Die Stunde
Bin ich der Dorn in deiner Herzenspfote, die Wunde, die unsichtbar blutet? Die Luft, die ich dir zum Atmen nehme? Deine Einsamkeit in der Nacht, deine Stille, die dich umtreibt, auf verbotene Pfade scheucht, die im Schatten liegen und nur durch mein Licht erhellt werden können? Du bist blind, trotz sehenden Auges; du kennst die Antwort auf Deine stumme Frage, doch du willst sie nicht hören, weil sie dich in den seelischen Grundfesten erschüttert und den Panzer aus Eis um dein Herz sprengt. Oder ist es eher Wut, die dich umtreibt und meine Fährte suchen lässt? Sieh in den Spiegel: Ein alternder Kahn, verankert, verzurrt an einem rostigen Hafendock, wo du doch so sehr nach der Freiheit und dem Duft des Meeres dich verzerrst. Abgeblättert Deine Farbe, Löcher in der Takelage. Wo ist das stolze Schiff geblieben? Versenkt auf den Meeresgrund, verraten in einer stürmischen Nacht, von Irrlichtern gelockt, die dir doch heimleuchten sollten. Wie viel Kraft setzt du in dir frei, nur um nicht an mich zu denken?
Ich spüre es wie den Flügelschlag einer Eule, lautlos und doch mächtiger als Donnerhall. Die Zeit verrinnt, die Tage ziehen ins Land. Die Entscheidung, die du nicht zu treffen gewagt hast, hängt einem Mühlstein gleich um deinen Hals. Du hattest die Wahl. In deiner Zerrissenheit glaube mir: Auch die schwärzeste Stunde hat nur 60 Minuten ...
© Ginger2014 2015