"Gefahr und Begierde" von Ang Lee, 2007
Gefahr und Begierde... welch verheißungsvoller Titel. Und dann noch dazu von dem Regisseur, der auch Brokeback Mountain geschaffen hat. Der Film führt uns zuerst in einen Makrokosmos. Es ist die untergegangene Welt des bürgerlichen Chinas, mitten im zweiten Weltkrieg. Ganz nebenbei: Es ist das China, das in diesen Tagen vorsichtig wieder aufersteht. Lees Zeitreise ins Shanghai der 1930er- und 1940er-Jahre beschwört den Mythos vom „New York des Fernen Ostens“, der im chinesischen Film schon seit den 1930er-Jahren ein eigenes Subgenre bildete. Es wird faszinierend real durch eine computergestützte Rekonstruktion von Shanghai und Hongkong während des Krieges. Doch dieses alte China blutet, wie der Film zeigt, aus vielen Wunden. Die Japaner, die Kommunisten, die Kuomintang und die Kollaborations-regierung, alle reißen sich große Fleischstücke aus dem zuckenden Land. Überleben wird zur Glücksache. Wer irgendwie zwischen die Fronten gerät, liegt schnell tot auf der Straße. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, die Blicke der Menschen tasten sich voll Mißtrauen ab, sind unsteht und flackernd. Immer auf der Hut und voll Misstrauen. Zu diesem Makrokosmos gehört eine kleine Gruppe von Menschen, sechs Studenten die einen naiven aber gläubigen Patriotismus pflegen und darüber bald zum Mörder werden. Bis hierhin erinnert es an die Geschichte der Bader-Meinhof-Gruppe und blindwütiger Selbstmordattentäter, die aus einer Mischung aus Idealismus, Selbstüberschätzung und Gruppenzwang zum Terroristen werden.
Nun aber entfaltet sich der Mikrokosmos zwischen zwei Menschen. Eine der Studentinen, die unerfahre Wang, hat den Auftrag, sich an den verhassten Polizeischergen und Kollaborateur Yi heranzumachen, seine Geliebte zu werden, um so seine Ermordung zu ermöglichen. Es funktioniert; die Protagonisten schlüpft perfekt in die Rolle der schönen Händlerin Frau Mai, zwischen ihr und Yi zündet das Feuer. Aber nun kommt es anders als alle denken. Die Partei, die bekanntlich immer recht hat (in diesem Fall die Kuomintang), befiehlt und Frau Mai muss länger in ihrer Rolle bleiben, als ihr gut tut. Die Partei weigert sich, das geplante Attentat schnell durchzuführen, will lieber eine Spionin im Hause Yi behalten. Yi erweist sich als zwar brutaler aber faszinierender Liebhaber, der den Gentleman nur spielt, aber doch ein Leben hinter der Maske hat. Auch er ist einsam. Nach seinen Tagen im Folterkeller spürt er erst dann wieder das Leben in sich, wenn er seine Geliebte hart behandelt, schlägt, entwürdigt, würgt oder sonstwie zum Weinen bringt. Das "Schlimme" für die Protagonistin ist, dass sie zunehmend Gefallen an dem harten Spiel findet; es ist ein Gefallen, der ihr später das Leben kostet.
Ihre Beziehung hat viele Elemente einer BDSM Beziehung, sie liebt und sie haßt ihn. Ihr Parteiauftrag wird für sie immer mehr zum Vorwand, sich weiter auf das gefährliche Spiel einzulasssen. Offensichtlich wird der sadomasochistische Charakter ihres Sex nahe an der Vergewaltigung. Er dient indes dazu, den Charakter Yi´s deutlich zu machen, der trotz seiner Zivilisiertheit und seines verführerischen Charmes ein skrupelloser Folterer ist. Wang unterwirft sich, wartet auf den Geliebten, ja sie giert nach seinem harten Sex. Der Film zeigt ihn ein paarmal recht offen, aber eigentlich nicht pornografisch. Das Unheil ist immer zu nah. Am Ende glaubt sie an seine Liebe, was sich erst recht als verhängnisvoller Fehler erweist. Aber auch ihr Herr Yi zeigt für einige Sekunden Schwäche und gerät dadurch in Gefahr, Opfer seiner Obsession zu werden. Sein Sekretär lauert schon auf seine Stelle.
Macht und Ohnmacht, Lust, Gier, tierische Leidenschaft und Gewalt, alles verschmilzt zu einem dramatischen Finale. Da es traurig ist, dürfen vom Zuschauer gerne Taschentücher bereitgelegt werden. Der Makrokosmos frißt den Mikrokosmos.