Hi @ll !
So einen "magischen Moment" gab es schon mal in meinem Leben - noch Jahre vor dem coming out meiner Trans-Identität. Ich lebe seit ca. 25 Jahren bisexuell-promiskuitiv, da gab's also schon mehrere coming-outs zuvor. OK - wirklich vergleichbar ist das nicht, aber auch coming-outs von Bisexualität, Promiskuität, NS usw. sind Ereignisse, die in hohem Maße die "sexuelle Identität" im weiteren Wortsinne betreffen und auch die soziale Position. Heutezutage ist Homo- und Bisexualität ja nur noch sehr gering diskriminiert - zur Zeit meines Bi-c.o. habe ich mir dagegen ernste Sorgen um meine berufliche Zukunft machen müssen ... naja ... Jedenfalls: nach einer solchen Karriere "tut's halt nicht mehr ganz so weh", glaube ich ...
Und dieses promiskuitive Leben hat u.a. dann auch zu meiner ersten Begegnung mit "der Frau in mir" oder genauer gesagt: dem weiblichen Anteil meiner Persönlichkeit geführt - denn eine Transfrau bin ich ja gerade nicht, will keine Frau sein ...
Diese Begegnung fand anlässlich eines "Vierers" mit drei Frauen statt. Das war damals ein Ereignis, daß meinem männlichen Macho-Ego natürlich enorm geschmeichelt hatte und als es losging, war ich auch voll auf dem Macho-Trip wie im mainstream-Porno und stellte mir vor, wie diese drei Mädels meinen Schwanz anbeten und sich nacheinander von mir durchbumsen lassen würden "har-har" ...
Pustekuchen ! Ich hatt' meinen slip noch nicht richtig aus, da hat ich auch schon die ersten Finger im Arsch - ok, das ist jetzt eine Vergröberung, ganz so war's nicht, aber so kommt's mir heute noch vor. Eine von den Frauen sagte mir das dann auch explizit: "Das läuft jetzt nicht so, wie Du willst, sondern so, wie wir es wollen!" Na gut - ich bin kein Spielverderber und überhaupt, die drei hatten ja die 3/4-Mehrheit und Demokratie und so ... hab ich mich also drauf eingelassen, so wie sie es wollten. Es war dann, aus der Rückschau, ein "lesbischer Vierer" geworden, bei dem ich "total vergessen" hatte, daß ich ein Mann bin und das war alles wunderschön gewesen. Gefickt wurde garnicht, aber das macht mir recht wenig aus - heute habe ich auf Ficken weder aktiv noch passiv irgendwelche größere Lust. Und dann passierte irgendwann noch so etwas. Ich bin aufgestanden, um die Weinflasche zu holen und da sagte dieselbe Frau von vorhin: "Guckt mal: er geht wie ne Frau!" Und - boing! - kam ein Peitschenhieb aus dem Unbewußten auf mich niedergesaust und dieser "magische Moment" war vorbei gewesen.
Damals habe ich das nicht als coming-out interpretiert sondern als ein "Herauskommen" meiner "anima". Nach dem Archetypenmodell von C.G. Jung (ein schweizerischer Psychoanalytiker, Schüler, zeitweiliger Freund und Weggefährte Sigmund Freuds, der sich später von ihm getrennt hatte und sein "eigenes Ding" aufgezogen hat) hat jeder Mensch in seinem Unbewußten die "Archetypen", von denen die wichtigste - beim Mann - eben die "anima" ist. Bei der Frau heißt dieser Archetyp "animus". Es ist die dem biologischen Geschlecht entgegengesetzte Person, wie sie sich entwickelt hätte, wenn wir mit dem entgegensetzten biologischen Geschlecht geboren und aufgewachsen wären. Das ist u.a. Jungs Erklärung für die weiblichen Anteile in jedem Mann und die männlichen Anteile in jeder Frau. Damit kann Jung auch verhältnismässig leicht das Phänomen der Transsexualität schlechthin erklären: dann wird die "anima" oder der "animus" so mächtig, daß er mit der "persona", wie er die äussere Maske der "Persönlichkeit" nennt, die Plätze tauscht.
Wer mit einer latenten transsexuellen Identität lebt, lebt bis zu seinem coming-out mit einem "falschen Selbst", das aber u.U. recht robust und sehr leistungsfähig sein kann, vielleicht in einigen Fällen das ganze Leben über "durchhalten" kann. In den meisten Fällen jedoch ist das "falsche Selbst" bröckelig-brüchig und in "entsprechenden" Situationen wird das "echte Selbst" von diesen Situationen "angesprochen" und so stark, daß es sich gegen die Maske des "falschen Selbst" zeitweise durchzusetzen vermag. Vielleicht gehen solche "magischen Momente" in einigen Fällen dem "eigentlichen" coming-out voraus ?
Was ich aber aus diesem Erlebnis mitgenommen habe bis heute: Keiner von uns ist "ganz Frau" oder "ganz Mann" - auch die stocknormalsten Heten nicht und auch die Transsexuellen nicht, die auch nach TSG ihren Personenstand gewechselt haben - jeder von uns hat unterschiedlich gewichtete und ausgeprägte Anteile von "Mann" und "Frau" - und, wie ich ja meine: auch Anteile jenes "dritten Geschlechts" jenseits von Mann und Frau - in sich und muß irgendwie und irgendwann seinen Frieden mit ihnen schließen.
LG
Niki