Ursprünglich wurden unter psychischen Traumata ....
Unter "Trauma" wird sowohl ein Ereignis als auch dessen (!) psychische Folge auf einen Menschen verstanden, in jedem Falle bezieht sich der Begriff auf ein starkes, zeitlich eng begrenztes Ereignis.
Beispiele: EINE Vergewaltigung. Opfer eines Raubüberfalles oder schweren tätlichen Angriffes (angeschossen etwa) werden. Tod eines geliebten Menschen. (Plötzlicher Unfall-) Tod eines Menschen in unmittelbarer Nähe (Überfahren eines suizidalen Menschen als Fahrer einer S-Bahn).
Vespertine dagegen bezeichnet die negativen Folgen der dauerhaften Erfahrung der "Grenzenlosigkeit" einer antiautoritären Erziehung als "Trauma".
Formal ist diese Bezeichnung nicht richtig, wegen der Nicht-Übereinstimmung mit obiger Definition.
Wohl deswegen hat Vespertine den Begriff in Gänsefüsschen gesetzt.
Einen prägnanten, single-word Begriff für das, was sie meint (s. erster Satz hier), wüsste ich allerdings auch nicht, ich kann es nur beschreiben (wenn wer einen fachlichen Begriff dafür hat -> her damit! Das Fehlen ebendessen fällt dann unter die Rubrik "Unbekanntheit und Unterdrückung der Folgen emotionalen kindlichen Missbrauches und dessen psychischer Folgen durch sprachliche Ignoranz").
Mal ein Beispiel:
Der Mensch als ein Haus.
In der Kindheit wird das Fundament gelegt, im Optimalfall wird eine ordentliche Baugrube ausgehoben, eine stabile Fundamentplatte aus Beton gegossen, dauerhaft gegen harte Fröste und eindringendes Wasser. Das "Ich", die grundlegende Selbstsicherheit eines Menschen.
Darauf wird ein Keller gebaut, isoliert und ebenfalls gegen Unbillen der Umgebung geschützt und isoliert. Selbstwert, Selbstverständnis. Darauf dann kommt das eigentliche Haus, hübsch eingerichtet, mit Plätzen für sich, Familie, Freunde, Arbeit, Spass.
Ein "Trauma" als Schadereignis nun ist eine Explosion, ein Brand, ein zerstörerischer Einbruch. Er kann nach einer Putzaktion und Ersatz der Kosten durch die Versicherung bald wieder behoben sein oder er kann dauerhafte Narben, Lücken und Schäden hinterlassen, manchmal muss ein grosser Teil des Hauses saniert und neu aufgebaut werden.
Das, was Vespertine anspricht, ist ein "Fehler im Fundament". Die Bodenplatte ist Pfusch, zu dünn, bröselig, nässt durch, sandet, bricht und bröckelt vor sich hin.
Das tollste Haus obendran wird immer wieder Risse bekommen, Wände absacken, Feuchtigkeit die Mauern durchziehen, Kacheln von der Wand fallen. Egal, wie oben geflickt und neu gestrichen wird - die Basis ist untauglich, das Haus ist eine Dauerbaustelle. Eine wirkliche Sanierung ist nahezu bis tatsächlich unmöglich.
Ein solches Bröselfundament ändert nichts daran, dass ein Blitzeinschlag im Dachstuhl ein verheerendes Ereignis ist.
Wer ein Haus mit Bröselfundament hat, der weiss, dass sein Dachstuhl von "alleine" schepp und krumm werden wird. Er lebt einfach damit.