hysterisches Kichern, das sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. Zitternd ließ sie sich von Caoimhe in die Hütte schieben. „Komm, setzt Dich an das Feuer! Kind, Du kannst Dir bei der Kälte den Tod holen!“ schalt Caoimhe milde die junge Frau. Das Zittern in Niamh ließ nach. Sie entspannte sich und genoss die Wärme des hell lodernden Feuers. „Hier, nimm das.“ forderte Caoimhe ihren nächtlichen Besuch auf und überreichte der frierenden Frau einen Becher, den sie zuvor mit einer gelben Flüssigkeit füllte.

Niamh trank. Der Honigwein rann warm und schmackhaft ihre Kehle hinab. In Sekundenschnelle breitete sich Wärme in der jungen Frau aus und sie trank begehrlich den Met in großen Schlucken. Caoimhe beobachte sie lächelnd. „Ihr müsst mich für albern halten.“ begann Niamh stockend und konnte der vornehmen Frau nicht in die Augen sehen. „Nein, warum sollte ich? Ich kann Deine Angst durchaus verstehen.“ antwortete Caoimhe beschwichtigend.

Ihre Augen ruhten lächelnd auf der jungen Frau, die sie bereits tief in ihr Herz geschlossen hatte. Wortlos nahm sie Niamhs leeren Becher und füllte ihn erneut mit dem wärmenden Trank. Niamh senkte dankend den Kopf. „Was führt Dich zur nächtlichen Stunde ins Freie?“ fragte Caoimhe nochmals erstaunt und betrachtete Niamh nachdenklich.

„Ich konnte nicht schlafen, also ging ich vor die Hütte. Dann sah ich eine weiße Gestalt vor Eurer Hütte.“ begann Niamh stockend und beschämt. „Mein liebes Kind! Habt Ihr mich nicht erkannt?“ fragte Caoimhe und musste nun doch ein amüsiertes Auflachen unterdrücken. Sie wollte die junge Frau nicht demütigen. Niamh sah auf und entdeckte das Lächeln in Caoimhes Gesicht. Plötzlich lachten beide Frauen laut auf. „Dieses Erlebnis bleibt unter uns!“ forderte Caoimhe Niamh verschwörerisch auf. „Ja, so soll es sein!“ antwortete die junge Frau.

Sie erhob sich. „Habt Dank für Euren Trank. Ich wünsche Euch einen guten Schlaf“ sagte sie höflich zu Caoimhe und huschte aus der Hütte. Die weise Frau saß noch lange am Feuer und blickte in die Flammen, in denen sich schon oft die Zukunft gezeigt hatte. Caoimhe sinnierte und deutete die Bilder, die vor ihr erschienen. Es waren Bilder des Schreckens, aber aus diesem Schrecken würde Neues entstehen....

Niamh lag wieder auf ihrem Nachtlager und schlossß die Augen. Der Schlaf warf nun endlich seinen Mantel über die junge Frau und führte sie in das Land der Träume. Diese hatten nur einen Namen: Darragh

Die pechschwarzen Wellen des Ozeans schlugen ohrenbetäubend an die Küste und höhlten die schroffen Felsen bis auf den Grund ihrer Seele aus. In dem Schloss des Earls von Mocullen warf sich Darragh wälzend auf seinem Lager hin und her. Auch er lag in jener Nacht wach. Die Sehnsucht hinderte ihn an seinem Schlaf. Der junge Mann warf die wärmende Felldecke über sich. Seine Gedanken weilten bei Niamh. Darragh sehnte sich Tag und Nacht nach seiner Geliebten und dieses Verlangen verzehrte ihn. Die Liebe hatte sich seiner bemächtigt. Darragh würde nie von Niamh lassen; sollten seine Eltern einer Trauung nicht zustimmen, würde er auf alle Titel verzichten.

Seine Mutter, Elisabeth, würde erzürnt sein; sie besaß für Darraghs Zukunft andere, sehr ehrgeizige Pläne. Er sollte die unscheinbare Tochter des Earls von Dunglore ehelichen, der Darragh auf allen hohen Festen begegnete. Er verabscheute die unscheinbare, junge Frau, die darüber hinaus ein niederträchtiges und grausames Wesen besaß, das sie aber unter der Larve der Sittsamkeit und angeblichen Schüchternheit zu verbergen wusste. Ihr Herz stand in hellen Flammen, als sie Darragh das erste Mal begegnete. Sie wollte den jungen Adeligen mit aller Inbrunst, derer sie fähig war.

Darrah erhob sich von seinem Lager und schlich unrastig durch das in tiefem Schlaf liegende Schloss, das wie eine riesige, fette Spinne lauernd auf den Klippen von Mocullen hockte. Der junge Adelige empfand das Anwesen seines Onkels als beklemmend. Dunkle Wolken jagten fast jeden Tag über den Himmel, selbst die Sonne schien diesem unwirtlichen Ort nur zu gerne fernzubleiben.

Darragh verharrte an einem der riesigen Fenster und lehnte seine Stirn an das kühle Glas. Seine Lippen flüsterten tonlos einen: „Niamh, Niamh.“ Unruhig schlenderte Darragh wenig später in die Gesindeküche und labte sich an den Resten eines Hirschbratens mit Preißelbeersoße, der von dem üppigen Abendmahl übriggeblieben war. Danach ergriff er einen Weinkelch, füllte ihn mit dem belebenden, französischen Wein und hockte sich vor die noch wärmende Glut des Kaminfeuers. Darraghs Gedanken flogen davon und kehrten zu dem Tag zurück, als er das erste Mal Niamh begegnete.

