Paradiesische Eva
DIE GESCHICHTE VOM APFELEine uralte Geschichte
Zwischen Waage und Skorpion, wenn feuerrote Kugeln von den Ästen herab schreien, reift in mir die uralte Apfelgeschichte immer wieder ganz neu. Aber gerade jetzt, wo man von mir den feinsinnigsten Erguss zu diesem Thema erwartete, erlosch die Quelle meiner Fantasie.
Schreibblockade nennen Autoren diesen Zustand, wenn sie ihren Verlegern erklären müssen, warum ein wunderbares, weibliches Geschöpf sich zwischen Mann und Arbeit schob, Tage zu wilden Nächten und Autorenfleiß zu Nichte machte.
"Es kann doch nicht so schwer sein, die immerwährende Geschichte der Verführung und Versuchung verbal zu aktualisieren", stellte mein Verleger fest, "oder Sie an moderner Einfallslosigkeit?"
Ich litt.
"Wenn Sie unbedingt einen roten Apfel zur Anregung benötigen, kaufe ich Ihnen eine derartige Frucht im Supermarkt!"
Jetzt litt ich noch mehr.
Mein Verleger schüttelte seinen schöngeistigen Kopf.
Hätte ich ihm erzählen sollen, wie ich zu meinen Ideen kam? Hätte ich ihm beichten sollen, dass meine Einfälle gar keine waren, sondern nur die Aufzählung unglaublicher Vorkommnisse? Hätte dieser Mann wirklich geglaubt, dass Jahr für Jahr mit den roten Äpfeln auch jene züngelnde Schlange durch meines Nachbarn Garten ihren aalglatten Leib schob und mit nichts als ihrer Haut mich zu betören versuchte? Wer glaubt noch in unserer Gesellschaft an paradiesische Nacktheit und flüsternde Schlangen? Mein Verleger wähnte hinter meinen Geschichten eine enorme, wenn auch irreale Vorstellungsgabe eines großen Künstlers.
Hätte ich ihm widersprechen sollen?...
In diesem Jahr hingen eben keine liebestoll roten Äpfel in den Bäumen. Kein Wunder, dass das Reptil in Nachbars Garten sich aus dieser unwirtlichen Umgebung verzog. Sicher lag es in einem Nest zwischen bösen Gedanken und Dörrobst.
Was hätte ich tun sollen als mein Auftraggeber mir einen aus Frankreich exportierten Apfel brachte.
„Voilà!“ sagte er. Mehr nicht. Spott glänzte in seinen Augen.
Ich errötete vor so viel Apfel.
Später auf meinem Arbeitstisch, gewaschen und mit einem weichen Tuch auf Hochglanz poliert, entpuppte sich dieses französische Früchtchen als der Paradiesapfel schlechthin.
Die rote Kugel auf der weißen Platte meines Arbeitstisches ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Mein Kauwerkzeug begann wie ein Mahlwerk zu rotieren. Die Kieferknochen quietschten. Ein gieriges Verlangen nach dieser feuerroten französischen Frucht überkam mich derart, dass mir das Wasser im wahrsten Sinn des Wortes im Mund zusammenlief. Aus beiden Mundwinkeln sabberte ich wie ein Bullterrier. Noch hatte ich mich ein wenig unter Kontrolle, aber das änderte sich radikal, als der aufreizend französische Duft mein Arbeitszimmer ausfüllte. Mit einem kühnen und raschen Griff schnappte meine Rechte den Apfel und schleuderte ihn gegen die vorderen Schneidezähne, die hinter meinen weit geöffneten Lippen zum Abbiss bereitstanden.
"A-a-alt!", schrie ein zirpendes Stimmchen in schlechtem Deutsch.
Verwundert und auch ein wenig erschrocken fiel mein Oberkiefer herab und verspritzte etwas von dem lüsternen Wasser über den Tisch.
"Was soll das?", dachte ich.
"Beiß mich nicht. Alt an", jammerte der Apfel.
"Warum sollte ich anhalten?", fragte ich verlogen und legte die rote Kugel widerwillig zurück auf den Tisch.
Oben, wo das schwarze Blütensternchen sitzt, erschien der Kopf eines Wurmes. Aber er war keineswegs regen- oder apfelwurmfarbig, sondern goldglänzend wie die Kronjuwelen der britischen Monarchin. Ein Kreuzmuster zwischen zwei listigen Augen schlängelte sich über den Kopf und Rücken hinab zur endlosen Schwanzspitze, die soeben restlos aus dem Apfel geschlüpft war. Bei näherem Betrachten fiel die gespaltene Zunge auf, die nur für einen Moment die vier spitzen Giftzähne nicht verdeckte, aber doch lange genug, um gewarnt zu sein.
Im Nu veränderte sich das Bild. Apfel und Schlangenwurm verschwanden in einer wattegleichen Nebelwolke. Doch auch die weißlichen Schwaden verzogen sich rasant. Dafür saß auf meinem Tisch ein so anmutig zartes, weibliches Geschöpf, dass es mir den Atem verschlug. Wie ein Verdurstender in der Wüste fühlte ich meine Schleimhäute rau und beißend im Mund. Die Dame saß nicht richtig auf meinem Tisch. Sie rekelte sich mehr, wodurch mir tiefe Einsichten geboten wurden. Dabei sah sie mich an wie glühende Lava.
"Ich liebe meine Ehefrau", buchstabierte ich laut vor mich hin.
Es half nichts, die auf meinem Tisch Liegende sah tief in mein lustvolles Herz hinein.
"Ich liebe meine Ehefrau!", wiederholte ich mich in einer Art allerletzter Auflehnung.
Die Dame schwieg, grapschte sich meine rechte Hand, zog den Ehering von meinem Finger und ließ ihn auf den Steinfußboden fallen.
"Piii-ing!", jaulte der Ring und der Nachhall dieses schrillen Tones schlug wie ein Granatsplitter in meinem Gehirn ein. Genau von dieser Stelle aus wogten Wellen der Lust durch meinen Körper und eine ungeahnte Lüsternheit nahm mich restlos in Besitz. Genussvoll schloss ich die Augen und griff mit beiden Händen nach diesem Prachtweib, um es fest an mich zu ziehen. Sie fühlte sich kalt und glitschig an. Erschrocken öffnete ich meine Augen.
Die feiste Schlange lächelte und schob mir den feuerroten, französischen Apfel wieder zwischen die Beißer.
"Lass es gut sein, Adam", kicherte sie, "es war nur ein Test, ob es noch klappen können könnte..."