fesselnd: Ausgeschlossen war in den letzten Jahrzehnten, dass ein Kind mit Gymnasialreife in Förderschulen "landete".
Einspruch Euer Ehren - ich habe mehrere Fälle persönlich erlebt und begleitet. In Baden-Württemberg.
servissement: Wie definiert man einen längeren Zeitraum. Monate, Stunden?
Für die Diagnostik von AD/HS ist es ((unter anderem) von Belang, wie lange bestimmte Phänomene/Verhaltensweisen bereits bestehen. Deshalb werden in diesem Fall auch Fragen nach der Kindheit eines Klienten/einer Klientin gestellt, bzw. Aussagen in Grundschulzeugnissen oder dem Kiga, soweit vorhanden, es werden die Aussagen von Eltern und teilweise auch Geschwistern einbezogen z.B. bei Fragen, die man selbst nicht beantworten kann, etwa ob man als Säugling ein sogenanntes "Schreikind" war - dies nur als ein(!) Beispiel sehen, es gibt noch viele andere Fragen, und im Falle von AD/HS ist es auch wichtig, verschiedenen BeobachterInnen zu befragen, soweit möglich, also ErzieherInnen, LehrerInnen etc. In einem günstigen Fall erhält z.B. die Erzieherin/ der Klassenlehrer einen Bogen, in dem festgehalten werden soll, wie oft im Verlauf einer Unterrichtsstunde ein Kind aufstehen muss, jemanden anderen unterbricht, andere stört, indem es gezielt Dinge tut (Federmäppchen wegnehmen/ausleeren, den anderen knuffen, die Aufmerksamkeit des Lehrers bewußt auf sich ziehen ohne Rücksicht auf andere, die vielleicht gerade dabei sind, auf eine gestellte Frage zu antworten etc.).
Das trägt dazu dazu bei, das subjektive Empfinden z.B. eines Erziehers /Lehrers ("oh, nicht schon wieder d e r / d i e!) zu substantiieren und mit konkreter Beobachtung von Verhalten ohne persönliche Einfärbungen zu unterlegen. Im gewählten Fall geht es um die Beobachtung mangelnder Impulskontrolle, wenn ein Mensch z.B. nicht warten kann, einen Gedanken zu äußern oder einem Impuls (z.B. aufzustehen in einer Umgebung bzw. Situation, wo dies nicht üblich/angebracht/erlaubt/regelkonform ist) unmittelbar nachzugeben - oder eben auch jemandem, der einen subjektiv empfunden beleidigt oder angegriffen hat (verbal), sofort mit körperlicher Gewalt entgegenzutreten, anstatt den Affekt zu kontrollieren.
Bitte, das sind alles nur Beispiele für Anlässe zu Verhaltensbeobachtung und Auswertung anhand von schriftlichen Protokollen nach normierten und validierten Kriterien - also bitte jetzt hier nicht an Einzelaspekten rumkritteln. Gerade bei der Diagnose eines "Syndroms" ergibt erst das gesamte Puzzle ein Bild, und je mehr Puzzleteile vorhanden sind, mit desto höherer Treffsicherheit kann man daraus Schlüsse ableiten, die in einem in Frage stehenden Fall von Bedeutung sein können.
Nicht mehr und nicht weniger.
asservissement: Also meine 1. Asperger-Diagnostik hat im Grund 2 Tage gedauert.
Einen Tag Besprechung, ein Tag Diagnostik mit Testbatterien aller Art.
Da bekam ich keine Diagnostik.
Diese Passage, bzw. den letzten Satz, verstehe ich jetzt nicht ganz:
Ein Tag Besprechung (ich vermute jetzt mal, dies bestand aus einem teils freien, teils halbstrukturierten Gespräch in mehreren Abschnitten und zu unterschiedlichen Fragen Deiner Befindlichkeit und Erlebnisse, ggf. Deiner subjektiv empfundenen oder von anderen festgestellten Beeinträchtigungen oder bestimmten Reaktionsmustern, wobei sich Deine Gesprächspartner schriftliche Notizen gemacht haben,), ein Tag Diagnostik mit Testbatterien aller Art - beide genannten Bestandteile gemeinsam bilden die in diesem Fall angezeigte Diagnostik!
asservissement: Meine 2. Diagnostik hat 1,5 Stunden gedauert und war bei einer Kinderpsychiaterin, obwohl ich schon erwachsen war.