Noch vor Sonnenaufgang begann für die einfachen Menschen im Dorf der raue Alltag. Die braunen, knochigen Kühe muhten ungeduldig; ihre prallen Euter schmerzten. Die unruhige Nacht bereitete Niamh Kopfschmerzen. Wortkart ging sie ihrer Mutter bei den Küchenarbeiten zur Hand. Leah legte das Brot vom Vortrag auf den Tisch, dazu gab es den süßen Honig der Wildbienen, den die Menschen des Dorfes im vergangenen Sommer reichlich ernten konnten.

Niamh stieg in die kleine Vorratskammer hinab, um frische Ziegenmilch für das Frühstück zu holen. Shane hockte auf seinem harten Stuhl und massierte das rechte Bein. Seine Schmerzen ertrug er klaglos. Kurze Zeit später saß die kleine Familie am Tisch und verzehrten ihr morgendliches Mahl. Der Hunde-Welpe, machte sich ebenfalls über seine morgendliche Milchportion her und rollte sich dann vor dem prasselnden Feuer nieder. Seufzend schlief er ein. Manches Mal zuckten seine winzigen Beine, als sei er der Verfolger der Hasen, die durch seine Träume zu geistern schienen.

Wenig später säuberten Niamh und Leah die benutzten Teller und Tassen. „Caoimhe hat mich gestern gebeten, einige Kräuter für sie aus dem Wald zu holen.“ sagte Niamh, betont nüchtern. „So, hat sie das?“ fragte Leah knurrig und sah ihre Tochter eindringlich an. Niamh nickte. „Dann muss Niamh auch Wort halten.“ meldete sich Shane zu Wort, der gerade zur Tür hinausgehen wollte. „Na los, lauf schon!“ schickte Leah ihre Tochter zur Tür und lächelte nun doch versöhnlicher.

Die junge Frau spürte, dass der Ärger vom Vortag verraucht zu sein schien und trat erleichtert vor die Tür. Der Welpe erwacht und rannte fiepend hinter seiner Herrin her. Niamh lächelte und hob das kleine Wollknäuel auf ihren Arm. „Du hast ja noch keinen Namen, Du Süßer.“ wisperte sie dem kleinen Hund ins Ohr, der begeistert ihr Gesicht abschleckte. „Igitt! Lass das!“ lachte Niamh. Sie tanzte selbstvergessen über den Dorfplatz und stieß mit Connor zusammen, der fasziniert das bildhübsche Wesen betrachtete, das sich in sein Herz geschlichen hatte. „Oh, Connor! Entschuldigung, ich habe Dich nicht gesehen.“ sagte Niamh entschuldigend.

Die junge Frau war wieder von seinem maskulinen Aussehen beeindruckt und wunderte sich einmal mehr, wie sehr sich der Gefährte ihrer Kindheit verändert hatte. Die harte Arbeit und das karge Leben hatten Connor zu einem verantwortungsbewußten jungen Mann heranreifen lassen. Er war 19 Jahre alt, aber auch die Ältesten und Weisesten holten bereits seinen Rat ein, den Connor bedächtig vortrug. Auch Connor betrachtete fasziniert Niamh, die nichts mehr von dem schlaksigen, knochigen Ding mit den störrischen Haaren an sich hatte. Connor schluckte. Ihre Rundungen saßen an den richtigen Stellen und das schöne Gesicht mit den leuchtenden Augen ließ sein Herz schneller schlagen. Die Liebe war über ihn gekommen. Connor schalt sich innerlich. Sobald er Niamh gegenüberstand, benahm er sie wie ein Tor. „Niamh, na, wie benimmt er sich so?“ fragte Connor mit nicht ganz fester Stimme und wies auf das Fellknäuel. „Oh, er ist so niedlich. Ich werde ihn Ryan nennen.“ sagte Niamh mit belegter Stimme und sah Connor voll ins Gesicht. Beide verstummten.

Das Schweigen mutete fast feierlich an. Connor räusperte sich. Niamh lachte nervös auf. „So, ich muß mich beeilen. Caoimhe bat mich darum, Kräuter für sie zu suchen.“ beschied sie Connor hastig. „Ja, ich muss auch weiter.“ murmelte der junge Mann halblaut, verharrte aber wie angewurzelt und sah Niamhs schlanker Gestalt nach.

Caoimhe war vor ihre Hütte getreten und sah zu den beiden jungen Menschen herüber, die sie mit ihrer Frische und Jugend entzückten. Sie passten schon rein optisch hervorragend zusammen, der große, blonde Connor und die zierliche, ätherisch schöne Niamh. Caoimhe lächelte still und ging wieder in die Hütte.

Connor erwachte aus seiner Erstarrung. Warum war er nicht in der Lage, mit Niamh ein vernünftiges Gespräch zu führen, schalt er sich in Gedanken. Sein Gesicht wurde finster und entschlossenen Schrittes ging er zu dem nahen Feld, um dort sein Tagwerk aufzunehmen. Dort würde er sich nicht zum Deppen machen....

Niamh stand vor Caoimhes Hütte und klopfte an. „Komm herein, mein liebes Kind.“ erklang dumpf die Stimme Caoimhes aus dem Inneren des Häuschens. Niamh trat ein und blinzelte in das spärliche Licht. Caoimhe tauchte auf. „Guten Morgen.“ Niamh erwiderte den Gruß. „Hier, nimm diesen Korb, er hat einen Deckel; so kann ich die Kräuter eine ganze Weile aufbewahren und sie verlieren ihre Heilkraft nicht.“ sagte Caoimhe und gab Niamh einen alten Weidenkorb. „Du weißt ja noch, welche Kräuter Du suchen sollst?“ fragte Caoimhe die junge Frau. Niamh nickte. „Bis später.“ sagte sie und verließ die Hütte. Ryan hüpfte vor ihren Füßen herum, sichtlich begeistert an der Seite seiner Herrin zu sein.

