Traumhafte Begegnung im Café
Teil1Vor mir steht eine Tasse lauwarmer Kaffee. Er riecht köstlich, doch er schmeckt scheußlich. Und trotzdem bestelle ich ihn immer wieder. Gewohnheiten sind hartnäckig. Das ist auch der Grund, warum ich stets dieses Café besuche. Auf der sicheren Basis des Bekannten neue Eindrücke zu erhalten ist perfekt für Schriftsteller wie mich.
Im Sommer stellt das Café Stühle nach draußen. Und auf meinem Platz liegt jeden Donnerstag, so auch heute, eine kleine schwarze Platzdecke mit gestickter "reserviert" Aufschrift. Ich habe nicht darum gebeten, aber das Personal ist bei Stammgästen wirklich sehr zuvorkommend. Mein Platz liegt etwas abseits des großen Treibens vor einem kleinen Brunnen. Der wird selten eingeschaltet. Mag sein, dass er die Gäste mit seinem lauten Geplätscher nervt.
Ich bin darüber ganz froh, denn ich lausche gerne den Gesprächen der Gäste. In ihren zwischenmenschlichen Begebenheiten entdecke ich manchen Schatz, der darauf wartet, gehoben zu werden.
Im Takt der im HIntergrund laufenden Musik klopfe ich mit dem Kugelschreiber auf meinen Notizblock. Den Song kenne ich gut. Ein Lovesong aus den Neunzigern. Er ist ein treuer Wegbegleiter durch Jahre des Radiohörens. Früher löste er noch Jubelstürme bei den Moderatoren aus, die das Privileg hatten ihn anzusagen. Heute wird er regelrecht dazwischen geschoben und mittendrin abgeschnitten. Den Tiefgang hinter den gesungenen Worten erkennen nur wenige.
Ich nippe an meinem Kaffee und stelle fest das er eiskalt ist. Meine Uhr zeigt halb acht am Abend. Ich sitze hier tatsächlich schon geschlagene zwei Stunden und warte darauf das mich die Muse küsst. Unproduktiver geht es kaum noch. Vermutlich muss ich bald mit meinen Gewohnheiten brechen, um wieder voranzukommen. Ein neues Café suchen und ein ganz neues Projekt anfangen. Ein Genrewechsel wäre eine Überlegung wert. Doch heute werde ich einfach den schwülen Sommerabend genießen. Ich schließe die Augen und lehne mich zurück. Die flüsternden Pärchen und das leise Klappern ihrer Tassen und Gläser schläfern mich ein.
"Entschuldigen Sie, ist der Platz noch frei?"
Betörender Blumenduft steigt mir in die Nase. Wenn ich mich nicht irre, ist es eine Mischung aus Rose und ... Vanille. Dieser Geruch ist nicht natürlichen Ursprungs. Es riecht sehr weiblich und angenehm. Vermutlich hat der Wind den Duft von einem Pärchen hier zu mir herangeweht.
"Entschuldigung?"
Eine helle Stimme reißt mich jäh aus meinen Gedanken. Eine bezaubernde Frau steht an meinem Tisch und lächelt mich an. Mein Mund entzieht sich meiner Kontrolle und steht weit offen. Mit letzter Kraft und in höchster Not bekomme ich ihn doch noch zu.
"Ja?", frage ich.
"Die anderen Tische sind alle belegt. Hätten Sie hier noch einen Platz frei."
Ich schaue mich um und entdecke sofort zwei freie Tische, sage aber nichts.
"Natürlich", antworte ich und stehe auf um ihr den Stuhl zurechtzurücken.
Macht man so etwas, wenn man das Gegenüber noch gar nicht kennt, und auch gar nicht verabredet war? Wenn nein, dann ist es jetzt zu spät. Sie lächelt und geht nonchalant drüber hinweg. Die schwarz bekittelte Bedienung hat den neuen Gast bereits entdeckt und kommt mit eiligen Schritten herbeigeeilt.
Während die schöne Fremde ihre Bestellung aufgibt, habe ich die Zeit sie zu bewundern. Ihr sonnengebräuntes Gesicht wird eingerahmt von schwarzen Haaren, die ihr bis über die Schulter reichen. Sie trägt Motivohrringe an silbernen Ketten. Es sind Delfine, die miteinander toben. Ihre weißes Sommerkleid schmiegt sich eng an ihren Körper und ist mit blauen Blumen verziert. Die Spaghettiträger haben da, wo die Sonne nicht hinkam, dünne weiße Streifen auf ihrer Haut hinterlassen. Ihre vollen Lippen hören auf sich zu bewegen, denn sie hat ihre Bestellung nun aufgegeben. Und ich starre sie an. Mist.
"Darf ich fragen, was Sie machen?", fragt sie.
"Ich? Sie meinen hier?"
"Ja."
"Ich denke über etwas nach."
"Ich fand sie sahen traurig aus."
"Traurig, ich? Nein. Mit dieser Trauermiene kam ich schon zur Welt."
"Oh, ach so!", antwortet sie mit einem Lachen.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sie ist wunderbar anzusehen, wenn sie lacht.
"Und haben sie die Lösung ihres Problems schon in Sicht?"
"Eigentlich ist nicht mal das Problem in Sicht. Ich erfinde Geschichten."
"Dann sind sie Schriftstelle?"
"Vermutlich schon ... Aber heute bin ich wohl doch nur ein Gast in einem Café, der mit einer schönen Fremden einen Plausch hält."
"Danke"
Ein Kompliment! Es ist ohne mein Zutun in meinen Satz gerutscht. Auch wenn ich es nicht sagen wollte, wahr ist es dennoch.
Die Bedienung kommt zurück und stellt eine Flasche Rotwein auf den Tisch. Auf einem Donnerstag Rotwein? Sie hat wohl heute noch was vor. Zwei Gläser werden dazu gestellt. Eines vor mir und eines vor ihr. Überrascht schaue ich meiner schönen Fremden in das Gesicht.
"Sie haben mich an ihrem Tisch sitzen lassen. Machen sie mir die Freude und trinken sie ein Glas mit mir."
Ein Pärchen rechts von uns scheint meine Überraschung zu amüsieren. Es kichert die ganze Zeit aufgeregt. Jetzt bin wohl ich derjenige, bei dem die Leute spionieren. Die schöne Fremde hebt ihr Glas und klimpert mit den Wimpern. Das Klingeln der Gläser läutet in meinem Verstand. Auch wenn ich es mir kaum vorstellen kann, habe ich das dumpfe Gefühl, das diese umwerfende Frau mehr möchte, als nur Rotwein trinken.