Da bekam ich auch die Diagnose.
Die Tatsache, dass die Diagnose von einer Kinderpsychiaterin gestellt wurde, spricht nicht gegen ihre Qualität. Es ist ganz einfach so, dass sowohl Asperger als auch AD/HS lange Zeit als ausschließlich Kinder- und Jugendliche betreffende Beeinträchtigung angesehen wurden, die sich mit den Jahren und einer gewissen Nachreifung des Gehirns "auswachsen" und verschwinden würden. Dies ist inzwischen widerlegt, man ist in beiden Fällen lebenslang betroffen.
Allerdings habe viele Erwachsenen sich im Laufe ihres Lebens eben Strategien zugelegt, mit ihrer jeweiligen Beeinträchtigung zu leben, und tun dies mal mehr mal weniger erfolgreich und mal mehr, mal weniger gelassen und mit mal mehr, mal weniger unangenehmen Konsequenzen für sich selbst bzw. die Menschen ihrer Umgebung. Im günstigsten Fall , zumal wenn eine auch wirtschaftlich oder gesellschaftlich erkennbare und als positiv empfundene Entwicklung eintritt, gilt so jermand dann als "exzentrisch" im Sinne von "spinnt zwar manchmal, ist aber eigentlich genial" oder ähnliches, was positiv konnotiert und dann gesellschaftlich auch toleriert wird. Im ungünstigen Fall wird jemand ausgegrenzt, vereinsamt, verwahrlost, fügt sichselbst und/oder anderen Schaden zu. Oder, irgendwo dazwischen, jemand wird wahrgenommen als Mensch mit bestimmten Eigenheiten, die einem mehr oder weniger auf die Nerven gehen oder nicht, je nachdem wie unmittelbar andere davon betroffen ist und wie hoch die jeweiligen Freiheitsgrade sind, mit dieser Person zusammenleben oder auskommen zu müssen.
Die Erkenntnis, dass sich diese Dispositionen nicht in Luft auflösen, ist allerdings in Deutschland erst seit ca. 20 Jahren auch offiziell anerkannt, und die konkreten Erscheinungsformen (Symptomatiken) sind bei Erwachsenen eben auch teilweise unterschiedlich. Immer aber liegen bestimmte Verhaltensweisen und Symptome zugrunde, die bereits im Kinder- und Jugendalter aufgetreten sein müssen, jedenfalls um gemäß der anerkannten Klassifizierungstafeln der WHO diese Diagnosen Asperger oder AD/HS zu rechtfertigen. Und Kinderpsychiater sind eben lange Zeit die einzigen gewesen, deren Ausbildung die Stellung dieser Diagnosen eingeschlossen hatte.
Sie sind damit die ärztliche Berufsgruppe, die am meisten Erfahrung damit haben.
Inzwischen gibt es zwar genügend "Erwachsenen-Psychiater", die sich ebenfalls daruf spezialisiert haben, aber eine flächendeckende Versorgung bei niedergelassenen Fachärzten für Psychiatrie ist längst noch nicht in der gesamten Bundesrepublik gewährleistet. Adressen erhält man zwar von den Ärztekammern und wer eine Uniklinik in der Nähe hat, kann auch dort einen Termin vereinbaren. Aber eine Kinderpsychiaterin, die Erfahrung mit dieser Diagnose hat, ist hier durchaus als eine ebenso seriöse Anlaufstelle anzusehen.
asservissement: Ich bin mir nicht sicher, ob die Diagnose so gestellt korrekt ist, habe deshalb nochmal eine 3. Diagnostik gemacht.
Allerdings verlief jene so, dass man mir nur die Hand schüttelte, ein paar nette Worte sagte und sie bestätigte. "Hauptsache, sie bringt Geld.", so kommt mir das vor.