Niamh ging den vertrauten Pfad und betrat voller erwartungsvoller Freude den Wald, dessen uralten Baumkronen im Wind leise raschelten. „Komm Ryan, bleibe an meiner Seite.“ befahl die Frau dem jungen Hund, der ihre Worte wohl verstanden hatte, denn er wich nicht von ihrer Seite. Niamh fand in Windeseile die gewünschten Kräuter und bald war der Korb prall gefüllt.

Sie ging weiter in den Wald und erreichte bald das verborgene Liebensnest. In Niahms schlechtes Gewissen mischte sich die Süße des Verbotenen. Als sie an der Hütte war, rollte sich Ryan in das weiche Stroh und schloss seine Augen. Müde von seiner Herumtollerei und all den neuen Eindrücken schlief er in Windeseile ein und schnarchte leise. Niamh sah liebevoll auf ihn hinab und horchte dann weiter in die Stille des Vormittages. Als sie endlich das Geräusch eines sich nähernden Reiters vernahm, schlug ihr Herz schneller. Sie war den Gefühlen ihres Körpers hilflos ausgeliefert. Darragh war an der Hütte angelangt und sprang vom Pferd. „Niamh.“ flüsterte er heiser und zog die Frau an sich. Sie überließ sich den starken Armen des Mannes, der so plötzlich in ihr Leben getreten war. Er war heute ungestümer und drängender als sonst. Hastig entblößte er Niamhs Oberkörper und berauschte sich an ihre samtigen Haut. Seine Küsse zogen heiße Spuren über die festen, kleinen Brüste und Niamh ergab sich dem Sturm, der in ihr tobte. Darragh drängte sie im Hütteninneren an eine Wand. Seine kühnen Hände glitten unter Niamhs Rock und streichelten ihren Leib. „Ich will dich.“ flüsterte Darragh halb erstickt und Niamh versank in den Wogen seiner Raserei. Wie ein Dürstender drang er in den Schoß seiner Geliebten und verharrte dann in seinen Bewegungen. Niamh keuchte. „Sieh mich an.“ befahl Darragh heiser. Sie öffnete ihre Augen, die vor Verlangen verschleiert waren. „Ich muß wieder an den Hof meines Vaters zurück. Meine Mutter ist schwer erkrankt. Du aber wirst nachkommen. Ich werde Dich zu meiner Braut machen.“ wisperte Darragh atemlos. Niamh lachte hell auf.
„Ja, ich will Dich, ich will Dich!“ rief sie und Tränen des Glücks rannen über ihre Wangen. Ryan war erwacht und blickte mit seinen blauen Augen erstaunt auf die Menschen, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatten.

Darragh und Niamh ließen sich auf das Stroh fallen und gaben sich den tobenden Stürmen der Liebe hin. Zeit und Raum verschwanden im Nirvana. Unersättlich labten sie sich an ihrer Lust, die sich Bahn brach, einem Lavastrom gleich. Nach dem Liebesakt schliefen beide ermattet ein.

Niamh schlief nach dem Liebesakt ein. Nach einer kleinen Ewigkeit kam sie zu sich, satt und zufrieden, beschwichtigt die Leidenschaft und das sehnende Verlangen in ihrem Schoß. „Oh, Gott! Ich muss zurück.“ flüsterte sie erschreckt. Darragh war bereits erwacht und das erste, was Niamh sah, waren seine Augen, in denen sie, wie in einem tiefen Brunnen versank und den Boden unter ihren Füßen verlor.

Er beugte sich über Niamh, strich ihre Haare aus dem Gesicht und sah sie ernst an. Die junge Frau räkelte sich unter seinem warmen Leib und küsste seine muskulöse Brust. „Was hast Du dort?“ fragte sie Darragh und hielt in ihrer Liebkosung inne. Auf seiner rechten Schulter prangte ein bräunlicher Leberfleck, der die Form eines winzigen Drachens zu besitzen schien. „Oh, das habe ich seit meiner Geburt.“ antwortete Darragh leichthin und umfasste Niamh so fest, daß sie protestierend aufschrie. Ryan rollte sich wieder neben ihnen zusammen und sah die beiden Menschen mit seinen riesigen Augen an.

„Wann wirst Du zurückkommen?“ fragte Niamh Darragh, Wehmut im Herzen. Ihre Liebe hatte erst begonnen und nun trennten sich bereits ihre Wege. „Bald, sehr bald. Du stellst mich Deinen Eltern vor, wir werden heiraten und dann und dann wird uns nicht einmal der Tod mehr trennen können!“ raunte Darragh Niamh feierlich zu. In Niamhs Brust waren Freude und Schrecken zugleich. Wie würden ihre Eltern die Neuigkeit aufnehmen? Ach, die Furcht überlagerte jetzt das Entzücken in ihr und auch der nahende Abschiedsschmerz. Zu verschieden waren die Welten, konnte man sie jemals vereinen? Darragh sah den Schleier der Traurigkeit, er ahnte, was in seiner zukünftigen Frau vor sich ging. Doch Liebe fragt nicht, sie wagt nur.

