Auszeit? Oder Freiheit?
Vorweg: Der Comic klingt nach einer super Geschichte, die mich interessieren könnte. Ich werde definitiv in die Leseprobe hineinlesen und danach entscheiden.
Ich glaube, dass es im Leben jedes Menschen wichtig ist, sich hin und wieder frei zu fühlen, vielleicht sogar so absolut frei, wie Lulu es in der Geschichte tut. Freiheit ist etwas Großes. Sie macht Angst. Allein, absolut allein auf sich gestellt, niemandem unterworfen sein, seine Handlungen nicht danach ausrichten, was andere von einem erwarten, auch, wenn man gar nicht weiß, was man selbst von sich erwartet ...
Man nennt es gern die Angst vor dem Alleinsein, weswegen man in unangenehmen Beziehungen bleibt. Ich nenne es gern Angst vor der Freiheit. Freiheit, wirkliche, echte Freiheit, ist auf Dauer unerträglich. Ich vermute, dass es eine innere Schaltung aus Steinzeittagen ist: Auf Dauer brauchen wir andere Menschen, um zu überleben. Und um mit anderen Menschen zurechtzukommen, müssen wir Kompromisse eingehen.
Zu viele Kompromisse töten jedoch die Liebe, wie es Lulu mit ihrem Mann geht. Und sie töten das, was man selbst ist, die Individualität, die Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Manchmal will man noch spüren, dass man ein Individuum ist, nicht nur Teil eines Teams. Ich vermute, dass Seitensprünge zu einem großen Teil aus dieser Motivation entstehen. Der Partner sieht einen nur noch als Teil des Teams, als jemand, der seit fünfzehn Jahren mehr oder minder die gleiche Person ist ... Und dann ist da jemand anders, der einen auf einmal so sieht, wie man hier, jetzt und heute ist. Was auch immer das bedeuten mag.
Ich brauche manchmal Phasen von Freiheit. Zeiten, in denen ich einfach nur ich selbst bin, nicht Geliebte, nicht Partnerin, nicht Freundin und auch nicht Haushälterin oder Köchin. Bei dieser Freiheit geht es nicht notgedrungen um andere Menschen. Manchmal gehe ich allein in eine Larp-Taverne, spiele eine Geschichtenerzählerin und wandere von Menschengruppe zu Menschengruppe, genieße, mich mit anderen für einen kurzen Moment emotional sehr eng zu berühren und dann einfach zu lächeln, aufzustehen und weiterzugehen. Diese Tiefe, die kurz danach vorbei ist, mag etwas sein, was andere in einem One-Night-Stand suchen. (Ich früher auch, sowohl als Single wie auch in offener Beziehung, und ich finde es per se nicht verwerflich. In meinem Fall wäre es aber verwerflich, weil ich damit dem Mann wehtun würde, den ich liebe. Also muss ich andere Wege suchen, das zu finden, was mir wichtig ist und gleichzeitig meine Bindung zu ihm zu bewahren und zu schützen.)
Manchmal gehe ich auch "raus". In die Wildnis oder in eine Pension. Bald ist es wieder so weit, da werde ich meinen Wanderrucksack aufsetzen, Seil, Plane, Isomatte und Schlafsack daran festmachen, mit dem Zug losfahren (vielleicht fährt mich mein Schatz auch zum Ausgangspunkt) und dann eine Woche zwischen Bäumen und Bächen und Wildschweinen überleben. Frei von Verpflichtungen, Kontakten, Arbeit, Sorgen, Staub etc. Reduziert auf das Wesentliche: Nicht umknicken, denn hier kommt keiner hin, um mich zu retten. Essen. Trinken. Schlafen. Und einmal am Abend eine SMS nach Hause, um den Handy-Akku zu schonen und mich daran zu erinnern, dass ich bei aller Freiheit nicht absolut verloren bin, sondern auch Bindungen habe, in die ich zurückkehren kann. (Auch das war einmal anders. Und daher weiß ich, dass reine, absolute Freiheit genauso unerträglich ist wie absolute Symbiose und Verschmelzung.)
Freiheit ist unglaublich wichtig, obwohl sie in ihrer nacktesten Form sogar töten kann. Ich würde sie aber nicht als Auszeit von der Beziehung ansehen, die Beziehung besteht weiterhin und ist groß genug, mir (und ihm) auch das Gefühl von Freiheit und Einzigartigkeit zu erlauben. Eine Beziehung, die beiden viel Raum für Freiheit lässt, auch ohne dass man dafür erst die Beziehung infrage stellen muss, (wie das bei einer Auszeit der Fall wäre), sondern wo man voller Liebe manchmal einfach Zeiten von Freiheit genießt und zurückkehrt zum Liebsten und mit leuchtenden Augen von den Erfahrungen berichtet ...
Das ist mein Ideal.