Wieviel Beschleunigung verträgt ein Mensch?
Ab 60km/h treten erste gesundheitliche Schäden auf!
(
Jedenfalls wurde das bei der Einführung von Zügen als Fortbewegungsmittel behauptet. Es könnten auch 60 Meilen gewesen sein, und bezog sich eigentlich auf die Endgeschwindigkeit, nicht nur auf die Beschleunigung. )
Du sprichst von Fortschritt, der Maschinen mit sich brachte, die Zeit sparen, aber nicht den Effekt hatten, den sie benutzenden Menschen mehr freie Zeit zur Verfügung zu stellen.
Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das natürlich schon - wenn ich eine Textverarbeitung am PC verwende, kann ich inkl. späterer Änderungen ein Schriftstück schneller aufsetzen als an der Schreibmaschine. Das setzt allerdings voraus, daß der Text z.T. erst während des Tippens entsteht - hätte ich Ihn gedanklich schon vollständig parat, wäre der Zeitgewinn durch Software&Elektronik minimal. Erst in der weiteren Verarbeitung (z.B. Individualisierung für verschiedene Leser) kann dann durch den PC Arbeit eingespart werden.
Die Konsequenz daraus, und aus allen möglichen anderen "Arbeitserleichterungen" war aber in der wirtschaftlichen Denke nicht, diese Arbeiten damit besser zu machen, also den einzelnen Schritten mehr Aufmerksamkeit zu widmen, sondern in die freigewordene Zeit mehr Arbeit zu packen, also die Arbeitsleitung des Humankapitals zu erhöhen.
Privat läuft es ähnlich - das Lieblingsbeispiel "Händi" hat Möglichkeiten geschaffen, aber damit auch Anforderungen. Kam man früher mal zu spät wegen dichten Verkehrs, so wurde das hingenommen - heute muß man sich nach wenigen Minuten melden, denn "es könnte ja was passiert sein"(oder meist eher: der/die Wartende könnte unwissend noch mehr Minuten seiner/ihrer kostbaren Zeit einbüßen).
Noch ein Aspekt - Verfügbarkeit. So wie im letzten Beispiel der Mensch ständig verfügbar bzw. erreichbar zu sein hat, so haben auch möglichst viele Produkte und Dienstleitungen immer und überall verfügbar zu sein. Obst und Gemüse ganzjährig, Einkaufen am besten bis 24.00 usw. Diese Anspruchshaltung wurde auch wiederum z.T erst ermöglicht durch die schnellen, mehr oder weniger sauber ineinandergreifenden Logistikketten - Zauberwort "Just in time".
Schaut man sich die drei Bereiche an, so fällt doch auf, wie gut sie zusammen passen. Immer und überall geht nur mit Tempo und gutem Zeitplan(und effektivem Einsatz der Arbeitskraft), oder mit Geld. Mehr Geld, was natürlich niemand bezahlen möchte, denn immer und überall sollte auch billig sein.
Und damit haben wir den Mitarbeiter, von dem dauerhafte Spitzenleistung gefordert wird, damit das Unternehmen schnell und billig anbieten kann. Und der nach den Überstunden gerne auch noch um 20.00 einkaufen möchte, und dort alles vorfinden. Und der per Handy mit seiner Freundin unterwegs einen anderen Treffpunkt ausmacht, weil er es sonst nicht mehr in time, auch nicht just in time, schafft.
Wichtig finde ich, was der Schachspieler(?) geschrieben hat:
Ein großer Zeitfresser heute ist das Multitasking. Durch Emails, Telefon, ungeplante Termine etc. werden Mitarbeiter immer mehr gezwungen, ihre Arbeit zu stückeln. Man fängt x-mal an, und wird x-mal unterbrochen - statt erst einmal eine Sache zuende zu bringen und sich dann der nächsten widmen zu können.
Auch im Privaten ist Multitasking ein Killer. Leute sind nicht mehr im Hier und Jetzt anwesend, wenn sie beim Dinner SMS schreiben, telefonieren, den Blackberry benutzen oder geschäftlichen Konzepten und Fällen nachhängen. Muss mensch "always on" sein?
Wer zehn Dinge beginnt, hat am Ende des Tages eher zehn Dinge halbfertig, und nicht fünf fertig. Die gestückelten Arbeitseinheiten brauchen für sich mehr Zeit, als eine einzelne große Arbeitseinheit für eine Aufgabe - man muß sich immer wieder von neuem zeitaufwändig(!) hineindenken.
Was bei all dem möglicherweise keinen Fortschritt gemacht hat, ist der Mensch. Wie oft (nicht immer, aber immer öfter?) steht man plötzlich mit dem Gefühl "Kopf zu" da, und ist abends nicht müde sondern ausgelaugt bis ausgebrannt? Wieviel muß man im flachen Multitasking gedanklich durchjagen, und wie wenig wirklich in Ruhe durchdenken, um abends mit dem Gefühl, viel gemacht und wenig geschafft zu haben dazustehen?
Ich trage bewusst keine Uhr mehr - so wichtig können ein paar Minuten nicht sein. Ich habe mich von der Stadt auf das Land bewegt und schon die geringere Menge der Möglichkeiten macht einen langsameren Schritt leichter. Ich halte mir bewußt Termine vom Hals, und teile mir die notwendigen genau auf - entweder alle zusammen, um danach viel Zeit ohne Termine, oder gut ausgebreitet, mit entsprechenden Leerräumen dazwischen.
Kleinigkeiten, aber die helfen mir, mehr zur Ruhe zu kommen.
Darki