Ungern trennten sie sich voneinander. Unendlich langsam, um einen Abschied hinauszuzögern, richteten sie die Kleidung des anderen und küssten sich, schmerz- und sehnsuchtsvoll. „Ich werde auf Dich warten.“ sagte Niamh wild; ein letzter Kuss besiegelte ihren Schwur, doch dann wurde es Zeit. Darragh trat vor die Hütte, richtete den Sattel seines Pferdes und saß auf. Er strahlte Niamh glücklich an und warf ihr einen letzten Kuss zu. „Bald wirst Du für immer mein sein!“ erklang sein glücklicher Schwur durch die Stille des Waldes. Diese Worte verbarg Niamh tief in ihrem Herzen und trat den Rückweg in die andere Richtung an.

Die junge Frau lief durch den dichten Wald und spürte erst kurz vor Erreichen des Dorfes, dass ihr Gesicht nass war. Ärgerlich wischte sie die Tränen ab. Ihre Hand umklammerte den Korb für Caoimhe so fest, dass die Knöchel der Finger weiß hervortraten. Vor nicht einmal einer halben Stunde hatte Darragh sich von ihr verabschiedet, aber ohne seine Nähe fühlte Niamh sich bereits jetzt tot und leer. Niemals mehr konnte sie ohne d
ihn sein sein.

Caoimhe sah Niamh kommen und blickte die junge Frau prüfend an. Ihre Augen waren gerötet. Sie musste geweint haben. Caoimhe sah aber auch das Strahlen, das von Niamh ausging. Die feine, weibliche Intuition sagten Caoimhe, dass das junge Mädchen etwas mit sich herumtrug. Die hohe Frau seufzte leise. Die Liebe brachte auch immer den Abschied mit sich, so würde es immer sein. Niamh sah die vornehme Frau offen an und lächelte verhalten. Stumm überreichte sie Caoimhe die Kräuter und wandte sich ab. „Niamh!“ rief Caoimhe hinter der jungen Frau her. Niamh verharrte abrupt. Die weise Frau lief auf sie zu. „Kind, wenn Du Kummer hast, Du kannst jederzeit zu mir kommen.“ sprach sie beschwörend auf Niamh ein.

Diese sah in die Augen ihres Gegenübers und erkannte, dass Caoimhe etwas zu ahnen schien. Vor dieser Frau konnte man nichts verstecken. Alle Gedanken schienen vor ihr zu liegen, offen und klar. „Er wird mich heiraten.“ sagte Niamh fast trotzig zu Caoimhe, die ihr liebevoll über das seidige, glatte Haar strich. „Ja, das wird er.“ antwortete Caoimhe und ging nachdenklich in ihre Hütte zurück. Niamh fiel ein Stein vom Herzen. Sie konnte Caoimhe fragen, was ihr auf der Seele brannte. Mit ihrer Mutter wollte sie keinesfalls jetzt schon über ihre Liebe zu Darragh reden. Sie wollte es mit Darragh gemeinsam machen.

Der November überzog das Land mit seinen grauen Schleiern und hüllte die Menschen in seine kalten Laken aus Feuchtigkeit. In dem erst beginnenden Winter zeigten sich die Götter bislang barmherzig und brachten noch nicht die große Kälte. Es war kalt, aber die Nächte bargen nur manchmal den tiefen Frost, der alles mit einem weißen Schleier umhüllte, wie aus feinsten Spinnweben gesponnen. Die Flüsse und Seen froren noch nicht zu, so dass die Bewohner von Gaoth Dobhairnfaes Fische fangen konnten, diese räucherten und ihre Nahrungsmittel wertvoll bereicherten. Shane mühte sich seit Tagen damit die Vorratskammer zu erweitern. Leah sorgte für dicke Wollsocken und Niamh machte die Stallungen für das Vieh winterfest.

Der große Ziegenbock, der Niamh Bewegungen misstrauisch beäugte, besaß sein Winterkleid, das bereits lang und dicht war. „Was guckst Du mich so grimmig an? Ich mache Dein Heim fertig und Du bist so garstig!“ schimpfte die junge Frau mit dem Tier, als es sich drohend vor ihr aufbaute und seine langen Hörner in den weichen Frauenkörper stoßen wollte. Niamh schubste den Ziegenbock von sich und lief leichtfüßig aus dem Stall hinaus. Das Tier krachte mit seinen Hörnern gegen das Holz. Niamh lachte laut auf. Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand. Sie spürte die Kälte nicht. In ihr war ein helles Singen und Klingen und jeden neuen Tag begrüßte sie freudig. Niamhs Herz kannte nur die eine Melodie: Darragh. Ihre Sehnsucht wurde fast übermächtig und da Geduld nicht die stärkste Tugend für die heranwachsende Frau war, bedeute das Warten eine Tortur. Bald würde es ein Ende haben.
8. Teil
Connor half Shane bei der Vergrößerung der Speisekammer. Der junge Mann hielt sich nur zu gern in Niamhs Nähe auf und ihren Eltern entging nicht, daß Connors Herz Feuer gefangen zu haben schien. Doch Niamh gab sich arglos. Leah fragte ihre Tochter scheinheilig: „Connor ist eine große Hilfe, nicht wahr? Die Frau, die er einmal ehelicht, wird es gut bei ihm haben.“ Niamh antwortete einsilbig: „Ja, das glaube ich auch.“ Leah schnaubte erbost durch die Nase. Wollte ihre Tochter sie für dumm verkaufen oder war sie wirklich so naiv, das zarte Werben des jungen Mannes nicht zu sehen?