Ich kann verstehen und finde es auch vernünftig, sich eine zweite oder notfalls auch dritte Meinung einzuholen.
Nicht konform gehe ich mit der von Dir daraus abgeleiteten dargestellten Bewertung:
Ich gehe davon aus, dass die beiden ersten Diagnosen in schriftlicher Form vorliegen. Diese enthalten dann Ergebnisse und Werte der durchgeführten Diagnostik (Testergebnisse, Erkenntnisse aus Gesprächen, Verhlatensbeobachtungen). Wenn beide Diagnosen und die jeweils dokumentierten Testergebnisse in die selbe Richtung weisen, selbst wenn sie sich im Einzelfall um ein paar Werte unterscheiden, besteht für eine dritte kundige Stelle kein seriöser Grund, weitere Erhebungen durchzuführen, sondern dies wäre, im Gegenteil, unseriös und stünde im Verdacht der "reinen Geldmacherei". Daher bewerte ich das Verhalten der dritten Stelle im Gegensatz zu Deinem Empfinden als korrekt.
asservissement: Daher frage ich mich, ob solche Diagnosen in solch einer Art und Weise gestellt korrekt sind bzw. welchen Zeitraum man wählen sollte und vor allem, welche Mitmenschen man befragen sollte.
Den ersten Teil Deiner Frage würde ich aufgrund dessen, was Du als erfolgte Vorgehensweise mitgeteilt hast, mit ja beantworten, ohne die dabei verwendeten Tests und Einzelergebnisse in irgendeiner Form damit bewerten zu wollen. Grundsätzlich entspricht die gewählte Vorgehensweise dem aktuellen "state of the art" .
Was die Mitmenschen angeht, die man befragen sollte, so empfehle ich sorgfältige Auswahl und Beschränkung, mit der selben Begründung, die
@*****lnd bereits angeführt hat:
fesselnd: Einen Rat möchte ich für Diagnosen-Betroffene auf jeden Fall geben: Niemals damit hausieren gehen. Es gibt zu viele scheinbar aufgeschlossene Menschen, die zu wenig davon verstehen, und das kolportieren, was sie meinen verstanden zu haben.
Empfehlen würde ich, wie bereits in meinem vorherigen Post erwähnt, den Kontakt und die aktive Mitwirkung an Selbsthilfegruppen von Betroffenen, die man im Internet leicht finden kann. Dort ist nicht nur ziemlich viel Fachwissen versammelt, sondern dort kann man sich auch in einem geschützten Raum austauschen mit anderen und erhält Unterstützung für eigene Anliegen.
Gerade wenn Du schreibst, dass Du Dich seit der Diagnosestellung eher schlechter fühlst als vorher oder "zum Sündenbock gemacht" wirst, sind diese Gruppen ein Ort, wo man seine eigene Situation gut reflektieren und beleuchten kann, und auch Tipps und Beispiele dafür erhält, mit Reaktionen der Umwelt besser klar zu kommen, aber auch mit sich selbst und seinen eigenen Gefühlen und Reaktionen, sowie den möglicherweise vorhandenen und zu erwartenden Nachteilen, die aus der Asperger-Betroffenheit erwachsen mögen. Man lernt, wie man Fettnäpfe, die überall am Wege stehen, ausweichen kann. Und man lernt dort auch, eine gewisse Distanz zu der eigenen Betroffenheit herzustellen und sie nicht als bequeme "Ausrede" zu mißbrauchen für gelegentliches eigenes Fehlverhalten, und neben den negativen Auswirkungen auf den eigenen Lebensvollzug oder das Zusammenleben in der Familie oder mit anderen auch die Vorteile und Chancen zu sehen, die man selbst leicht übersieht, weil man in seinem eigenen Kummer gefangen ist.
Meiner persönlichen Erfahrung nach lohnt es sich auf jeden Fall, sich einer solchen Gruppe anzuschließen, selbst wenn es bedeutet, dass sie nicht in unmittelbarer Nähe ist und es ein wenig unbequem sein mag, zu den Treffen zu gelangen. Die Vorteile überwiegen die Nachteile bei weitem!
Tantrissima