Niamhs Mutter widmete sich wieder dem Stricken und Stopfen vieler Strümpfe und Pullover. In ihrem Gehirn überschlugen sich die Gedanken. Shane und Connor traten in die Hütte. „Connor, komm her, lass uns etwas trinken. Du arbeitest ja für zwei.“ sagte er bewundernd zu dem blonden Hünen, der Niamhs Gegenwart bemerkte und etwas linkisch wirkte. „Ich helfe Euch doch gern.“ wehrte der junge Mann bescheiden ab. Niamh schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und Connor schwebte auf rosa-roten Wolken. Dankbar ergriff er den Becher mit dem klaren Quellwasser, das unweit des Dorfes aus einem Felsen sprudelte . Man plauderte Belangloses, erzählte sich den neuesten Dorftratsch, dann musste Connor sich zu seiner Hütte begeben, denn sein Vieh verlangte nach Aufmerksamkeit. „Ja, dann, bis morgen.“ verabschiedete der junge Mann sich. „Danke für Deine Hilfe.“ sagte Niamh dankbar. Connor brummte etwas und sah zu, dass er Land gewann. „Verdammt, warum benehme ich mich ihr gegenüber wie ein Tolpatsch!“ brummte er wütend vor sich hin und stapfte auf seine Hütte zu. Zornig über seine Unfähigkeit gewandt Konversation betreiben zu können, schmetterte er die windschiefe Tür zu. Sein Vater war vor vielen Jahren gestorben; seine Mutter folgte ihrem Mann nur kurze Zeit später. Connor besaß keine Geschwister. Er war das einzige Kind. Die Stille, die ihn umgab, erinnerte Connor schmerzlich an die Tatsache, dass er alleine war und Niamh wohl nie das Weib an seiner Seite werden würde. Der junge Mann versorgte immer noch wütend seine Hühner und das riesige Mastschwein. Dann stellte er sich vor seine Hütte und steckte sich eine Pfeife an. Leah lugte aus dem winzigen Fenster ihrer Behausung und erspähte Connor, der, an eine Wand gelehnt, zu ihnen hinüber sah.

Leah beschloss Niamh nunmehr etwas direkter auf Connors Zuneigung hinzuweisen. Sie ging in den Wohnraum zurück und setzte sich ächzend auf einen der altersschwachen Holzstühle. Shane stattete dem Nachbarn einen Besuch ab. „Mutter, fehlt Dir etwas?“ fragte Niamh besorgt und blickte von ihrer Stickarbeit auf. „Ach, nichts! Ich spüre nur die Feuchtigkeit in meinen alten Knochen! Der Schnee ist nicht mehr fern." wiegelte Leah hastig ab. „Niamh.“ begann sie dann. Ihre Tochter merkte die Ernsthaftigkeit in der Stimme ihrer Mutter und war beunruhigt. „Ja, Mutter?“ fragte sie und erhob sich von ihrem Stuhl. „Komm, setz Dich an meine Seite.“ bat Leah und klopfte auf den Stuhl neben sich. Gehorsam setzte Niamh sich und sah ihre Mutter erwartungsvoll an. „Findest Du nicht, dass es langsam an der Zeit ist, dass Du Dir einen Gefährten suchst?“ fragte Leah vorsichtig. Aus Niamhs zarten Gesicht wich die Farbe. „Aber, Mutter. Ich bin doch noch so jung.“ erwiderte sie schüchtern. „Nun, mein liebes Kind. Dein Vater und ich werden nicht immer bei Dir sein.“ sagte Leah milde. Niamh erschrak. Ihre Mutter sprach wie eine alte, kranke Frau. „Fehlt Dir etwas, Mutter?“ fragte Niamh nochmals bangen Herzens. Leah strich liebevoll über das lange, schöne Haare ihre Tochter, die sie so spät empfangen hatte. „Niamh, hast Du nicht bemerkt, wie sehr Connor Dich liebgewonnen hat?“ fragte sie ihre Tochter sanf. Niamh senkte den Blick. „Ja, doch, schon.“ antwortete sie vage. Ihr Herz schlug heftig. Das schlechte Gewissen regte sich wieder in ihrer Brust. "Vater und ich würden eine Ehe zwischen Euch sehr begrüßen." tastete Leah sich weiter behutsam heran. „Aber, Mutter. Connor und ich kennen uns schon unser ganzes Leben. Bislang habe ich in ihm nur einen guten Freund gesehen.“ stotterte Niamh. „Ich weiß, Du sollst ja nichts überstürzen, mein Kind; lass Dir Zeit, aber denke an unser Gespräch.“ bat Leah ihre Tochter und küsste sie zart auf die Stirn. Shane trat in die Hütte. Niamh erhob sich hastig und war für die Unterbrechung durch das Auftauchen ihres Vaters mehr als dankbar.

Der Abend senkte sich über das Dorf. Die Schatten wurden länger; viele Tiere verschanzten sich in ihren Bauten; das Dorf Gaoth Dobhairnfaes verschwand in einer dicken Nebelwand. Stille senkte sich wie ein Leichentuch herab. Shane, Leah und Niamh saßen beim Abendmahl. Bedächtig aßen sie die Gaben, die Gott und harte Arbeit ihnen schenkten. Shane durchzog eine stille Zufriedenheit. Er liebte diese Abende, wenn draußen die Kälte regierte und das Feuer in seiner Hütte behagliche Wärme verbreitete. Nach dem Essen widmeten sich die Frauen wieder ihren Handarbeiten, während Shane, ermüdet von der schweren Arbeit, vor dem Feuer einnickte und leise schnarchte. Ryan lag auf einem alten, zerfetzten Pullover, der sein ganzer Besitz war und blickte wachsam auf die Menschen, die er tief in sein Herz geschlossen hatte. Ab und zu seufzte er zufrieden. Als das Licht nicht mehr ausreichte, legten Niamh und Leah ihre Arbeiten an die Seite und plauderten im Schein der Kerzen über die Ereignisse des Tages. Das Thema Connor wurde von beiden Frauen sorgfältig umgangen.

Am ersten Tag des Winters wachte Niamh morgens voller Vorfreude auf. Barfuß lief sie zu dem winzigen Fenster und sah die Sonne blutrot am östlichen Himmel aufgehen. Leah erschien hinter ihrer Tochter. „Was ist in Dich gefahren? Kleide Dich vollständig! Soll Dein Vater Dich so sehen?“ wies sie ihre Tochter scharf zurecht. In dem Morgenlicht wirkte Niamhs Nachtgewand fast durchsichtig und Leah sah mit Erstaunen, wie sehr ihre Tochter bereits zur Frau herangereift war. In dem diffusen Licht besaß Niamh eine geradezu ätherische Aura, die Leah, ansonsten bodenständig und diesseitig, fast ehrfurchtsvoll werden ließ. Niamh hüpfte hinter den Vorhang. Ihre Mutter reichte ihr einen Holzeimer mit erwärmten Wasser. Niamh reinigte sich besonders gründlich. Das lange Haare hatte sie erst gestern gewaschen, mitten in der Woche, was Leah wieder misstrauisch machte. Als Niamh hinter dem Vorhang hervorkam, hatte sie ihre Haare zu einem langen Pferdeschwanz geflochten, der einer üppigen, goldenen Ähre glich. Ihr einfaches Kleid floss anmutig an dem schmalen Körper der jungen Frau hinab.

Leah blinzelte. Ihr Kind war nun erwachsen! War sie eigentlich mit Blindheit geschlagen gewesen? „Was ist, Mutter?“ fragte Niamh irritiert und sah Leah erstaunt an. „Nichts, nichts.“ wiegelte Leah ab und schalt sich im Stillen für ihre törichten Gedankengänge. Eifrig deckten die Frauen den Frühstückstisch, als Shane schlurfend aus der Schlafkammer kam und mundfaul einen Morgengruß von sich gab. Leah lächelte. Der gute Shane! Ihn kannte sie in- und auswendig, aber ihre Tochter war ihr ein Rätsel. Leah beschloss, nochmals Shanes Rat einzuholen. Aufgrund der morgendlichen Kälte gab es heiße Ziegenmilch, die Leah mit einem guten Löffel Honig anreicherte. Das Getränk erwärmte die frostigen Glieder und Niamhs Freude stieg stündlich. „Niamh, gehe heute die Fallen im Wald ab; Du weißt ja, wo sie sind. Ich muss Connor helfen. Sein Schwein ist gestern ausgebüxt und hat das Gatter zerstört.“ sagte Shane nüchtern zu seiner Tochter und ahnte nicht im Geringsten, wie glücklich er Niamh mit seiner Anweisung machte. Nur Leah entging das freudige Aufflackern in den Augen ihrer Tochter nicht. Seit wann freute Niamh sich an einem kalten Morgen in den dunklen Wald zu gehen? Wenn ihr diese Arbeit früher aufgetragen wurde, erwiderte ihre Tochter stets, dass es die toten Tiere in der Falle nicht gerne anfassen würde. Niamh sah ihre Mutter an und ihre Blicke kreuzten sich. Die junge Frau befürchtete, dass ihre Mutter bis auf den Grund ihrer Seele sehen konnte. Niamh lächelte unsicher; Leah beäugte ihre Tochter scharf. Eine Alarmsirene schrillte in ihrem Kopf und ihre Mutterinstinkte ließen sie nur selten im Stich. Niamh beendete hastig das morgendliche Mahl, sprang von ihrem Stuhl und ergriff ihren dicken Wollumhang. Dann eilte sie zur Tür. „Ich mache mich dann auf den Weg.“ sagte sie noch überflüssigerweise, pfiff leise nach Ryan, der schwanzwedelnd und freudig jaulend auf Niamh zusprang. Die junge Frau verließ fast fluchtartig die Hütte.

„Niamh!“ rief Leah ihrer Tochter scharf nach, bekam aber keine Antwort. „Frau, was ist denn?“ brummte Shane unwirsch. „Ja, doch, Du knurriger Mann! Irgendwie benimmt sich Niamh seltsam. Ist Dir das noch nicht aufgefallen?“ fragte Leah ihren Mann dann listig, schlürfte in langsamen Schlucken die lauwarme Honigmilch und sah ihren Mann scharf an. Shane betrachtete seine Frau eindringlich. Was ging hinter dieser hohen Stirn wieder vor? „Was soll mir schon aufgefallen sein? Flügge wird sie; der Vogel streckt sich, das Nest wird ihm wahrscheinlich zu eng werden.“ erwiderte Shane lahm. Leah entrann ein verächtlicher Zischlaut und sie streifte mit geringschätzigem Blick ihren Mann. Resigniert seufte sie auf, erhob sich ächzend und ging zu dem Fenster. Ein klarer Wintertag brach an, doch auch die Strahlen der Sonne konnten den Vormarsch der Kälte nicht bannen.

Niamh hastete erwartungsvoll durch den Wald. Ryan trug sie, da der winzige Welpe der ungeduldigen Niamh zu langsam war. Die langen, roten Haare der Frau schienen Funken im Licht des Tages zu schlagen, in dem blassen Gesicht glühte der schöne, rote Mund und die Augen funkelten mit dem Schein der Sonne um die Wette. Die beißende Kälte konnte der jungen Frau nichts anhaben. Sie sang mit ihrer glockenhellen, reinen Stimme ein wehmütiges Liebeslied und schwebte wie auf Wolken. Ein Eichelhäher, aufgeschreckt von der menschlichen Stimme, flog zeternd von einer riesigen Ulme, deren kahle Äste sich in den fahlblauen Himmel bohrten. Ein großer Fuchs verbarg sich hinter einem Busch und blickte vorsichtig auf die morgendliche Wanderin. Ryan kuschelte sich an Niamhs Brust und ließ sich nur zu gerne durch die Kälte tragen.

Niamh rannte atemlos über die Lichtung an den drei Eichen. Die winzige Hütte schien noch windschiefer und baufälliger geworden zu sein, doch für die junge Frau barg dieser Ort all ihre Sehnsüchte und Träume. Niamh hastete in den Schuppen. Enttäuscht trat sie wieder in das Licht und sah sich um. Doch nirgendwo erschien Darragh; kein Schnaufen eines Pferdes drang an das Ohr der wartenden Fraur; kein Hufschlag störte die Stille des Tages. Die Lichtung lag in völliger Einsamkeit und die drei Eichen wirkten ohne ihr Blätterwerk wie stumme Wächter im Angesicht des Kommenden. Unruhig spähte Niamh in den Wald. Nichts, keine Menschenseele, kein Darragh. Ryan jaulte. Seine Nase nahm all diese wunderbaren Gerüche wahr und die Neugier auf diese herrliche Welt regte sich in dem Welpen. Vorsichtig ließ Niamh das Fellbündel zu Boden gleiten. Ryan nutzte seine gewonnene Freiheit und stürmte übermütig durch das taunasse Gras. Dabei ließ er seine Herrin jedoch nicht aus den Augen und blieb immer in Sichtweite. Niamh sah Ryan bei seiner Entdeckungstourr zu und zog den Wollumhang enger um ihre schmalen Schulter. Ungeduld und Ärger stiegen in der jungen Frau auf. Ihr Herz pochte stürmisch und verlangend, doch der, nach dem sie sich so sehr sehnte, erschien nicht. Niamh pfiff leise nach Ryan, der gehorsam und schwanzwedelnd auf die junge, schöne Frau zutrabte. „Braver Hund.“ lobte Niamh den Welpen, der erwartungsvoll und ergeben in das schöne Antlitz sah.

Die Zeit verging. Die Sonne wanderte, doch Darragh blieb wie vom Erdboden verschluckt. Niamh sorgte sich. Was war ihm widerfahren? Siedenheiß überkam es die junge Frau. Hatte Darragh nur ein flüchtiges Abenteuer gesucht und mit ihr nur gespielt? Die Gedanken in Niamhs Kopf überschlugen sich. Kälte kroch durch die dünnen Sohlen ihrer Lederschule. Niamh fror und sehnte sich nach dem warmen Körper ihres Geliebten. Sie ließ ihren Blick immer wieder erwartungsvoll zum nahen Waldrand schweifen. Da! Was war das? Ein schemenhafter Reiter trabte langsam über den weichen, mit Tannennadeln und Farnen bedeckten Waldboden. Das Schnauben eines Pferdes drang an Niamhs Ohr. Freude wallte in ihr auf. „Ryan, da kommt er.“ wisperte sie dem kleinen Hund zu. Niamhs Freude wandelte sich in Erschrecken. Der Reiter, der auf die junge Frau zuhielt, war nicht Darragh. Vielmehr sah Niamh in das Gesicht eines alten Mannes, das so knorrig war, wie das von den Elementen geprägte Wurzelwerk der Bäume. Ein wasserblaues Augenpaar kreuzte sich mit Niamhs Blick. Das braune Pferd hielt vor der jungen Frau und schnaubte leise. Der unbekannte Reiter glitt aus dem Sattel und ging langsamen Schrittes auf Niamh zu. Sie schien wie erstarrt.

Der Fremde, der von großer Gestalt war, sah nicht wie ein Weggelagerer aus. Seine Augen blickten warm und gütig. „Wer seid Ihr?“ drang es über Niamhs blasse Lippen. „Habt keine Angst. Ich werde Euch kein Leid zufügen.“ erklang die tiefe Stimme des Fremden. Seine Augen schauten gebannt in das Gesicht der schönen Frau. Angst keimte in Niamh auf. „Wer seid Ihr?“ fragte sie nochmals mit zitternder, fast tonloser Stimme. „Mein Name ist Aaron. Mein Herr hat mir befohlen, Euch an diesem Ort zu treffen.“ erklang die angenehme Stimme des großen Mannes. „Wo ist Darragh?“ wisperte Niamh furchtsam. Der Unbekannte trat auf die junge Frau zu und ergriff sanft ihre rechte Hand. Ryan schreckte vor dem Fremden zurück und kläffte. Der Hüne rang sichtlich nach Worten. „Mein Fräulein, ich habe eine schlechte Nachricht für Euch.“ sagte der Fremde mit dumpfer Stimme und blickte gen Boden. Rote Nebel wallten vor Niamhs Augen auf und Angst bemächtigte sich ihrer. Todesahnung überkam sie und raubte ihr die Luft zum Atmen. „Nein, nein.“ schrie die junge Frau gequält auf.

Langsam glitt Niamh auf den kalten Boden und starrte blicklos vor sich hin. Der Unbekannte beugte sich zu ihr hinab und schloss sie in seine Arme. Heiße Tränen liefen über ihr Gesicht. Der Fremde legte seine großen Hände zart um das bleiche Antlitz. Seine blauen, gütigen Augen blickten schmerzvoll. Niamhs gellende Schreie stahlen dem jungen Tag seine Unschuld. Irr sah sie Aaron ins Gesicht, dann erhob sie sich, lief einige stolpernde Schritte und rannte dann über die nasse Wiese auf die Hütte zu. Laut stieß sie immer wieder einen Namen aus: „Darragh! Darragh!“ Aaron erhob sich rasch und lief der verzweifelten Frau nach. Die Stimme Niamhs wirkte in dieser Stunde der Pein fast unmenschlich und endete in einem schrillen Kreischen. Ryan lief laut kläffend neben Niamh her und hielt das seltsame Gebaren seiner Herrin für ein lustiges, neues Spiel. Der Fremde erreichte Niamh und riss sie am Arm. Laut schluchzend ließ sie wieder auf den kalten Boden gleiten. Aaron beugte sich hinab und umarmte Niamh erneut. Beruhigend wiegte er sie und sprach auf sie ein. Nach einer Weile ebbte Niamhs Weinen ab. Apathisch löste sie sich aus der Umarmung des Fremden und blickte mit toten Augen auf den Mann. „Wie ist er gestorben?“ wisperte sie fassungslos. Eine letzte Träne rann in kristallener Klarheit über das schöne Gesicht. „Mein Herr ist durch ein Unglücksfall ums Leben gekommen. Er ritt ein neues Pferd, das sein Vater ihm schenkte. Der Araberhengst schien kaum zu bändigen; der Stallmeister riet meinem Herrn von einem Ritt ab, doch er lachte nur. Er ergriff die Zügel des Rappen und schwang sich in den Sattel. Der Hengst schien noch erregt von seiner langen Reise. Wir flehten unseren Herrn an, er solle Vorsicht walten lassen, doch er lachte wiederum nur.“ schilderte der Aaron leise. Seine samtige Stimme beschwichtigte die Aufruhr in Niamhs Innerem etwas. Erschöpft glitt sie an Aarons breite Brust. Sie wähnte sich in einem Albtraum. „Das Pferd ging mit meinem Herren durch. Er konnte sich wenige Meter im Sattel halten, dann schraubte sich das mächtige Pferd in die Höhe und warf seinen Reiter ab. Mein Herr erlitt bei seinem Sturz einer schwere Kopfwunde. Wir trugen ihn in das Schloss. Alle Bemühungen schienen zunächst erfolgreich. Die Blutung konnte gestoppt werden. Wir atmeten auf. Der Earl ließ den Rappen töten. Er gab sich die Schuld. Stunde um Stunde wachte er am Bett seines Sohnes. In der Nacht spürte die alte Frau, die meinen Herrn mit ihren Wundermitteln gerrettet zu haben schien, dass hohes Fieber auftrat. Ich ging der weisen Frau zur Hand. Mein Herr redete wirr und erwähnte immer diese Hütte und Euren Namen.“ berichtete der Fremde weiter, sanft über Niamhs Kopf streichelnd.

Ryan setzte sich vor Niamh hin, sah sie erwartungsvoll an und gähnte dann gelangweilt. „Am nächsten Morgen, als der Mond noch in sein Schlafgemach sah, blickte mein Herr mich mit klaren Augen an. Er berichtete mir von Euch und schien völlig bei Sinnen zu sein. Mein Herr bat mich, Euch hier zu treffen.“ Die Stimme Aarons stockte. Niamh lauschte gebannt. Der Schock machte sich in ihrem Inneren breit und jegliche Wärme und Liebe starben in diesem neuen Gefühl, das mächtiger als die Liebe war. Die junge Frau wollte sich die Ohren zuhalten, weglaufen, aber es gab kein Entrinnen. „Nachdem er mich mit Eurer Benachrichtigung beauftragt hat, reichte er mir dies.“ schilderte Aaron weiter und nestelte etwas unter seinem Umhang hervor. Langsam öffnete er seine schwielige Hand. Niamh blickte ungläubig auf den winzigen, goldenen Drachen. “Gib dies meiner Geliebten. Sag ihr, dass ich auf sie warten werde in einer anderen Welt.“ schloss Aaron bewegt seinen Bericht.

Niamh starrte immer noch auf das kostbare Kleinod und nahm ihn ehrfurchtsvoll aus der Hand des Dieners. Das Gold schien Wärme auszustrahlen und ein pulsierendes Eigenleben zu führen. Niamh glaubte, Darraghs raunende, warme Stimme zu vernehmen. „Lebe wohl, Niamh! Du wirst immer in meinem Herzen sein.“ Der kalte Wind verlor für einen Moment seine Schärfe und Niamh ergriff ein Gefühl des Trostes. Nach wenigen Minuten richtete sie sich, gelähmt vor Trauer, wieder auf. Ihr fahles Gesicht wirkte in seinem tiefen Schmerz maskenhaft und der Blick der schönen Augen vor Kummer verschleiert. Fest umklammerten die langen, weißen Finger den letzten Gruß ihres Geliebten, das Einzige, was ihr von Darragh geblieben war. Müde sah Niamh in Aaron an, der von dem Liebreiz der jungen Frau gebannt war. „Kann ich Euer Leid lindern?“ fragte Aaron besorgt, den Niamhs Ruhe mehr ängstigte als die vorangegangenen Wehklagen der jungen Frau. Langsam und unsicheren Schrittes ging Niamh auf den Wald zu, Ryan folgte ihr getreulich. Traurig sah Aaron der schmalen Gestalt nach, die nach wenigen Augenblicken seinem Blickfeld entschwunden war. Unschlüssig stand der große Mann mit den gütigen Augen unter den drei Eichen. Aaron spürte Niamhs Schmerz fast körperlich als sei es sein eigener. Auch ihn hatte der Tod des jungen Adeligen tief getroffen. Aaron verharrte noch eine Weile in der Stille des Tages, ging zu seinem Ross zurück und verließ kurz darauf die Lichtung.
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